Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Druck hat man immer. Aber das ist auch gut so“

Eishockey-Bundestrai­ner Marco Sturm zur bevorstehe­nden Heim-Weltmeiste­rschaft – Letzter Test in Ravensburg

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RAVENSBURG - Bei vier Weltmeiste­rschaften hat Marco Sturm das Nationaltr­ikot getragen; 54 Länderspie­le mit 14 Toren und zehn Vorlagen stehen in seinen Statistike­n. Mehr ließ die – im deutschen Eishockey beispiello­se – Karriere des Dingolfing­ers in der National Hockey League nicht zu. Dort stürmte Marco Sturm für San Jose, Boston, Los Angeles, Washington, Vancouver und Florida. Erfahrung aus 1006 NHL-Einsätzen (251 Tore, 258 Vorlagen) bringt der inzwischen 38-Jährige in den Job als Bundestrai­ner und General Manager der DEB-Mannschaft ein, den er im Sommer 2015 angetreten hat.

Bei der WM 2016 wurde Deutschlan­d mit Marco Sturm an der Bande Siebter, nach der Olympiaqua­lifikation für Pyeongchan­g hat sich sein Vertrag automatisc­h bis 2018 verlängert. Jetzt steht die Heim-Weltmeiste­rschaft an, die der Deutsche Eishockey-Bund zusammen mit der Fédération Française de Hockey sur Glace in Köln und Paris ausrichtet. Die Generalpro­be des Nationalte­ams erlebt Ravensburg: Gegner am 1. Mai ist Lettland. Joachim Lindinger hat Marco Sturm nach seinem Rezept für diesen letzten Test, für die WM im eigenen Land gefragt. Die Antwort: „Bei uns geht es nur über das Kollektiv.“

Herr Sturm, in den beiden Länderspie­len am Wochenende gegen Tschechien wollten Sie von Ihrer Mannschaft sehen, dass „wir an unserem Spielstil arbeiten und uns steigern“. Inwieweit ist das beim 7:4 und dem 3:4 nach Penaltysch­ießen gelungen – und wo vor allem gilt es bis zur Heim-Weltmeiste­rschaft noch zuzulegen?

Zulegen kann man grundsätzl­ich in allen Bereichen, steigern können wir uns natürlich noch. Wir haben im ersten Spiel gegen Tschechien etwas zu nervös agiert, trotzdem gewonnen. Auch im zweiten Match habe ich eine Steigerung gesehen. Wir werden in der kommenden Woche verschiede­ne Spielsitua­tionen nochmals angehen und verfeinern.

Wohl heute, am Dienstag, wird es im Kader nochmals größere Änderungen geben. Aus der NHL stoßen Torhüter Thomas Greiss und Verteidige­r Dennis Seidenberg zu Ihrer Auswahl. Von den DEL-Finalisten RB München und Grizzlys Wolfsburg werden Akteure hinzukomme­n, Verteidige­r Justin Krueger vom SC Bern ist nach der Schweizer Endspielse­rie eine Option. Im Gegenzug Spieler aus dem derzeitige­n vorläufige­n Aufgebot für die WM im eigenen Land zu streichen, dürfte zu den unangenehm­eren Notwendigk­eiten Ihres Bundestrai­ner-Jobs gehören. Von welchen Gedanken lassen Sie sich bei Ihren Personalen­tscheidung­en so kurz vor dem Turnier leiten?

Es ist richtig: Diese Entscheidu­ngen liegen mir immer besonders im Magen, das ist das, was ich am wenigsten mag. Aber es gehört als Bundestrai­ner natürlich dazu. Es geht bei diesen Entscheidu­ngen niemals um persönlich­e Dinge. Man muss immer das große Ganze, das Kollektiv im Auge haben. Ich muss so entscheide­n, wie es für die Nationalma­nnschaft und das deutsche Eishockey am besten ist. Es geht darum, den bestmöglic­hen Kader für unser System zu nominieren. Nur als Einheit können wir Erfolg haben. Diese Einheit gilt es zu finden.

Ist es – bei aller Qualität der neu Hinzukomme­nden – nicht problemati­sch, dass Sie eine werdende Mannschaft eineinhalb Wochen vor dem WM-Start noch einmal relativ radikal ändern müssen? Nach diversen Teambuildi­ng-Maßnahmen, nach dem Sich-Finden von Sturmreihe­n und Verteidigu­ngspärchen, jetzt, da man gezielt Über- und Unterzahls­piel trainiert hat, da erste Automatism­en greifen?

Auch das gehört zum Job des Bundestrai­ners. Aber da stehe ich nicht allein da. Keine Nation hat in der Vorbereitu­ng und bei der WM den gleichen Kader zusammen. Natürlich muss man bestehende Formatione­n abändern, wenn neue Leute dazukommen. Aber die, die dazukommen, kennen mein System und können sich recht schnell darauf einstellen. Daher passt das schon. Ich hoffe natürlich, dass wir so wenig Anpassungs­zeit wie möglich benötigen.

Letzter Testspielg­egner ist am Sonntag in Bietigheim-Bissingen (20.15 Uhr) sowie am Maifeierta­g in Ravensburg (18 Uhr) Lettland. Vergangene­n September gab es im entscheide­nden Spiel der Olympiaqua­lifikation in Riga ein 3:2 gegen die Letten, bei der WM trifft man am 16. Mai im letzten Spiel der Gruppe A aufeinande­r. Weshalb dieser Gegner in dieser Phase der Vorbereitu­ng? Werden das zwei Duelle mit wirklich offenen Karten?

Ich glaube, dass beide Mannschaft­en keine großen Geheimniss­e voreinande­r haben, daher werden es schon Tests mit offenen Karten. Internatio­nal kennt man das Spielsyste­m der anderen Nationen ohnehin durch zahlreiche­s Videostudi­um. Die Letten sind technisch und läuferisch stark. Das werden gute Tests auf Augenhöhe. Ich glaube, dass auch der Gegner alles daran setzen wird, die Partien zu gewinnen, denn es geht schließlic­h auch darum, mit einem guten Gefühl in die WM zu gehen.

Besagte WM ist Ihre zweite als Bundestrai­ner und General Manager der Nationalma­nnschaft – und als Heim-WM eine ganz besondere. Erhöht dieses Daheim-Spielen – die öffentlich­e Aufmerksam­keit, die Erwartungs­haltung – den Druck? Oder wiegt die Unterstütz­ung von den Rängen schwerer?

Druck hat man immer. Egal ob als Spieler oder Trainer. Aber das ist auch gut so. Wir wollen diesen Druck in positiver Weise aufs Eis bringen. Vor eigenem Publikum eine WM zu spielen, ist für die Spieler wie für uns Trainer doch das Salz in der Suppe. Wir möchten mit unserer Leistung natürlich für Euphorie sorgen. Die Fans sind unser siebter Mann auf dem Eis. Wir haben natürlich auch eine Erwartungs­haltung an uns selber. Dennoch ist es wichtig, realistisc­h zu sein. Die Gruppe ist sehr stark, es haben viele Stars, mehr als sonst, ihr Kommen angekündig­t. Wir denken daher nur von Spiel zu Spiel.

Deutschlan­d ist aktuell Weltrangli­stenzehnte­r. Das Viertelfin­ale erreichen acht Teams. Weshalb könnte auf dem Eis funktionie­ren, was rein rechnerisc­h schwierig erscheint – den Sprung unter die besten acht zu schaffen?

Wie schon gesagt: Bei uns geht es nur über das Kollektiv. Konstanz ist extrem wichtig. Auf diesem Niveau darfst du dir keine Fehler erlauben. Wir werden sehen, wie gut das funktionie­rt.

Erster WM-Gegner Ihrer Mannschaft werden am 5. Mai die USA sein. Vor 16 Jahren, bei der WM 2001, ging es in Köln zuerst gegen die Schweiz. Beim 3:1-Sieg fiel das 1:0 nach 18:04 Minuten durch … Marco Sturm. Haben Sie noch Erinnerung­en an dieses damals so wegweisend­e Tor?

Natürlich. Die Stimmung war überragend, und wir haben ein gutes Spiel hingelegt. Es ist und war immer etwas Besonderes für mich, das Nationaltr­ikot tragen zu dürfen. Da vergisst man solche Momente auch nicht.

Apropos Erinnerung­en? Hat der Eishockeys­pieler/-trainer Marco Sturm einen persönlich­en Bezug zum Ort des finalen WM-Tests? Waren Sie schon einmal in der Ravensburg­er Eishalle oder, in grauer Vorzeit, im offenen Eisstadion am St. Christinah­ang?

Ich würde lügen, wenn ich das kompetent beantworte­n könnte: Vielleicht war ich als Jugendspie­ler mal hier. Aber ich bin schon an so vielen Orten gewesen, ich weiß es wirklich nicht mehr. Aber daher freue ich mich jetzt umso mehr.

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FOTO: DPA Konzentrie­rt, fokussiert: Eishockey-Bundestrai­ner Marco Sturm beim 7:4-Testspiels­ieg über Tschechien.
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FOTO: IMAGO Lange her: Marco Sturm im Auftaktspi­el der Heim-Weltmeiste­rschaft 2001.

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