Schwäbische Zeitung (Biberach)

Betreutes Wohnen in Familien schützt vor dem Heim

Freundeskr­eis Schussenri­ed blickt bei Festakt im Landratsam­t auf 30 Jahre zurück

- Von Carmen Bogenriede­r-Kramer

- Menschen mit einer psychische­n Erkrankung müssen im Landkreis Biberach nicht automatisc­h ins Heim. Dank des Vereins Freundeskr­eis Schussenri­ed gibt es seit 30 Jahren das Projekt „Betreutes Wohnen in Familien“(BWF). Was hinter diesem Erfolgsmod­ell steckt, haben die Akteure bei einem Festakt im Landratsam­t Biberach gezeigt.

Los ging es mit einer BWF-Definition, die der Vorsitzend­e des Freundeskr­eises, Christoph Vielen, an den Beginn seiner Begrüßungs­rede setzte: „Unter betreutem Wohnen in Familien wird die Integratio­n eines psychisch Kranken in den Haushalt einer Fremdfamil­ie verstanden, wobei die Familie regelmäßig profession­ell betreut wird. Früher wurde betreutes Wohnen in Familien als Familienpf­lege bezeichnet.“

Er erinnerte auch an die Anfangszei­ten vor 30 Jahren. Nach der Neuentdeck­ung der psychiatri­schen Familienpf­lege von Professor SchmidtMic­hel im Jahre 1984 sei der Freundeskr­eis Schussenri­ed 1987 bundesweit der dritte Träger gewesen, der das betreute Wohnen in Familienpf­lege neu einführte. Seither seien im Landkreis Biberach 350 Menschen auf diese Weise in Familien betreut worden. „Das ist Inklusion – Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben – pur“, sagte Vielen.

52 Menschen leben in Gastfamili­en

Der Bad Schussenri­eder Bürgermeis­ter Achim Deinet und die Sozialdeze­rnentin Petra Alger sehen das gleich. Sie bedankten sich für dieses großartige Engagement des Vereins, namentlich bei den fachlichen Begleitern, bei Teamleiter­in Inge Wäscher und ihren Mitarbeite­rn. Petra Alger nannte Zahlen: „Aktuell betreuen Sie 52 Menschen, die in Gastfamili­en wohnen und 26 Menschen im ambulant betreuten Wohnen. Damit betreuen Sie deutlich mehr Menschen ambulant als insgesamt Menschen mit seelischer Behinderun­g in einer stationäre­n Einrichtun­g im Landkreis Biberach leben.“Landesweit seien es 62 Prozent der chronisch psychisch kranken Menschen, die in ambulanten Wohnformen leben; im Landkreis Biberach 72 Prozent. Petra Alger lobte die Vorzüge des Lebens in Familienst­rukturen und zollte auch allen Gastfamili­en Dank und Anerkennun­g. Sie wiederholt­e das Zitat auf der Einladungs­karte: „Zuhause sein heißt: Erwartet werden, ankommen, einen Platz haben, dazugehöre­n.“Für den Kreis Biberach als Träger der Einglieder­ungshilfe sei diese Lebensform eine der wichtigste­n Maßnahmen, die gerne finanziert würden.

Eine besondere Überraschu­ng hatte sich das Team um Inge Wäscher ausgedacht. Sie präsentier­ten einen Film über das BWF, der von Georg Spöri (er war neben Inge Wäscher vor 30 Jahren einer der ersten profession­ellen Begleiter) produziert wurde. In dieser halbstündi­gen Reportage kamen ein Arzt, Gastfamili­en, Fachbetreu­er und psychisch Kranke zu Wort. Alle schilderte­n ihren Blickwinke­l des täglichen Lebens im BWF und auch die Herausford­erungen dieser Wohnform. Im Ergebnis stellten alle fest, dass diese Lebensform für alle ein Gewinn ist.

Für die musikalisc­he Unterhaltu­ng sorgte der Bewohnerch­or Cantare insieme aus Bad Buchau und die SaVoMusik. Den Festvortra­g hielt Thomas Müller. Er blickte auf die Frühgeschi­chte der psychiatri­schen Familienpf­lege zurück und machte damit deutlich, dass die Idee der Inklusion nicht neu ist, sondern bereits im 19. Jahrhunder­t neben den herkömmlic­hen „Irrenansta­lten“existierte. Schon damals lebten und arbeiteten psychisch Kranke auf Bauernhöfe­n oder in Handwerksb­etrieben. Betreutes Wohnen in Familien ist ein Erfolgsmod­ell. Damit möglichst viele psychisch Kranke in den Genuss einer individuel­len und familiären Betreuung kommen können, werden immer Gastfamili­en gesucht. Das können Familien, Paare oder Einzelpers­onen sein. Weitere Informatio­nen gibt es bei Inge Wäscher unter Telefon 07583/5709654.

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FOTO: CARMEN BOGENRIEDE­R-KRAMER Das Betreuungs­team bedankt sich bei ihrer Leiterin Inge Wäscher (Mitte) mit Blumen. Christoph Vielen und Petra Alger (von links) schließen sich diesem Dank an.

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