Schwäbische Zeitung (Biberach)
Absurdes Theater
Thomas Tuchel und Borussia Dortrmund trennen sich mit großem Getöse
uf die Idee muss man erst einmal kommen: sich um 10.38 Uhr bei Twitter anzumelden, um etwas mehr als zwei Stunden später mit seinem zweiten Tweet seinen Rauswurf in die Welt hinauszuposaunen. Den hatte zwar mittlerweile jeder erwartet, doch durch diese Art der Verkündung streckte Thomas Tuchel seinem bisherigen Club ein letztes Mal die Zunge heraus – im übertragenen Sinn. „Ich bin dankbar für zwei schöne, ereignisreiche und aufregende Jahre. Schade, dass es nicht weitergeht“, schrieb Tuchel um 12.47 Uhr beim Kurznachrichtendienst. Zwei Minuten später folgte sein dritter – und bislang letzter Tweet: „Danke an die Fans, an die Mannschaft, an den Staff und an alle, die uns unterstützt haben. Wünsche dem @BVB alles Gute. TT.“
Tuchel war am Ende isoliert
@BVB, in der Offlinewelt als „Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA“firmierend und derart brüskiert vom mittlerweile Ex-Trainer, zog rund 30 Minuten später mit einer Mitteilung an die Aktionäre und mit einer 188 Wörter langen Mitteilung nach. Der Schlusspunkt eines absurden Intrigenspiels geriet so zur völlig absurden Schmierenkomödie. Und gestern zunächst inszeniert von Tuchel, der den BVB erst am Samstag zum Gewinn des DFB-Pokals führte und auch sonst alle sportlichen Ziele erreichte, aber nun schon zum zweiten Mal nach 2014 einen Club im Streit verlässt.
Wobei Streit vielleicht nicht das richtige Wort ist: In der vom Club verbreiteten Mitteilung legte man jedenfalls „großen Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Ursache der Trennung keinesfalls um eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Personen handelt“. Also Tuchel und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Das Wohl des Vereins werde grundsätzlich „immer wichtiger sein als Einzelpersonen und mögliche Differenzen zwischen diesen“.
Beide Seiten haben in den vergangenen Wochen jedoch auf jede erdenkliche Weise versucht, ihre eigene Deutung des tiefen Zerwürfnisses zu platzieren. Über Berater, lancierte Interviews oder bewusst gestreute Hintergründe. So richtig klar wurde aber in den letzten, verrückten Wochen nur: Der BVB unter Tuchel mag den spannendsten und erfrischendsten Fußball Europas spielen; die Mannschaft mag mit dem Sprengstoffanschlag mit das Schlimmste durchgemacht haben, das man durchmachen kann und hat dennoch sportlich alle Ziele erreicht; die Zukunft mag rosig erscheinen. Doch die Trennung war unausweichlich.
Tuchel war am Ende mindestens isoliert im Club. Nicht nur Präsident Reinhard Raubal und Sportdirtektor Michael Zorc hatten sich auf Watzkes Seite geschlagen, sondern eben auch Kapitän Marcel Schmelzer und andere Spieler, die nicht verstehen konnten, wieso Tuchel am Samstag den in der Mannschaft, beim Vorstand und Publikum gleichermaßen beliebten Mittelfeldspieler Nuri Sahin kurzerhand aus dem Kader strich, obwohl er sportlich durchaus hätte gebraucht werden können nach der Verletzung Julian Weigls.
Und womöglich geht es eben doch um Streit, um verletzte Eitelkeiten und charakterliche Defizite, angebliche oder real existierende, in diesem absurden Schauerstück. Wieder zwei Stunden später legte Watzke gestern um 15.12 Uhr mit einem offenen Brief an die Fans nach. „Der BVB hatte zwei erfolgreiche Jahre, in denen die sportlichen Ziele erreicht wurden. Allerdings haben wir – Michael Zorc als Sportdirektor und ich – uns in dieser Zeit in der Zusammenarbeit mit dem Trainerteam auch aufgerieben“, schrieb der Geschäftsführer. Es gehe „immer auch um grundlegende Werte wie Vertrauen, Respekt, Team- und Kommunikationsfähigkeit, um Authentizität und Identifikation. Es geht um Verlässlichkeit und Loyalität“. Da schwang, obwohl es nicht dastand, nicht nur im Subtext mit, dass dies alles Eigenschaften seien, die Tuchel fehlten.
Die Führung habe jedenfalls „keine Grundlage mehr für eine auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Zusammenarbeit gesehen“. Darum ist Tuchel, der so euophorisch empfangen worden war 2015 beim BVB, nun Geschichte. Nach zwei Jahren, die keine Ära waren und wohl auch mit ein wenig Geduld zu keiner mehr hätten werden können. Er verlässt einen beschädigten Club. Beschädigt.