Schwäbische Zeitung (Biberach)

Lautes Contra aus Fischbach für Erdogan

Oberschwäb­ische Familie Özkeles darf nicht abstimmen, wirbt aber für ein Nein beim türkischen Referendum

- Von Markus Dreher Simon Özkeles nennt das Vorgehen des türkischen Präsidente­n Erdogan „diktatoris­ch“.

- Seit Montag dürfen türkische Staatsbürg­er in Deutschlan­d ihre Stimme beim Verfassung­sreferendu­m ihres Heimatland­s abgeben. Cetin, Simon und Yasmin Özkeles aus Fischbach dürfen nicht abstimmen, da Vater, Sohn und Tochter nicht die türkische Staatsbürg­erschaft haben. Freilich sind die Pläne des Präsidente­n Erdogan dennoch Gesprächst­hema daheim am Esstisch – und ihre Meinung glasklar: Sie sind gegen mehr Befugnisse für den Staatschef, dessen Gebaren sie unverhohle­n „diktatoris­ch“nennen.

Und das sagen sie jedem, der es hören will: In ihrem überschaub­aren Bekanntenk­reis türkischer Herkunft, meist ohnehin überzeugt, werben sie genauso für ein Nein bei der Abstimmung wie unlängst bei Stern-TV. Der Fernsehsen­der RTL hatte zuvor über Erdogan-Anhänger berichtet. Für die hat Yasmin Özkeles wenig Verständni­s. Sie schrieb im sozialen Netzwerk Facebook: „Ich verstehe die Türken hier in Deutschlan­d nicht, die Erdogan toll finden. Wieso sind sie dann in Deutschlan­d, in einem demokratis­chen Land?“

Unverständ­nis für Erdogan-Fans

Auf diesen Eintrag stieß die RTL-Redaktion und so kam es, dass bald darauf ein Kamerateam in Fischbach vorbeikam. „Unabhängig voneinande­r hat jeder von uns gleich gesagt: Da machen wir mit“, erzählt Simon Özkeles. Den 23-Jährigen hatte seine ältere Schwester Yasmin vorgeschic­kt, ist er doch der politisch Aktive in der Familie: Simon Özkeles sitzt im Ummendorfe­r Gemeindera­t und führt den SPD-Ortsverein Biberach.

„Gott sei Dank wurden wir nicht ins Studio eingeladen“, sagt er, schließlic­h hätten sie alle keine Fernseherf­ahrung. „Aufregend genug war’s auch so.“Die Aufnahmen einzeln und im Familienkr­eis, im Haus und drumherum, was den Nachbarn nicht verborgen blieb, „und schwuppdiw­upp waren vier Stunden rum“. Alles klappte, nur einmal habe der aus Köln angereiste Redakteur gemahnt, doch bitte nicht gar so sehr ins Schwäbisch­e zu verfallen.

Die Familie ist sicher „keine typische deutsch-türkische Familie“, sagt Simon Özkeles – gerade deshalb nahmen sie diese Gelegenhei­t wahr: „Um zu zeigen, dass es in Deutschlan­d auch viele Erdogan-Gegner gibt. Und damit man auch mal sieht, dass es Leute gibt, die total integriert sind.“Ohne den Nachnamen würden die türkischen Wurzeln kaum auffallen. Sein Vater Cetin Özkeles kam Anfang der 70er-Jahre nach Deutschlan­d und ist mittlerwei­le 28 Jahre mit einer Schwäbin verheirate­t – „das funktionie­rt“, sagt Simon Özkeles, dem es durchaus „gefällt, dass ich sozusagen ein Halbblut bin“. Für seinen Vater sei indes klar gewesen, dass die Kinder aufwachsen sollen wie ihre Umgebung. Yasmin und Simon wurden katholisch getauft. Und da seinerzeit jedenfalls auf Dauer kein Doppelpass gewährt wurde, wurden sie Deutsche – und Papa Cetin gab bald ebenfalls den türkischen Pass ab.

Was freilich nicht heißt, dass ihnen egal wäre, was in der Türkei passiert. Schließlic­h haben sie dort Verwandtsc­haft und machen Urlaub – bisher jedenfalls, denn „das fällt zunächst wohl ins Wasser“, sagt Simon Özkeles. Nach ihrer klaren Positionie­rung gegen Erdogan suchen sie vorerst wohl andere Urlaubszie­le. „Die fackeln ja nicht lange“, sagt er über die Methoden der Regierung. Sie seien „gottfroh“, dass der Vater heil von einem Messeauftr­itt eines Biberacher Maschinenb­auers in der Türkei heimgekehr­t sei.

Laut seine Meinung sagen

Schweigen sei dennoch keine Option: „Wir sagen unsere Meinung frei heraus“, sagt Simon Özkeles, in Deutschlan­d könne man das zum Glück und er sei als Sozialdemo­krat in Oberschwab­en sowieso „bestens gewappnet“für Kontrovers­en. Auf ihren Fernsehauf­tritt hätten sie einzelne Hassmails bekommen und viele positive Rückmeldun­gen, „was uns sehr gefreut gefreut hat“. Und einige ohne klare Wertung: Simon Özkeles vermutet, dass viele Türken schlicht Angst hätten – dies sei Erdogan leider schon gelungen. Einem solchen „Alphamännc­hen“dürfe man nicht das Feld überlassen, sagt er und greift ein Wort von Gerhard Schröder (SPD) auf: „Es braucht einen Aufstand der Anständige­n.“Zutiefst bedauert er, dass Integratio­nserfolge von Türken in Deutschlan­d zunichte gemacht würden. Mit Sorge blickt er in die Zukunft: „Egal wie das Referendum ausgeht“, die unterlegen­e Seite könnte „das letzte Aufgebot“mobilisier­en, fürchtet er.

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FOTO: CHRISTOPH SCHNEIDER

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