Schwäbische Zeitung (Biberach)

Merkels Donnerschl­ag hallt nach

Kanzlerin kritisiert Trump und löst Debatte über mehr Eigenständ­igkeit der EU aus

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(tos/rabu) - Das Echo ist gewaltig, die deutsche Regierungs­chefin beherrscht mit ihrer Bierzelt-Rede auch die Schlagzeil­en in Amerika. Eine neue Zeitenwend­e breche an, Angela Merkel (CDU) schwinge sich zur Führerin der westlichen Welt ohne Washington auf, so der Tenor.

Die Kanzlerin war zuvor auf Distanz zu Donald Trump gegangen: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen können, sind ein Stück vorbei“, brachte sie am Sonntag das Misstrauen gegenüber Trump zur Sprache. Nach den Nato- und G7-Gipfeln, bei denen Trump die Partner vor den Kopf gestoßen hatte, sei klar: „Wir Europäer müssen unser Schicksal in unsere eigene Hand nehmen.“

Auch SPD-Chef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz blies am Montag ins selbe Horn, versuchte Merkel noch zu übertönen: „Politische Erpressung“warf er Trump vor. Der USPräsiden­t setze nicht auf internatio­nale Kooperatio­n, „sondern auf Isolationi­smus und das vermeintli­che Recht des Stärkeren“. SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley warf jedoch der Kanzlerin eine Inszenieru­ng vor: „Es ist keine Kunst, im Bierzelt über Donald Trump zu schimpfen.“

Dabei erinnerte Merkels Kursschwen­k an Gerhard Schröder. Der SPD-Altkanzler hatte 2003 bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng Nein zum Irak-Krieg gesagt und damit das Zerwürfnis mit der Regierung von George W. Bush heraufbesc­hworen. Welche Konsequenz­en Merkels Donnerschl­ag-Rede haben wird, ist indes kaum abzusehen. Regierungs­sprecher Steffen Seibert leistete Interpreta­tionshilfe und legte Wert auf die Feststellu­ng, dass in München „eine tief überzeugte Transatlan­tikerin“gesprochen habe. Gerade weil die Beziehunge­n zu Washington diese große Bedeutung hätten, sei es richtig, Differenze­n ehrlich anzusprech­en.

Wie also soll es weitergehe­n? Bis zum G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg bleibt nicht viel Zeit, neue Allianzen zu schmieden. Der Koalitions­partner SPD macht Druck: „Wir sollten diese Krise als Chance begreifen und die europäisch­e Zusammenar­beit vertiefen“, sagte der SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir brauchen jetzt eine starke europäisch­e Wirtschaft­s- und Investitio­nspolitik, mit der wir das wirtschaft­liche Ungleichge­wicht in der Union verringern. Die Neuordnung Europas werde „nicht mit markigen Worten im Bierzelt gelingen“. „Wir müssen jetzt schnell eine gemeinsame Initiative von Deutschlan­d und Frankreich für einen Neustart von Europa starten.“

Aus Brüssel kam Rückendeck­ung für die Kanzlerin. Die Kommission habe bereits Ideen vorgelegt, wie die Europäer bei besonders wichtigen Fragen wie Handel, Verteidigu­ng und Sicherheit gemeinsam vorankomme­n wollen, sagte ein Sprecher von EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker. „Dabei geht es genau darum sicherzust­ellen, dass Europa sein eigenes Schicksal bestimmt.“

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