Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wo die Liebe hinfällt

- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Realisten sagen, unsere Politiker hätten vom wahren Leben keine Ahnung. Nicht die „Ehe für alle“hätten sie beschließe­n sollen, sondern die Ehe für keinen, auch wenn die Goldschmie­de der Nation gegrummelt hätten. Die Ehe schaffe Probleme, die man alleine niemals hätte, glauben sie frei nach Woody Allen. Immerhin: „Brot für die Welt“will als Konsequenz aus dem Winner-Slogan nun die Aktion „Ähre für alle“starten. Auch wir finden, etwas zum Essen ist bedeutend wichtiger als die Liebe.

Optimisten dagegen finden die Ehe super und verweisen auf ihren Bekanntenk­reis, in dem 110 Prozent aller Paare auch nach 20 Jahren verliebt seien wie am ersten Tag, vor allem jene, die schon an Gedächtnis­problemen leiden. Tatsächlic­h macht uns eine Geschichte aus der Sportwelt Mut: Spaniens Judo-Olympiasie­gerin von 1992, Miriam Blasco, gab gerade bekannt, sie sei seit eineinhalb Jahren mit ihrer damaligen englischen Final-Gegnerin Nicola Fairbrothe­r verheirate­t, die 1993 Weltmeiste­rin wurde. Man/frau sei bereits seit 22 Jahren ein Paar, und bei der Hochzeit habe man nicht nur die Ringe, sondern auch die Medaillen ausgetausc­ht. Ob man auch die Nationalhy­mnen spielte? Egal, in Kampfsport­arten (und Treppenhäu­sern) gilt offenbar: Wo die Liebe hinfällt.

Könnten nicht alle Erzrivalen und Finalisten von einst und heute heiraten, 2000 Jahre, nachdem Jesus auf Facebook „Liebt eure Feinde“postete? Kann nicht Uli Hoeneß den Louis van Gaal busseln und Angela den Horst? Warum ehelicht Donald Trump nicht den Präsidente­n Mexikos statt Maurer zu bestellen, und warum heiraten Katzen eigentlich keine Mäuse? Man wird ja noch träumen dürfen.

Kaum war die Nachricht vom Hubschraub­er-Absturz in Mali mit zwei toten Soldaten am Mittwochab­end bekannt, meldeten sich die vielen Besserwiss­er mit ihren Vermutunge­n zur Absturzurs­ache. Woran lag’s? Ein Auszug aus den Wortmeldun­gen: Die Hitze, für die der Tiger nicht ausgelegt ist. Die Rebellen. Überlastet­e Piloten. Der Wüstensand. Die schlechte Ausstattun­g. Dass der Wahlkampf beginnt, trägt nicht zur Versachlic­hung der Debatte bei.

Im Augenblick sollten aber alle selbst ernannten Experten vor allem eins tun: sich zurückhalt­en. Denn jetzt sind Trauer und Anteilnahm­e angebracht. Zudem sollten die Flugsicher­heits-Experten ihren Job in Ruhe erledigen. Mit ihren Ergebnisse­n wird man arbeiten, sie auswerten und die richtigen Schlüsse ziehen. Erst dann gilt es, Verantwort­ung zuzuweisen. Das Unglück in Mali rückt gleichzeit­ig die Gefahr vor Augen, denen die Soldaten in ihren Einsätzen ausgesetzt sind.

Wem war denn bis Dienstagab­end bewusst, dass der Norden des afrikanisc­hen Landes trotz aller Stabilisie­rungsmaßna­hmen eine der gefährlich­sten Weltregion­en ist? Wer wollte denn wahrhaben, dass dieser UN-Einsatz derzeit die meisten toten Blauhelm-Soldaten fordert? Dass die Soldaten gegen Terror kämpfen und Fluchtursa­chen unterbinde­n, wird in der Gesellscha­ft meist ausgeblend­et.

Vor dem Hintergrun­d, dass Einsätze wie in Mali hohe Bedeutung für die Sicherheit Europas und Deutschlan­ds haben, sollte im Wahlkampf sachlich diskutiert werden. Über mehr Geld für die Truppe. Aber auch über mehr Wertschätz­ung, mehr Anerkennun­g und mehr Respekt für die Menschen in der Bundeswehr.

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FOTO: OH Schon in der Eiszeit hatten Judokämpfe­rinnen einen Sinn für Romantik.
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