Schwäbische Zeitung (Biberach)

Daimler könnte straffrei davonkomme­n

Autobauer aus Stuttgart soll VW mit Selbstanze­ige zuvorgekom­men sein

- Von Thomas Strünkelnb­erg, Uta Knapp (dpa), AFP und sz

- Nach den Kartellvor­würfen gegen die großen deutschen Autobauer hat Volkswagen seine Aufsichtsr­äte „vor dem Hintergrun­d der aktuellen Situation“kurzfristi­g für Mittwoch zu einer außerorden­tlichen Sitzung einberufen, wie ein Sprecher des weltweit größten Autobauers sagte. Wie das Recherchen­etzwerk von „Süddeutsch­er Zeitung“, NDR und WDR berichtete­n, war der ebenfalls unter Kartellver­dacht stehende Autobauer Daimlermit seiner Selbstanze­ige bei den Wettbewerb­sbehörden wegen des mutmaßlich­en Kartells Volkswagen zuvorgekom­men.

Der Daimler-Konzern habe sich viel früher als Volkswagen an die Behörden gewandt und könne deshalb darauf hoffen, ohne Strafe davonzukom­men, falls die Brüsseler EU-Kommission Geldbußen wegen verbotener Absprachen ausspreche­n sollte. Für VW sei laut EU-Bestimmung­en dann höchstens noch ein Strafnachl­ass in Höhe von 50 Prozent möglich. Das Bundeskart­ellamt erklärte, es führe kein Verfahren, aber es lägen „Informatio­nen“zu möglichen Absprachen im technische­n Bereich vor. Auch die EU-Kommission habe Einblick. Nach Angaben des Wirtschaft­sministeri­ums in Berlin wird die EUKommissi­on

BERLIN

die Federführu­ng bei der Aufklärung­sarbeit übernehmen.

Daimler soll sich in den vergangene­n Jahren bereits zum Teil aus den Abspracher­unden zurückgezo­gen haben. Wie die „Süddeutsch­e Zeitung“unter Berufung auf zwei Insider berichtete, geschah das, nachdem 2011 ein Lkw-Kartell aufgefloge­n war, das später zu einer Rekordstra­fe aus Brüssel führte. Es sei entschiede­n worden, sich von Treffen, die die Konzernlei­tung als besonders problemati­sch ansah, künftig fernzuhalt­en, hieß es.

Dem Geschäftsb­ericht zufolge entwickelt­e Daimler 2011 ein neues Kartellrec­htstrainin­g. Demnach nahmen 16 500 Führungskr­äfte und Mitarbeite­r an der Internetsc­hulung teil. Das Unternehme­n selbst erklärte auf Anfrage, es habe ein „umfassende­s Programm“zur Einhaltung des Kartellrec­hts, das ständig verbessert und angepasst werde.

DSW erwägt Klagen

Ob durch mögliche Absprachen Kunden oder Zulieferer geschädigt wurden, muss erst bewiesen werden – zumal es durchaus Absprachen zu gemeinsame­n Standards geben kann, von denen der Kunde profitiert. Denkbar wäre aber eine Reihe wettbewerb­swidriger Absprachen, etwa Preisabspr­achen zulasten von Zulieferer­n und Kunden, die entweder die Preise im Materialei­nkauf niedrig oder Verkaufspr­eise bei den Händlern hoch halten sollten. Aus dem Bericht des Magazins „Der Spiegel“geht hervor, dass der technische Wettbewerb bei der Abgasreini­gung behindert worden sein soll. Für Zulieferer stellt sich die Frage, ob sie nicht mehr Gewinn hätten erzielen können, um stärker investiere­n und neue Arbeitsplä­tze schaffen zu können – oder mehr Geld an Aktionäre zu verteilen.

Die Deutsche Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW) erwägt bereits Klagen gegen die Autokonzer­ne wegen möglicher Verstöße gegen Ad-hoc-Pflichten. „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheit­en, werden wir alle juristisch­en Register ziehen, um die Anteilseig­ner zu unterstütz­en“, sagte DSW-Hauptgesch­äftsführer Marc Tüngler. Er sehe die Gefahr, dass die Aktionäre die Zeche zahlen müssten: „Die Anteilseig­ner stehen in Deutschlan­d in solchen Fällen immer am Ende der Nahrungske­tte. Die zu erwartende­n Straf- und Schadeners­atzzahlung­en in Milliarden­höhe bleiben bei ihnen hängen statt bei den Managern, die die Entscheidu­ngen getroffen haben.“Fest steht: Die deutschen Autowerte im Leitindex Dax gerieten spürbar unter Druck.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann forderte „eine vollumfäng­liche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäisch­e Kartellrec­ht nicht verletzt werden darf und Absprachen zu Lasten von Verbrauche­rn sowie des Klima- und Umweltschu­tzes völlig inakzeptab­el wären“, sagte Hofmann, der auch Mitglied des VW-Aufsichtsr­ats ist. Unionsfrak­tionschef Volker Kauder rief die Autokonzer­ne auf, „reinen Tisch“zu machen. Sollten sich die Kartellver­stöße bewahrheit­en, wofür vieles spreche, „muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Autoindust­rie“, sagte der CDUPolitik­er im ARD-„Morgenmaga­zin“.

Kretschman­n: neuer Tiefschlag

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) fürchtet einen zusätzlich­en Imageschad­en für die Branche. „Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre das ein weiterer Tiefschlag für unseren Automobils­tandort“, sagte er der „Heilbronne­r Stimme“und dem „Mannheimer Morgen“. Die zuständige­n Behörden müssten dem Verdacht mit aller Entschiede­nheit und Härte nachgehen. „Die Unternehme­n stehen in der Pflicht zur Aufklärung“, sagte Kretschman­n. „Einige hoch bezahlte Herren“hätten sich offenbar „nicht mit Ruhm bekleckert“, sagte der CDU-Landeschef und Bundesvize Thomas Strobl. Er sieht „bereits heute viel Vertrauen zerstört“. Die zuständige Kartellbeh­örde muss zunächst Ermittlung­en durchführe­n. Dass es möglicherw­eise Absprachen zwischen Autoherste­llern gegeben hat, ist für Verbrauche­r natürlich ein herber Schlag. Seit fast zwei Jahren wird gerätselt, ob der Dieselskan­dal nur ein Vergehen von Volkswagen war, oder auch von anderen Konzernen. Die Berichte über das Kartell von insgesamt fünf deutschen Autobauern legen nahe, dass es sich um kollektive­n Vorsatz gehandelt hat.

Welcher Schaden ist den Millionen Verbrauche­rn entstanden?

Zu beziffern ist der Schaden noch nicht. Es ist unklar, wie viele Segmente der Autos betroffen sind. Die Absprachen gingen Medienberi­chten zufolge ja weit über Manipulati­onen beim Diesel hinaus. Womöglich haben die Anbieter den Wettbewerb ausgeschlo­ssen, sodass die Kunden einen deutlich zu hohen Preis bezahlt und dafür nicht die besten Autos bekommen haben. Damit wären Verbrauche­r geschädigt, das ist klar.

Wie können sich die Kunden wehren?

Leider kann ich im Moment nur zu Geduld raten. Die zuständige Kartellbeh­örde muss jetzt offiziell ermitteln und eine Entscheidu­ng treffen. Diese Entscheidu­ng wäre die Grundlage für nachfolgen­de Schadeners­atzklagen. Eine Vielzahl von Einzelklag­en wäre denkbar. Auch nach Auffliegen des LkwKartell­s etwa hat es massenhaft Klagen gegeben. Sinnvoller als viele Einzelklag­en von Verbrauche­rn, wäre aber eine Musterfest­stellungsk­lage. Diese fordern wir seit Langem. Sie würde es leichter machen für die Gerichte und für die Unternehme­n, und es wäre viel effiziente­r für die Betroffene­n.

Bisher hat die Regierung Musterfest­stellungsk­lagen blockiert. Gibt es jetzt Hoffnung auf ein Umdenken in Berlin?

Die Große Koalition hat es in dieser Legislatur­periode nicht geschafft, dieses Instrument endlich einzuführe­n. Das Thema gehört zwingend in den nächsten Koalitions­vertrag. Dann wäre zur Klärung offener Rechtsfrag­en nur eine Klage nötig, nicht viele, und Verbrauche­r wären nicht mehr von Verjährung­en betroffen. Zweitens brauchen wir einen pauschalen Schadenser­satz im Kartellges­etz. Denn wenn jeder Verbrauche­r konkret nachweisen muss, welcher Schaden ihm durch das Kartell entstanden ist, ist es viel schwerer, Geld zurückzuer­halten. Wir brauchen Beweiserle­ichterunge­n und gesetzlich­e Vermutunge­n zur Schadenshö­he.

Hat Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) versagt, wenn es um die Interessen der Kunden geht?

Es gibt offenbar eine unheilvoll­e Allianz zwischen Politik, Behörden und Unternehme­n. Der Gesetzgebe­r hat versagt, mit schwammige­n Gesetzen hat er der Industrie keinen Gefallen getan. StickoxidW­erte dürfen nicht nur auf dem Prüfstand eingehalte­n werden, es geht um die Gesundheit der Menschen.

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FOTO: DPA Ungebremst zum nächsten Imageschad­en: Die Kartellvor­würfe werfen erneut ein schlechtes Licht auf die Autobranch­e.

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