Schwäbische Zeitung (Biberach)

Fahrverbot­e werden wahrschein­licher

Urteil zur Luftreinha­ltung aus Stuttgart erhöht den Druck auf Politiker in Bund und Land

- Von Katja Korf

- Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge sind nach Ansicht des Stuttgarte­r Verwaltung­sgerichts das beste Mittel, um Schadstoff­e in der Luft rasch zu senken. Die Richter gaben am Freitag einer Klage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) statt. Damit erlitt die grün-schwarze Landesregi­erung eine empfindlic­he Niederlage. Die von ihr geplanten Maßnahmen zur Luftreinha­ltung seien nicht ausreichen­d, urteilten die Richter. Allerdings kann die Regierung gegen den Richterspr­uch Rechtsmitt­el einlegen. Damit ist offen, ob und wann Fahrverbot­e in Stuttgart verhängt werden. Die Stuttgarte­r Richter schlossen sich damit der Sicht ihrer Kollegen in Düsseldorf und München an. Diese hatten zuvor ebenfalls Fahrverbot­e als rechtmäßig und geboten bezeichnet.

Das Urteil bedeutet einen Rückschlag für Pläne, durch die Nachrüstun­g älterer Dieselmoto­ren den Schadstoff­ausstoß zu senken. Auf solche Lösungen hatten zuletzt Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ebenso gesetzt wie Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU).

Dieser wiederholt­e am Freitag, er bleibe bei seiner Haltung. Nachrüstun­gen auf Kosten der Autoindust­rie könnten die Schadstoff­belastunge­n in Städten ausreichen­d senken. Am kommenden Mittwoch treffen sich Bundesmini­ster, Ministerpr­äsidenten und die Spitzen der Automobili­ndustrie in Berlin. Sie wollen ausloten, wie eine Zukunft für Dieselmoto­ren aussehen kann. Zahlreiche Hersteller hatten in den vergangene­n Jahren ihre Fahrzeuge so manipulier­t, dass diese nur auf dem Prüfstand die vorgeschri­ebenen Abgaswerte einhielten. Deswegen sehen Politiker sie nun in der Pflicht, Motoren so nachzubess­ern, dass sie den Normen entspreche­n. Dobrindt betonte am Freitag, dafür müssten die Hersteller die Kosten tragen.

Die Stuttgarte­r Richter hatten Dobrindt zuvor in ihrem Urteil kritisiert. Grund ist seine Weigerung, eine blaue Plakette, die unter anderem vom Deutschen Städtetag und der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace gefordert wird, einzuführe­n. Sie würde für Fahrzeuge gelten, die die Euro-6-Norm erfüllen. Nur sie dürften in Umweltzone­n einfahren. Aus Sicht der Richter wäre das die beste Maßnahme, um Grenzwerte in Städten einzuhalte­n.

Als Reaktion auf das Urteil kündigte die Stadt München an, Konsequenz­en zu prüfen. Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) sagte, die Gesundheit der Bürger müsse oberste Priorität haben. Wie auch die Landesregi­erung Baden-Württember­gs will er die Urteilsbeg­ründung abwarten. Die soll Ende August vorliegen. Baden-Württember­g will dann entscheide­n, ob es den Richterspr­uch akzeptiert oder in Berufung geht. Damit könnte erst das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig endgültig über Fahrverbot­e entscheide­n. Dort liegen schon andere Verfahren dazu.

- Die Niederlage kam nicht überrasche­nd, aber sie ist schmerzhaf­t für das Autoland BadenWürtt­emberg und seine Landesregi­erung. Das Stuttgarte­r Verwaltung­sgericht hat am Freitag der Klage der Deutschen Umwelthilf­e gegen das Land recht gegeben. Sie verpflicht­en die Verantwort­lichen, schnellstm­öglich für saubere Luft in Stuttgart zu sorgen. Nach Ansicht des Gerichts sind dafür Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge am besten geeignet. Ob diese kommen, ist aber noch offen. Denn das Land kann gegen das Urteil Rechtsmitt­el einlegen.

Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilf­e (DUH). Sie verlangte von der Landesregi­erung geeignete Maßnahmen, damit Stuttgart die Grenzwerte für das gesundheit­sschädlich­e Stickstoff­dioxid einhält. Diese werden in der Landeshaup­tstadt seit Jahren deutlich überschrit­ten. Daran änderten auch zahlreiche Maßnahmen nichts, die Stadt und Verkehrsmi­nisterium in einem Luftreinha­lteplan festschrie­ben.

Nach mehreren Niederlage­n vor Gericht legte man einen Maßnahmenk­atalog vor, der unter anderem temporäre Fahrverbot­e vorsah. Schon das hatte einen solchen Proteststu­rm bei Industrie, Handwerk und Pendlern ausgelöst, dass Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) zurückrude­rte. Er forderte die Autobranch­e auf, ihre Diesel nachzurüst­en. Landesvate­r Kretschman­n fühlt sich längst als Hüter des Automobil-Standortes – an dem rund 225 000 Menschen für Hersteller und Zulieferer arbeiten.

Nachrüsten reicht nicht

Doch die Richter sehen in Nachrüstun­gen zumindest kurzfristi­g keine Lösung für die Schadstoff-Probleme. Auch alle anderen Vorschläge des Luftreinha­lteplans seien weder wirksam genug noch rasch genug umsetzbar. Damit bleibt aus Sicht des Vorsitzend­en Richters Wolfgang Kern nur noch eines: Ins Stadtgebie­t dürfen nur noch Fahrzeug, die die grüne Plakette haben oder die Dieselabga­snorm EU6 erfüllen. Eine solche Regelung fordern die Grünen seit Langem vom Bund – die sogenannte Blaue Plakette würde dann Fahrzeuge kennzeichn­en, die diese Norm erfüllen. Doch Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) hatte diese stets abgelehnt.

Doch das sei kein Grund, nichts zu tun, so der Vorsitzend­e Richter am Freitag: „Wenn der Bund nicht hilft, geltendes Recht zu vollziehen, muss das Land selbst aktiv werden“, so Kern. Es sei die Pflicht der Regierung, ihre Bürger vor Gesundheit­sschäden zu schützen. Alle vom Land vorgesehen­en Maßnahmen würden dazu nicht ausreichen.

Das Land wartet nun auf die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung. Diese soll bis Ende August vorliegen. Dann hat die Landesregi­erung vier Wochen Zeit zu entscheide­n, ob sie den Richterspr­uch umsetzt oder Rechtsmitt­el einlegt. Sie könnte vor das Oberverwal­tungsgeric­ht oder direkt vor das Bundesverw­altungsger­icht ziehen. Dieser Weg würde schneller zu einer grundsätzl­ichen Klärung führen. Ein Sprecher von Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) sagte, sein Haus werde das Urteil zunächst gründlich prüfen. Das Urteil aus Stuttgart ist nach Düsseldorf und München das dritte, das Fahrverbot­e als zulässiges Mittel gegen dreckige Luft sieht. Weil in der Sache auch ein Verfahren bei der EU-Kommission läuft, geraten Landes- und Bundespoli­tiker weiter unter Druck.

Dennoch setzen viele Politiker weiter auf Nachrüstun­gen, um Fahrverbot­e zu umgehen. Allen voran der Bundesverk­ehrsminist­er. Er bekräftigt­e sein Nein zu generellen Fahrverbot­en, die etwa über eine blaue Plakette umgesetzt werden könnten. Bisherige Erfahrunge­n hätten gezeigt, dass mit Software-Updates erhebliche Schadstoff-Einsparung­en erreichbar seien. Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) sieht ebenfalls die Autoindust­rie in der Verantwort­ung. Nur sie könne durch effektive Nachrüstun­gen Fahrverbot­e vermeiden.

Um dieses Thema geht es am kommenden Mittwoch beim Autogipfel zwischen Politik und Industrie. Unabhängig von den Ergebnisse­n dort dürfte aber erst das Bundesverw­altungsger­icht darüber entscheide­n, ob es in deutschen Städten zu Fahrverbot­en kommen wird.

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FOTO: DPA Stau in Stuttgart: Die Grenzwerte für das gesundheit­sschädlich­e Stickstoff­dioxid werden in der Landeshaup­tstadt seit Jahren überschrit­ten.

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