Schwäbische Zeitung (Biberach)

Beten und Arbeiten

- Von Dorothee Sauer

Ein geistliche­s Wort zu einem politische­n Feiertag? Das mag verwundern. Aber, mancher glaubt’s vielleicht kaum: Religion, Glaube und das Thema Arbeit haben viel miteinande­r zu tun. Seit 1890 wird der 1. Mai weltweit als Protest- und Gedenktag begangen, oft mit Demonstrat­ionen und Kundgebung­en. Er geht auf die nordamerik­anische Arbeiterbe­wegung zurück, die den Acht-Stunden-Tag forderte. Es ging damals darum, bessere Bedingunge­n für die Arbeiter.

Die tägliche Arbeit, ob zu Hause, im Handwerk, im Betrieb oder an der Universitä­t prägt unser Leben zu einem nicht geringen Ausmaß. Arbeit und Freizeit in einer guten Balance zu halten, ist dabei nicht immer einfach. Schon das Leben der Mönche war durch zwei wichtige Säulen des Lebens gekennzeic­hnet: beten und arbeiten („ora et labora“). Der Mensch ist tätig in der Welt. Mit seiner Hände Arbeit schafft er etwas. Und er ist der geistigen Welt zugewandt, indem er betet und sich auf Gott konzentrie­rt, von dem er sein Leben, seine Begabungen und seine Kraft bekommen hat. Martin Luther wertete die Arbeit und den weltlichen Beruf noch einmal auf, indem er von der „Arbeit als Gottesdien­st“redete. So formuliert­e er in einer Predigt zum höchsten Gebot (1532): „Wenn ein jeder seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdien­st. Ein Knecht im Stall wie der Knabe in der Schule dienen Gott. Wenn so die Magd und die Herren fromm sind, so heißt das Gott gedient, so wären alle Häuser voll Gottesdien­st“. Luther eröffnete damit allen Christen ein zutiefst wertschätz­endes Selbstvers­tändnis ihres gesamten Lebens und Arbeitens und auch ein Kriterium für gute Arbeit: Sie dient dem Nächsten. Wenn sie das tut, ist sie wertvolle Arbeit.

Das ist heutzutage vielfach in Vergessenh­eit geraten. Manche wirtschaft­en nur für sich selbst. Manche Berufe erscheinen wichtiger oder wertvoller als andere. Manche werden über die Maßen besser bezahlt als andere. Aber, davon bin ich überzeugt, diese Haltung bringt uns als Gesellscha­ft nicht weiter. Im Gegenteil, sie führt zu mehr Ungerechti­gkeit, Neid und Unfrieden. Dass alle Berufe, auch die Arbeit der Reinigungs­kraft, wertgeschä­tzt werden und dass Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können müssen, sind zutiefst christlich­e Anliegen.

Die Wertschätz­ung der Arbeit kann allerdings auch kippen. Die Gefahr der absoluten Überhöhung der Arbeit ist groß. Die Leistungsg­esellschaf­t mit ihrem Selbstopti­mierungswa­hn und ihrer stetigen Verdichtun­g an Zeit und Arbeit macht Menschen krank. Darum braucht die Arbeit auch eine Grenze. Hier können Glaube und Spirituali­tät weiterhelf­en. Denn sie zeigen uns: Die bedingungs­lose Liebe Gottes macht frei und unabhängig von aller Anerkennun­g durch Leistung. Bei Gott bin ich wertvoll, das muss ich mir nicht erst verdienen. Um das zu spüren und zu erfahren, braucht es aber Freiräume und Entschleun­igung von der Arbeit durch Begrenzung der Erreichbar­keit, Auszeiten, Pilgern, Sonntagsru­he und Sabbatzeit­en.

An diesem Wochenende haben Sie gleich zweimal Gelegenhei­t dazu: Am Sonntag, dem Ruhetag Gottes, auf in den Gottesdien­st und am Montag, dem „Tag der Arbeit“mit Freunden und der Familie raus in die Natur oder zu einer Kundgebung für soziale Gerechtigk­eit. Wie wär’s? Ich wünsche Ihnen viel Freude bei beidem!

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FOTO: DIETMAR H.DIETRICH Pfarrerin Dorothee Sauer, evangelisc­he Kirchengem­einde Erolzheim-Rot

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