Schwäbische Zeitung (Biberach)
„In Biberach zu bauen, ist ein Privileg“
Architekturprofessor Jörg Aldinger spricht über moderne Bauten in der Stadt.
- „Biberach ist die Stadt der guten Architektur“, sagt der Stuttgarter Architekt Jörg Aldinger. Betrachtet man die Leserbriefe, die in der SZ in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Bauprojekten in der Stadt erschienen sind, lässt eine solche Aussage aufhorchen. SZ-Redakteur Gerd Mägerle hat mit dem Architekten über die Baukultur in Biberach und Herausforderungen für die Zukunft gesprochen.
Herr Aldinger, bei der Präsentation des Hotelprojekts im früheren EVS-Gebäude, das Sie planen, sagten ie kürzlich, dass Biberach die Stadt der guten Architektur sei und dass man in der Architektenszene über Biberach spreche. Was bringt Sie zu dieser Aussage?
Biberach hat es verstanden, seine Historie pfleglich zu behandeln. Durch den Krieg gab es kaum Zerstörungen und in den Wirtschaftswunderjahren hat man die Geschichte nicht aus dem Stadtbild entfernt, weil man Wachstumsfantasien hatte. Sie ist im Stadtkern noch immer ablesbar. Man hatte und hat in Biberach das kulturelle Verständnis, dass schöne historische Gebäude zur Identität der Stadt dazugehören, dass man sie pflegt und erhält. Dafür gibt es unzählige Beispiele: das Rathaus, das Museum, das katholische Gemeindehaus oder die Stadtbibliothek.
Für diese Aussage ernten Sie in der Bürgerschaft vermutlich fast 100 Prozent Zustimmung. Nun entstehen derzeit am Zeppelin- und am Bismarckring viele neue Gebäude. Reden wir hier auch von guter Architektur?
Wo Neues hinzukommt, soll das auch in guter Qualität entstehen, muss aber zeitgenössisch übertragen werden. Um diese Qualität zu erhalten, sind Architektenwettbewerbe, wie sie in Biberach praktiziert werden, ein gutes Mittel. Ich finde, das kann man am Ring in Biberach auch gut beobachten. Das hat alles Qualität und kann in seiner jeweiligen Zeit verortet werden. Die Zentrale der Kreissparkasse hat in den 90er-Jahren sicher für Diskussionen gesorgt. Natürlich sieht man dem Gebäude an, dass es 90er-Jahre ist, aber es hat eine klare Struktur und steht gut da. Dagegen spiegelt das Erweiterungsgebäude der Kreissparkasse die 2010er-Jahre. Die Barcode-Fassade symbolisiert auf architektonische Weise die zunehmende Digitalisierung. Das ist alles mit großer Qualität gemacht. Stadtverwaltung und Gemeinderat fordern das auch ein.
Kritiker würden Ihnen jetzt entgegnen, dass es sich bei den neuen Gebäuden am Ring um austauschbare Würfelbauten handelt, die ich genauso in Stuttgart, Ulm oder Friedrichshafen finde. Was antworten Sie darauf?
Ich werbe zunächst einmal um Verständnis. Es gibt derzeit einen Strukturwandel in vielen Bereichen. Süddeutschland boomt, es gibt einen eindeutigen Trend, dass die Leute in die Städte ziehen. Das wiederum bringt einen Siedlungsdruck und einen wirtschaftlichen Druck auf die Städte mit sich. -2Das führt zu steigenden Preisen und der Notwendigkeit, baulich nachzuverdichten. Es stimmt: Das sieht tatsächlich ähnlich aus wie in Stuttgart, Ulm oder Friedrichshafen. Das kann ich nicht bestreiten, aber ich habe eine Erklärung: Diese Städte haben den gleichen Siedlungsdruck und vergleichbare wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die Politik ist gefordert, dabei auf Qualität zu achten. Und die Perlenkette von Kuben – wenn man sie denn so nennen will – am Ring in Biberach zeigt gute architektonische Handschriften und Qualität. Das ist nicht selbstverständlich. Ich bin in den Gestaltungsbeiräten dreier Städte und sehe da viele neue Projekte. Und ich sehe auch, dass so manche Stadtverwaltung die Schultern nicht so breit macht für gute Qualität wie hier. In Biberach zu bauen, ist für einen Architekten ein Privileg. Das meine ich ernst.
Gibt es denn architektonisch etwas, das Ihnen in Biberach nicht gefällt?
Sie hören mich schweigen. Ich mache gerade im Geiste einen Rundgang durch die Stadt, aber konkret fällt mir jetzt nichts ein. Sicherlich gibt es einzelne Bausünden, aber die gibt es überall. Das erträgt eine Stadt.
Derzeit scheinen die würfelförmigen Gebäude in Mode zu sein – wohin geht der Trend bei der Architektur der Zukunft?
Die architektonischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte sind nicht die Gebäude. Wie die aussehen werden, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Unser Problem in Zukunft werden die Städte selbst sein. Die Unesco geht davon aus, dass 2030 etwa 70 Prozent aller Menschen in Städten oder stadtähnlichen Strukturen leben. Das ist gigantisch. Auch Biberach wird diesen Druck spüren. Die Städte müssen sinnvoll nachverdichtet werden. Gleichzeitig muss die Stadt lebenswert bleiben. Dazu gehören das Stärken des öffentlichen Raums, Begrünung und neue Mobilitätskonzepte, möglichst mit weniger Autos. Als Stuttgarter bin ich da leidgeprüft. Die Gebäude in den Städten der Zukunft müssen flexibel sein, was Grundrisse und Gebäudetechnik angeht. Und sie müssen mit der demografischen Entwicklung einhergehen. Unter denen, die vom Land in die Stadt ziehen, sind immer mehr ältere Menschen. Sie suchen die kulturelle, merkantile und soziale Stadt. Ein europäisches Privileg, in dem es sich zu leben lohnt.