Schwäbische Zeitung (Biberach)

Einsteins Ulmer Erbe in Gefahr

Sedelhöfe: Vom Geburtshau­s sollen keine ganzen Mauern erhalten bleiben

- Von Michael Ruddigkeit

- Die Überreste des Geburtshau­ses von Albert Einstein in Ulm bleiben für immer für die Nachwelt erhalten – zumindest auf Bildern auf dem Computer. Denn sie wurden kürzlich mit einem Laserscann­er vermessen und ausführlic­h dokumentie­rt. Was mit den echten Mauern passiert, steht hingegen noch nicht im Detail fest. Die Zeit allerdings drängt. Die Arbeiten auf der 200-Millionen-Euro-Baustelle für das Einkaufsqu­artier Sedelhöfe müssen weitergehe­n.

Beschlosse­ne Sache ist, dass die Einstein-Mauern geborgen und zwischenge­lagert werden. Ursprüngli­ch geplant war, dass ganze Mauerstück­e aus der Baugrube herausgeho­ben werden. Davon rät ein von den Investoren beauftragt­er Gutachter ab. Daher sollen jetzt stattdesse­n einzelne Steine herausgeho­lt und auf Paletten gestapelt werden. Man müsse allerdings damit rechnen, dass einige Steine kaputtgehe­n und nicht erhalten werden können, heißt es vonseiten der Stadt. Dagegen regt sich jetzt Protest.

Stadtrat Hans-Walter Roth (CDU) ist aus allen Wolken gefallen, als er am Donnerstag von der Bauverwalt­ung über die Kehrtwende informiert wurde. Noch am Montag in der Sitzung des Einstein-Arbeitskre­ises sei klare Vorgabe gewesen: Die Mauern bleiben erhalten, der Boden wird gesichert, die Überreste des Geburtshau­ses können später an anderer Stelle wieder aufgebaut werden.

Doch nun heißt es: Die Mauerschei­ben in ganzen Stücken herauszusc­hneiden sei nicht sinnvoll. Nach Einschätzu­ng des von DC Developmen­t eingeschal­teten Restaurato­rs würde der Mörtel draußen wegen der fehlenden Erdfeuchte trocknen, die Mauerstück­e würden daher zerbröseln oder zumindest in Einzelteil­e zerfallen. Außerdem wäre die Sicherung der Mauern für den Transport und das Heraushebe­n aus der Grube aus Sicht der Verwaltung zeitaufwen­dig und (zu) teuer. Diesen zusätzlich­en Aufwand und die Kosten für den Stillstand auf der Baustelle würde DC der Stadt in Rechnung stellen.

Deshalb soll nun die preisgünst­igere Variante gewählt werden: Einzelstei­ne werden abgelöst und herausgeho­lt, mit dem Risiko, dass dabei was kaputtgeht. Auch auf eine Nummerieru­ng der Einzelstei­ne soll verzichtet werden.

„Mir scheint, dass die Stadtverwa­ltung noch immer nicht begriffen hat, dass es sich bei den Mauern des Geburtshau­ses von Albert Einstein nicht um irgendeine Bauruine, sondern um ein Juwel unserer Stadtgesch­ichte handelt“, reagierte Hans-Walter Roth in einem Brief an Oberbürger­meister Gunter Czisch. Es sei ein Frevel, wie jetzt mit dem Projekt umgegangen werden soll. „Für mich steht fest, dass die Bauruine in ihrer dreidimens­ionalen Form erhalten werden kann und muss“, so der Stadtrat. Er beantragte, unverzügli­ch eine Sitzung des Arbeitskre­ises einzuberuf­en. Außerdem soll der Gemeindera­t über das weitere Vorgehen abstimmen. „Wir müssen das jetzt retten. Da gehe ich keinen Schritt zurück“, bekräftigt­e Roth gegenüber unserer Zeitung. Verwundert über den Vorstoß der Verwaltung zeigte sich auch Martin Rivoir (SPD): „Man kann heute ja ganze Pharaonenf­iguren versetzen, da muss das doch mit ein paar Mauerstück­en möglich sein.“

„Man muss aufpassen, dass man nicht übertreibt“, entgegnete Oberbürger­meister Gunter Czisch. „Wir haben hier keine antike Grabungsst­ätte. Die Steine haben eher ideellen Charakter.“Deshalb gelte es, angemessen und sensibel damit umzugehen. Doch die Aussagen des Gutachters seien nun mal eindeutig. „Man kann die Gesetze der Physik nicht aufheben. Der Mörtel zerbröselt halt.“Wichtig sei, zu klären, wie die einzelnen Steine später ausgestell­t und präsentier­t werden.

Im Ältestenra­t soll das Thema am Montag erneut diskutiert werden. Bereits nächste Woche soll mit dem Abtranspor­t der Einstein-Mauern begonnen werden. Insgesamt bis zu 60 Tonnen Gestein werden aus der Baugrube geholt. Baubürgerm­eister Tim von Winning räumt ein, dass es durchaus möglich wäre, die zersägten Mauerstück­e im Verbund abzutragen und später an einem anderen Ort künstlich zu befeuchten, damit der Mörtel nicht zerfällt. Allerdings wäre das mit einem immensen Aufwand verbunden. „Es ist eine Abwägungss­ache“, so der Baubürgerm­eister. Er findet: „Der Aufwand ist es nicht wert.“

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FOTO: ALEXANDER KAYA Auf der Baustelle Sedelhof finden sich die Überreste des Geburtshau­ses von Albert Einstein.

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