Schwäbische Zeitung (Biberach)
Beten und Arbeiten
Ein geistliches Wort zu einem politischen Feiertag? Das mag verwundern. Aber, mancher glaubt’s vielleicht kaum: Religion, Glaube und das Thema Arbeit haben viel miteinander zu tun. Seit 1890 wird der 1. Mai weltweit als Protest- und Gedenktag begangen, oft mit Demonstrationen und Kundgebungen. Er geht auf die nordamerikanische Arbeiterbewegung zurück, die den Acht-Stunden-Tag forderte. Es ging damals darum, bessere Bedingungen für die Arbeiter.
Die tägliche Arbeit, ob zu Hause, im Handwerk, im Betrieb oder an der Universität prägt unser Leben zu einem nicht geringen Ausmaß. Arbeit und Freizeit in einer guten Balance zu halten, ist dabei nicht immer einfach. Schon das Leben der Mönche war durch zwei wichtige Säulen des Lebens gekennzeichnet: beten und arbeiten („ora et labora“). Der Mensch ist tätig in der Welt. Mit seiner Hände Arbeit schafft er etwas. Und er ist der geistigen Welt zugewandt, indem er betet und sich auf Gott konzentriert, von dem er sein Leben, seine Begabungen und seine Kraft bekommen hat. Martin Luther wertete die Arbeit und den weltlichen Beruf noch einmal auf, indem er von der „Arbeit als Gottesdienst“redete. So formulierte er in einer Predigt zum höchsten Gebot (1532): „Wenn ein jeder seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdienst. Ein Knecht im Stall wie der Knabe in der Schule dienen Gott. Wenn so die Magd und die Herren fromm sind, so heißt das Gott gedient, so wären alle Häuser voll Gottesdienst“. Luther eröffnete damit allen Christen ein zutiefst wertschätzendes Selbstverständnis ihres gesamten Lebens und Arbeitens und auch ein Kriterium für gute Arbeit: Sie dient dem Nächsten. Wenn sie das tut, ist sie wertvolle Arbeit.
Das ist heutzutage vielfach in Vergessenheit geraten. Manche wirtschaften nur für sich selbst. Manche Berufe erscheinen wichtiger oder wertvoller als andere. Manche werden über die Maßen besser bezahlt als andere. Aber, davon bin ich überzeugt, diese Haltung bringt uns als Gesellschaft nicht weiter. Im Gegenteil, sie führt zu mehr Ungerechtigkeit, Neid und Unfrieden. Dass alle Berufe, auch die Arbeit der Reinigungskraft, wertgeschätzt werden und dass Menschen von ihrer Hände Arbeit leben können müssen, sind zutiefst christliche Anliegen.
Die Wertschätzung der Arbeit kann allerdings auch kippen. Die Gefahr der absoluten Überhöhung der Arbeit ist groß. Die Leistungsgesellschaft mit ihrem Selbstoptimierungswahn und ihrer stetigen Verdichtung an Zeit und Arbeit macht Menschen krank. Darum braucht die Arbeit auch eine Grenze. Hier können Glaube und Spiritualität weiterhelfen. Denn sie zeigen uns: Die bedingungslose Liebe Gottes macht frei und unabhängig von aller Anerkennung durch Leistung. Bei Gott bin ich wertvoll, das muss ich mir nicht erst verdienen. Um das zu spüren und zu erfahren, braucht es aber Freiräume und Entschleunigung von der Arbeit durch Begrenzung der Erreichbarkeit, Auszeiten, Pilgern, Sonntagsruhe und Sabbatzeiten.
An diesem Wochenende haben Sie gleich zweimal Gelegenheit dazu: Am Sonntag, dem Ruhetag Gottes, auf in den Gottesdienst und am Montag, dem „Tag der Arbeit“mit Freunden und der Familie raus in die Natur oder zu einer Kundgebung für soziale Gerechtigkeit. Wie wär’s? Ich wünsche Ihnen viel Freude bei beidem!