Schwäbische Zeitung (Biberach)
Akrobat schön
Der unvergleichliche Thomas Müller bringt den FC Bayern gegen Darmstadt auf Kurs
- Nirgends ist es schwerer, die Abwehrreihen geschlossen zu halten, als in der Allianz-Arena. Das gilt selbst für die Mixed Zone, die dort deutlich größer ausgefallen ist als sonstwo in der Liga – wie so vieles in München. Man könnte dort auch locker ein Handballspiel austragen; geschätzte 30 Meter stehen den Journalisten zur Verfügung, um ihre Klientel zur Rede zu stellen.
So gesehen war Thomas Müllers nicht ganz ernst gemeinter Versuch, den Reportern nach dem 3:1 (0:1) gegen den SV Darnmstadt 98 zu entwischen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zwei Dutzend hatten sich um Serdar Tasci gruppiert, als Müller aus der Kabine kam. Schnell teilte sich die Menschentraube im Verhältnis 1:2, nur wenige blieben bei Tasci stehen, die anderen eilten ein paar Meter weiter, um Müller zu stoppen. Tascis erster Auftritt für die Bayern war an diesem Tag bestenfalls die Personalie Nummer 3. Wichtiger waren die beiden Traumtore von Vorzeigebayer Müller und der erst zweite Saisoneinsatz des Publikumslieblings. Franck Ribéry ist zurück, was die Zuschauer mit Gesangseinlagen zur Melodie von „Oh Champs-Elysées“feierten.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Partie gegen die Spielverderber-Lilien des hessischen Aufsteigers Darmstadt so interessant, so unterhaltend werden und so viel Gesprächsstoff liefern würde? Vor dem
MÜNCHEN
Spiel war fast nur von Darmstadts Gelbsucht beim 0:4 gegen Hertha BSC die Rede, die fünf Spielern eine Pause zur rechten Zeit bescherte. Dass das mit Abschenken allerdings gar nichts zu tun hat und jedes Bundesligaspiel – wie Trainer Pep Guardiola nicht müde wird zu betonen – für die Bayern schwer ist, zeigte sich schnell. „Wir haben heute Darmstadt 98 pur gezeigt“, stellte Torhüter Christian Mathenia stolz fest. „Jeder im Stadion konnte sehen, was unser Team leisten kann. Die Führung zur Pause war natürlich sensationell.“
Erst zum dritten Mal in dieser Saison nach Augsburg und Wolfsburg schaffte das ein Gegner, in den 14 Spielen zuvor war es keinem gelungen. „Wir wollten uns nicht nur einbetonieren, sondern auch Nadelstiche nach vorne setzen“, erklärte Trainer Dirk Schuster seine Überle- gungen. Die waren aufgegangen, weil die Bayern aus 81 Prozent Ballbesitz und etlichen Großchancen zunächst nichts machten, während auf der anderen Seite Offensiv-Alleinunterhalter Sandro Wagner mit seiner physischen Präsenz imponierte und im entscheidenden Moment schneller reagierte als Tasci. Der frühere Stuttgarter machte nach Wagners Kopfballtor (26.) mangelnde Spielpraxis geltend und gestand, dass er diese Situation „besser verteidigen“müsse. Dennoch bescheinigte Sportchef Matthias Sammer Tasci, der in der 52. Minute für Juan Bernat Platz machen musste, sich „mit gutem Passspiel und guter Präsenz gut eingeführt“zu haben.
Dass das Gegentor nachher bei den Bayern kein Thema mehr war und sich alle ruhigen Gewissens dem Champions-League-Hit am Dienstag (20.45 Uhr/Sky) bei Juventus Turin widmen konnten, lag an Chefakrobat Thomas Müller, laut Sammer „mehr als ein Phänomen“. Gleich nach der Pause hatte Müller mit seinem Klassetor zum 1:1 die Darmstädter Euphorie abgekühlt und in der 71. Minute für den endgültigen Themawechsel gesorgt. Den Ball wieder mit der Brust angenommen, wieder in der Luft liegend getroffen, noch spektakulärer diesmal. „Unglaublich“fand es Darmstadts Florian Jungwirth, „bei so einem Treffer fehlen einem die Worte“. Müller nicht: „Ein Tor in rückwärtiger Position, anders ging’s halt nicht. Auch schön, wenn ich mal ein schönes gemacht habe“, beschrieb er in seiner typisch schnoddrigen Art die Aktion und war sich nicht zu schade, die Unwägbarkeiten seines Sports einzugestehen. „Alles, was auf dem Fußballplatz passiert, ist immer auch ein bisschen Glück.“
Das wird der FC Bayern auch in Turin brauchen. Juventus kann mindestens so zäh verteidigen wie Darmstadt, aber ungleich besser spielen. Schön für Guardiola , dass er einen weiteren Eins-gegen-EinsKünstler wieder zur Verfügung hat. Ribéry zeigt nach seiner Einwechslung in der 53. Minute für Kingsley Coman gleich wieder seine Sonderklasse. „Mit ihm sind wir eine noch stärkere Mannschaft“, sagte Robert Lewandowski, dem Ribéry gleich zwei Tore auflegte, von denen allerdings nur das 3:1 (84.) Anerkennung fand. Eine Fehlentscheidung von Schiedsrichter Michael Weiner.