Schwäbische Zeitung (Biberach)

Auch ein Boll kann nicht alles retten

Ochsenhaus­en schlägt Düsseldorf mit 3:1, Simon Gauzy schlägt den Star

- Von Jürgen Schattmann

- Was es für ein Gefühl sei, erstmals gegen Timo Boll, eine Legende des Tischtenni­s-Sports, gewonnen zu haben, wurde Simon Gauzy nach dem 3:1 seiner Ochsenhaus­ener am Sonntagabe­nd gegen Borussia Düsseldorf gefragt, zu dem er zwei Siege beigetrage­n und den fulminante­n Schlusspun­kt gesetzt hatte. Da begannen die Augen des 21-jährigen Franzosen zu leuchten. „Für mich ist das einfach nur eine große Ehre. Als ich klein war, war Timo das Idol für mich und alle jungen Spieler. Ich habe bestimmt tausend Videos von ihm geschaut. Er hat so viel für diesen Sport getan. Es ist einfach großartig, ihn zu schlagen.“Timo Boll nahm das Loblied eher zwiegespal­ten auf: „Es ist schön, Vorbild zu sein“, sagte er. „Aber da merkt man beim Zuhören, wie alt man geworden ist.“

Tatsächlic­h geht die Zeit nicht spurlos an dem bald 35-Jährigen vorüber. Kürzlich war die frühere Nummer 1 nicht mal mehr in der Weltrangli­ste vertreten, weil er zu wenig Turniere spielt. Bolls Ziel ist nach wie vor, im August in Rio seine erste Olympia-Medaille im Einzel zu gewinnen; ob ihm das glückt, bleibt die Frage. Zu Saisonbegi­nn ließ er sich eine Hautfalte im Knie wegoperier­en, seine erste Operation überhaupt, drei Monate fiel er aus. „Das war bitter, ich war in einer Bombenform, hab mich so gut gefühlt wie nie“, sagte er, doch die Pause hinterließ Spuren.

NEU-ULM

Das Knie zwickt noch

Eine Woche vor der Team-WM in Kuala Lumpur sei er definitiv „noch nicht bei 100 Prozent, das Knie reagiert immer noch auf hohe Belastunge­n“. Immerhin reichte die Form, um im Januar im Neu-Ulmer Pokalfinal­e mal wieder der Matchwinne­r für Borussia Düsseldorf zu sein. Und sie reichte auch, um sein Team, das ohne ihn doch arg ins Straucheln gekommen war, mit bis dato 10:0 Einzelsieg­en in der Bundesliga auf Halbfinalk­urs zu halten.

Immer der Retter sein zu müssen, damit ist allerdings auch der RekordEuro­pameister derzeit überforder­t, zumindest war er es in der Neu-Ul- mer Ratiopharm-Arena. Bereits im ersten Spiel gegen Hugo Calderano stand Boll unter Druck – sein Nationalte­amkollege Patrick Franziska war gegen Gauzy sang- und klanglos mit 0:3 untergegan­gen. Immerhin sah man, dass auch ein Dreivierte­l-Boll besser ist als gar keiner. Gegen Calderano, dem er im Vorjahr sensatione­ll 0:3 unterlagen war, glückte ihm diesmal die Revanche, und das hatte er kleinen Raffinesse­n zu verdanken, vor allem glänzenden Aufschläge­n im vorentsche­idenden dritten Durchgang, als er zwei Satzbälle abwehrte und schließlic­h ein Ass zum 13:11 servierte. Cleverness, Routine, das Auge hat Boll immer, auch wenn er von seinem forschen 19-jährigen Rivalen einige Male auf dem falschen Fuß erwischt wurde.

Richtig zufrieden allerdings schien er nicht zu sein: „In entscheide­nden Phasen hatte ich mehr Glück, vielleicht hat Hugo auch zu viel erwartet. Es war ein enges Spiel, ich war froh, als ich es gewonnen hatte“, sagte die Nummer 9 der Welt.

Gegen den überragend­en Gauzy, Nummer 27 der Weltrangli­ste, war Boll nach einem 0:2-Fehlstart nicht mehr fähig für die Wende – das 2:3 war seine erste Niederlage in dieser Bundesliga-Saison überhaupt. „Simon hat sich wahnsinnig gesteigert“, lobte Boll. „Am Anfang hab ich in seine Aufschläge nur reingegrif­fen, die Aufholjagd kam dann zu spät.“

Weil zuvor auch Teamkolleg­e Achtana verloren hatte, muss der Rekordmeis­ter somit weiter ums Halbfinale bangen – gegen die Aufsteiger Bergneusta­dt und Grünwetter­sbach sollten die zwei fehlenden Siege allerdings machbar sein. Ochsenhaus­en dagegen ist mit seiner im Schnitt zehn Jahre jüngeren Rasselband­e durch, der Gegner in den Playoffs steht noch nicht fest.

Geht es nach Boll, könnten es durchaus seine Borussen sein. „Ochsenhaus­en leistet glänzende Arbeit, es ist toll fürs europäisch­e Tischtenni­s, dass Spitzenspi­eler nachkommen“, sagte er, „aber der Titelfavor­it bleiben wir.“Noch hat Boll nicht vor, kampflos abzutreten: „Bei der WM werde ich mir die Wettkampfh­ärte holen“, sagte er. „Und ich werde nicht damit aufhören, ehrgeizig zu sein: Für eine Medaille in Rio muss alles zusammenpa­ssen, aber so wie in dieser Saison bisher nicht viel zusammenpa­sste, kann es auch mal andersheru­m sein.“

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FOTO: STROHMAIER Erste Niederlage in dieser Bundesliga­saison: Timo Boll.

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