Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kretschmann gibt sich philosophisch
Beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach wird nicht ganz so deftig ausgeteilt als in früheren Jahren
- Rund 1000 Besucher haben die 22. Auflage des Politischen Aschermittwochs der Grünen in der Biberacher Stadthalle verfolgt. Auch heuer wurde zwar ordentlich in Richtung der politischen Kontrahenten ausgeteilt, allerdings weniger deftig als in früheren Jahren. In Zeiten einer unsicherer werdenden politischen Weltlage und eines aufkommenden Nationalismus bestimmte das klare Bekenntnis zur Demokratie und zu einem gemeinsamen Europa viele der Reden.
Ihren ersten Auftritt vor großem Publikum hatte die Grünen-Bundestagskandidatin aus dem Wahlkreis Biberach, Anja Reinalter. „Wir müssen leider weltweit beobachten, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit mehr ist“, sagte die Laupheimerin. Das sei für sie mit ein Grund, sich jetzt zu engagieren, die Komfortzone zu verlassen. Sie wolle sich für eine soziale Politik einsetzen, die jedem Kind gleiche Chancen eröffne. „Bildung ist der Schlüssel für bessere Chancengleichheit und Ungerechtigkeit ist der Nährboden für Frust und extreme Positionen“, sagte Reinalter. Ein zweites wichtiges Ziel sei für sie der Erhalt unserer Umwelt für die nachfolgenden Generationen.
Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik und Bioökonomiepolitik der Grünen im Bundestag, nahm vor allem Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) als Zielscheibe für seine Kritik. Schmidts neues Tierwohlsiegel stehe für nichts. „Und um dieses Nichts bekannt zu machen, will er 70 Millionen Euro ausgeben“, so Ebner. Und Schmidts Kabinettskollegin Hendricks betreibe „unverbindliche Ankündigungspolitik“. Die SPD könne sich doch dafür einsetzen, die Gentechnik und die Ausbringung des Unkrautvernichters Glyphosat zu stoppen. Sie tue es aber nicht. „Ein echter Politikwechsel ist eben nur mit Grün möglich“, so Ebners Fazit.
Die Demokratie sterbe an der Gleichgültigkeit ihrer Freunde, konstatierte Kerstin Andreae aus Freiburg, grüne Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg für die Bundestagswahl am 24. September. Sie streifte in ihrer Rede eine ganze Reihe nationaler und internationaler Politikfelder. So gelte es, Klimawandel und Flüchtlingspolitik im Zusammenhang zu sehen.
Andreae fordert Yücels Freilassung
In Bezug auf die Terroranschläge des vergangenen Jahres in der Bundesrepublik sagte Andreae, dass es fundamentale Aufgabe des Staates ist, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. „Aber wir dürfen nicht in Aktionismus und Schnellschüsse verfallen.“Es brauche die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Von Applaus begleitet wurde ihre Forderung auf Freilassung des „Welt“Journalisten Deniz Yücel, der derzeit in der Türkei in Untersuchungshaft sitzt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann gibt sich in seiner Rede wie bereits in den vergangenen Jahren betont staatstragend, in diesem Jahr sogar einen Hauch philosophisch, wenn er auf Kants Maximen des gemeinen Menschenverstands oder Lessings „Ringparabel“verweist. Kretschmanns rund einstündige Rede dreht sich um die Oberbegriffe Zusammenhalt der Gesellschaft, Innovation, ökologischer Strukturwandel und Nachhaltigkeit (mehr zu Kretschmanns Rede auf Seite 3 dieser Ausgabe).
Für einen emotionalen Moment sorgen zum Auftakt des Politischen Aschermittwochs Alina Welser, die Vorsitzende der Grünen Jugend Biberach, und Fadi Chunnar, ein Palästinenser, der 2015 von Damaskus nach Deutschland floh und jetzt ohne seine Frau und die drei Kinder in Maselheim lebt. „Ich musste sie zurücklassen, weil das Geld nicht für die Flucht der ganzen Familie gereicht hätte“, sagte er dem sichtlich bewegten Publikum. Obwohl seine Gedanken immer bei der Familie seien, lerne er hier jetzt viel Deutsch. „Die Leute in Maselheim mögen uns Flüchtlinge und wir mögen sie.“Trotzdem halte er das Warten fast nicht aus und hoffe auf ein baldiges Ende des Kriegs in Syrien. Alina Welser forderte in diesem Zusammenhang einen schnelleren Familiennachzug in Fällen wie diesem. Die Grüne Jugend sammelte dafür Unterschriften am Rand der Veranstaltung.