Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Wutbürger applaudier­en

- Von Katja Korf k.korf@schwaebisc­he.de

Es ist eine Ohrfeige für die Politik, und sie schallt bis nach Berlin. Jahrelang haben Richter den Verantwort­lichen aufgetrage­n, für saubere Luft zu sorgen. Es besserte sich etwas, aber nie genug. Nun hat nach Bayern und NordrheinW­estfalen Baden-Württember­g die Quittung dafür bekommen.

Einer der Verantwort­lichen sitzt nicht am Neckar, sondern an der Spree. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) verweigert sich der blauen Plakette, die aus Sicht der Stuttgarte­r Richter das beste Mittel gegen verschmutz­te Luft ist. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hat Dobrindt den Schwarzen Peter längst zugeschobe­n. Doch er ist selbst in der zweiten Amtszeit, hat einen grünen Verkehrsmi­nister, in Stuttgart einen Parteifreu­nd als Oberbürger­meister. Bei so viel grüner Verantwort­ung erwarten Bürger zu Recht Taten, die wirken.

Nach diesem Urteil sieht deshalb keiner gut aus, der in den vergangene­n Jahrzehnte­n regiert hat. Das gleiche gilt für die Autoindust­rie, die trickst und täuscht. Auch sie trägt Verantwort­ung – dafür, gesetzesko­nforme Produkte zu verkaufen.

Wohin das alles führt, war am Freitag im Gericht zu bewundern. Jürgen Resch, Chef des siegreiche­n Klägers Deutsche Umwelthilf­e (DUH), sagt in die Mikrofone: „Politiker suggeriere­n ja wenigstens in den vier Wochen vor Wahlen, sie würden auf den Bürger hören.“Das ist Populismus pur. Natürlich darf eine Lobbyorgan­isation wie die DUH für ihre Sache kämpfen. Zum Glück tut sie es, der Erfolg vor Gericht gibt ihr recht.

Aus solchen Siegen darf sich aber keine Verachtung für das politische System ableiten. Resch kassiert den Applaus jener Anti-Auto-Ideologen, die sich aus dem konstrukti­ven Engagement verabschie­det haben. Die Wutbürger lassen grüßen. Doch auch deren Wohlstand hängt am Wirtschaft­sstandort. Die Gesundheit der betroffene­n Bürger ist zwar das höchste Gut. Aber Beschäftig­te der Autoindust­rie, Handwerker oder Berufspend­ler haben ebenfalls berechtigt­e Interessen. Demokratie­verdrossen­heit entsteht rechts und links der Mitte. Probleme auszusitze­n, fördert genau diese Entwicklun­g.

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