Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zwischen Dirndl und Burka
Ausstellung in der Villa Rot untersucht die Sprachen des Stofflichen – Von der Tracht bis zur Mode
- Die Geschichte der Textilien ist so alt wie die Menschheit selbst. Pflanzliche und tierische Produkte wurden schon von unseren Vorfahren genutzt, um den Körper vor Hitze und Kälte, Regen und Schnee zu schützen. Gewebtes, Gewirktes, Gestricktes sichert noch heute unser Überleben. Neben dieser Zweckmäßigkeit hatten Stoffe für den Menschen aber immer schon eine ästhetische Bedeutung. So kann Bekleidung den Körper verschönern, optimieren. Darüber hinaus haben Textilien oft auch symbolischen Charakter. Durch Farben, Muster und Verzierungen kann man Aussagen über die Herkunft, die Identität, den Stand oder die Religion treffen. Die neue Ausstellung in der Villa Rot geht unter dem Titel „Die Sprache des Textilen“den unzähligen sinnbildlichen Implikationen nach, die Stoffe und deren Produktion bieten. Am Beispiel von rund 50 Arbeiten von acht Künstlerinnen und Künstlern wird das Thema beleuchtet.
BURGRIEDEN-ROT Zwischen Tracht und Mode
Am Anfang stehen im Erdgeschoss ein Dirndl und ein Fußballtrikot. Beide Kleidungsstücke haben je 60 Euro gekostet, beide repräsentieren stellvertretend die Idee zeitgenössischer Uniformen. Zwischen Tracht und Mode gibt es aber einen wesentlichen Unterschied. Trachten gelten als Bekleidungsformen, die sich auf Traditionen berufen. Auch wenn in der Fachliteratur bezweifelt wird, ob es so etwas wie eine traditionelle Tracht überhaupt je gab. Fest steht nur, dass das Dirndl einst als Arbeitskleidung diente. Mittlerweile ist es längst ein Modeartikel für feierliche Anlässe geworden. Ähnlich wie beim Fußballtrikot demonstriert das Dirndl die Zugehörigkeit zu oder die Sympathie mit einer Gruppe. Ja, Kleider machen Leute.
Kleider können Menschen aber auch ausgrenzen. Die Burka zum Beispiel ruft bei vielen Menschen Ängste hervor. Beate Passow hat in Pakistan einige farbenprächtige, plissierte Exemplare dieser Vollverschleierung erstanden. Sie bat Münchner Freundinnen, die Gewänder anzuziehen und fotografierte die Frauen anschließend in typisch deutschen Umgebungen, etwa im Biergarten. Die Schönheit der Farben steht im Kontrast zu den skeptischen Blicken der beobachtenden Gäste. Mit ihren „Burkabarbies“treibt die Künstlerin ihr Spiel mit Kontrasten dann auf die Spitze: Treffen da doch zwei unterschiedliche Frauenmodelle und damit zwei konträre gesellschaftliche Ideale aufeinander.
Poetisch wird es im nächsten Saal, in dem Reiner Schlecker jede Menge Brautkleider aus verschiedenen Jahrzehnten an der Decke aufgehängt hat. Dazwischen baumelt eine Auswahl an Postkarten, auf denen Menschen die Frage „Was bedeutet eigentlich Glück in der Liebe“beantwortet haben. Ihre Gedanken regen zum Nachdenken an, was Glück ausmacht und was ein teures Brautkleid damit zu tun hat – nämlich herzlich wenig.
Die Arbeiten im ersten Stock der Villa Rot beschäftigen sich ausschließlich mit der Textilregion Schwäbische Alb. Es sind Projekte, die fünf Künstler auf Einladung des Museums und inter!m-Kulturhandlungen in Münsingen gefertigt haben. So wird das Thema Textiles am Beispiel einer Region anschaulich gemacht. Bezaubernd ist vor allem die Serie „alb – damals, davor und jetzt“von Nanna Aspholm-Flik. Sie hat typische Stoffe von der Alb gesammelt und Details davon auf kleine Quadrate geklebt. Neben dem Fäustling aus Schafwolle findet sich das Detail eines karierten Nachthemds, auf ein Spitzendeckchen folgt ein geblümter Küchenvorhang, und eine Hemdmanschette hängt neben einem groben Kammgarnstoff.
Dass aus Altem auch Neues entstehen kann, zeigt beispielhaft ihr „memory of rain“, bei der die Künstlerin die Rostflecken auf einem Mehlsack aus Leinen mit rostrotem Garn verziert, um das Ganze zum Designerstück zu machen.
Anknüpfend an die Gruppenausstellung zeigt das Museum Villa Rot in seiner Kunsthalle Arbeiten der 1974 in Bukarest geborenen und heute in Berlin lebenden Künstlerin Anca Munteanu Rimnic. Ihr Werk ist enorm vielschichtig und multimedial. Immer wieder tauchen bruchstückhaft Erinnerungen an ihre rumänische Herkunft auf, die sie mal zu sensiblen, mal zu absurden Videos, Installationen oder Fotografien verarbeitet. Ein berührendes Beispiel dafür ist ihr Video „Lament 3“, in dem schwarz gekleidete Klageweiber im Kreis umhergehen, leere Plastiktüten hoch halten und damit rascheln. Dazu muss man wissen, dass sich in den Tüten traditionell der Leichenschmaus befindet. Beeindruckend ist auch ihre neue Fotoserie „Simulanta“. Im Zentrum steht der Tanz einer Frau mit einem rumänischen Kelim. Sinnbildhaft finden sich hier Momente des Abstreifens und Abstrampelns, des Versteckens und sich Verkleidens. Rimnic verweist damit spielerisch auf die Schwierigkeiten bei der Anpassung an eine andere Kultur. Der Teppich trennt und verbindet zugleich – wie die Mode, an die sich alle halten, weil sie sich als Teil einer Gruppe verstehen. Sei es das Dirndl oder die Burka.