Schwäbische Zeitung (Biberach)
Lautes Contra aus Fischbach für Erdogan
Oberschwäbische Familie Özkeles darf nicht abstimmen, wirbt aber für ein Nein beim türkischen Referendum
- Seit Montag dürfen türkische Staatsbürger in Deutschland ihre Stimme beim Verfassungsreferendum ihres Heimatlands abgeben. Cetin, Simon und Yasmin Özkeles aus Fischbach dürfen nicht abstimmen, da Vater, Sohn und Tochter nicht die türkische Staatsbürgerschaft haben. Freilich sind die Pläne des Präsidenten Erdogan dennoch Gesprächsthema daheim am Esstisch – und ihre Meinung glasklar: Sie sind gegen mehr Befugnisse für den Staatschef, dessen Gebaren sie unverhohlen „diktatorisch“nennen.
Und das sagen sie jedem, der es hören will: In ihrem überschaubaren Bekanntenkreis türkischer Herkunft, meist ohnehin überzeugt, werben sie genauso für ein Nein bei der Abstimmung wie unlängst bei Stern-TV. Der Fernsehsender RTL hatte zuvor über Erdogan-Anhänger berichtet. Für die hat Yasmin Özkeles wenig Verständnis. Sie schrieb im sozialen Netzwerk Facebook: „Ich verstehe die Türken hier in Deutschland nicht, die Erdogan toll finden. Wieso sind sie dann in Deutschland, in einem demokratischen Land?“
Unverständnis für Erdogan-Fans
Auf diesen Eintrag stieß die RTL-Redaktion und so kam es, dass bald darauf ein Kamerateam in Fischbach vorbeikam. „Unabhängig voneinander hat jeder von uns gleich gesagt: Da machen wir mit“, erzählt Simon Özkeles. Den 23-Jährigen hatte seine ältere Schwester Yasmin vorgeschickt, ist er doch der politisch Aktive in der Familie: Simon Özkeles sitzt im Ummendorfer Gemeinderat und führt den SPD-Ortsverein Biberach.
„Gott sei Dank wurden wir nicht ins Studio eingeladen“, sagt er, schließlich hätten sie alle keine Fernseherfahrung. „Aufregend genug war’s auch so.“Die Aufnahmen einzeln und im Familienkreis, im Haus und drumherum, was den Nachbarn nicht verborgen blieb, „und schwuppdiwupp waren vier Stunden rum“. Alles klappte, nur einmal habe der aus Köln angereiste Redakteur gemahnt, doch bitte nicht gar so sehr ins Schwäbische zu verfallen.
Die Familie ist sicher „keine typische deutsch-türkische Familie“, sagt Simon Özkeles – gerade deshalb nahmen sie diese Gelegenheit wahr: „Um zu zeigen, dass es in Deutschland auch viele Erdogan-Gegner gibt. Und damit man auch mal sieht, dass es Leute gibt, die total integriert sind.“Ohne den Nachnamen würden die türkischen Wurzeln kaum auffallen. Sein Vater Cetin Özkeles kam Anfang der 70er-Jahre nach Deutschland und ist mittlerweile 28 Jahre mit einer Schwäbin verheiratet – „das funktioniert“, sagt Simon Özkeles, dem es durchaus „gefällt, dass ich sozusagen ein Halbblut bin“. Für seinen Vater sei indes klar gewesen, dass die Kinder aufwachsen sollen wie ihre Umgebung. Yasmin und Simon wurden katholisch getauft. Und da seinerzeit jedenfalls auf Dauer kein Doppelpass gewährt wurde, wurden sie Deutsche – und Papa Cetin gab bald ebenfalls den türkischen Pass ab.
Was freilich nicht heißt, dass ihnen egal wäre, was in der Türkei passiert. Schließlich haben sie dort Verwandtschaft und machen Urlaub – bisher jedenfalls, denn „das fällt zunächst wohl ins Wasser“, sagt Simon Özkeles. Nach ihrer klaren Positionierung gegen Erdogan suchen sie vorerst wohl andere Urlaubsziele. „Die fackeln ja nicht lange“, sagt er über die Methoden der Regierung. Sie seien „gottfroh“, dass der Vater heil von einem Messeauftritt eines Biberacher Maschinenbauers in der Türkei heimgekehrt sei.
Laut seine Meinung sagen
Schweigen sei dennoch keine Option: „Wir sagen unsere Meinung frei heraus“, sagt Simon Özkeles, in Deutschland könne man das zum Glück und er sei als Sozialdemokrat in Oberschwaben sowieso „bestens gewappnet“für Kontroversen. Auf ihren Fernsehauftritt hätten sie einzelne Hassmails bekommen und viele positive Rückmeldungen, „was uns sehr gefreut gefreut hat“. Und einige ohne klare Wertung: Simon Özkeles vermutet, dass viele Türken schlicht Angst hätten – dies sei Erdogan leider schon gelungen. Einem solchen „Alphamännchen“dürfe man nicht das Feld überlassen, sagt er und greift ein Wort von Gerhard Schröder (SPD) auf: „Es braucht einen Aufstand der Anständigen.“Zutiefst bedauert er, dass Integrationserfolge von Türken in Deutschland zunichte gemacht würden. Mit Sorge blickt er in die Zukunft: „Egal wie das Referendum ausgeht“, die unterlegene Seite könnte „das letzte Aufgebot“mobilisieren, fürchtet er.