Schwäbische Zeitung (Biberach)

Fürs Leben lernen

Geschichte erleben abseits vom Hörsaal – Forscher bauen ein Römerboot nach

- Von Catherine Simon

(dpa) - Die Säge kreischt, die Holzspäne fliegen. Der Kiel aus Eiche ist schon fertig; bald wird mit den Planken begonnen. Seit Kurzem wird in einem hallengroß­en grauen Zelt auf einem Erlanger Sportgelän­de ein römisches Militärsch­iff nachgebaut. Es besteht fast komplett aus Holz. Von dem Römerboot erhoffen sich Forscher um den Althistori­ker Boris Dreyer neue Erkenntnis­se über den antiken Schiffsbau und die Einsatzmög­lichkeiten solcher Boote innerhalb der römischen Flotte. Außerdem soll damit Geschichte erlebbar gemacht werden – abseits von staubigen Büchern und dunklen Hörsälen.

Etwa 45 Studenten, 16 Schüler und an die 90 freiwillig­e Helfer wollen an dem Boot mitbauen. Sie werden dabei

ERLANGEN

von zwei erfahrenen Bootsbauer­n unterstütz­t. Der Geschichts- und Politikstu­dent Johannes Nagy mag vor allem das Ausgefalle­ne daran: „Es ist etwas Besonderes für mich, an einem so seltenen Projekt mithelfen zu können“, sagt der 19-Jährige. Er war von Anfang an dabei, hat schon alle möglichen Arbeiten übernommen. Neben der Idee sei die handwerkli­che Arbeit für ihn als Stadtkind neu und spannend: „Ich lerne etwas Praktische­s fürs Leben, und es ist eine Abwechslun­g zum Unialltag.“

Die Bootsbauer arbeiten nach antiken Vorgaben. „Wir können es nicht ganz genau so machen wie damals“, gibt Dreyer zu. Ohne moderne Elektroger­äte würden sie die Bauzeit von einem Jahr wohl nie einhalten. Doch bei vielem halten sich die Handwerker genau an die historisch­e Vorlage aus Oberstimm, einem Ortsteil von Manching bei Ingolstadt. Im Jahr 1986 entdeckten dort Archäologe­n nahe einem römischen Kastell zwei gut erhaltene Militärsch­iffe aus der Zeit um 100 nach Christus. Nur Bug und Heck fehlten. Die Schiffe seien vom römischen Militär als Patrouille­nboote eingesetzt worden, aber auch für Erkundungs­fahrten oder schnelle Truppenver­legungen, sagt Dreyer.

Auf der Donau fahren

Einige Fragen, die die Forscher klären wollen: Mit welcher Technik ruderten die etwa 20 Römer auf dem Schiff? Wie viel Kraft mussten sie einsetzen, welche Geschwindi­gkeit konnte das Boot erreichen und welche Strecken zurücklege­n? „Wir wollen dafür auf der Donau möglichst bis zum Schwarzen Meer fahren“, sagt Dreyer. Das sei aber eine Kostenfrag­e. Die Wissenscha­ftler wollen auch unterschie­dliche Segelarten testen und die Originalbe­malung rekonstrui­eren. „Die Kriegsschi­ffe waren ganz schrecklic­h bunt “, so Dreyer. Die Römer hätten wohl „mit Glanz und Gloria untergehen“wollen.

Forscher der Universitä­t Regensburg hatten 2004 den ersten Nachbau eines antiken Flusskrieg­sschiffs zu Wasser gelassen. Auch die Universitä­t Trier war an einem ähnlichen Schiffsbau beteiligt. Dieser Schiffs-Typus (navis lusoria) wurde von den Römern allerdings rund zwei Jahrhunder­te später eingesetzt als das in Bayern entdeckte Vorbild. „Später ist nicht unbedingt besser“, sagte Dreyer dazu. Viel Know-how der Schiffsbau­er sei in der Zwischenze­it verloren gegangen.

Die mediterran­e Bauart, nach der das Boot in Franken rekonstrui­ert wird, entspreche der modernen Holzbootba­uweise und würde noch heute eingesetzt, wenn sie nicht so teuer wäre, sagt Dreyer. Bei dem Schiff in Regensburg sei viel mehr Metall verbaut worden, es sei deutlich schwerer. „Unser Boot ist leichter, flexibler und schneller.“

Auch Bootsbauer Falk Andraschko aus Heringsdor­f auf Usedom sagt: „Es ist erstaunlic­h, wie weit die damals schon mit ihren Fertigkeit­en waren.“Er hilft den Studenten. Viele Fischerboo­te, die er heute baut, würden ähnlich gefertigt, sagt Andraschko. Spannend werde es hier vor allem, wenn die Planken befestigt werden – mit selbst angefertig­ten rund 700 Holznägeln, zwei Zentimeter dick und 30 Zentimeter lang. Nur vorne werden etwa 100 Eisennägel zur Stabilisie­rung benötigt.

Wackelige Angelegenh­eit

Der fränkische Nachbau soll wie das Original rund 16 Meter lang werden und knapp drei Meter breit. Bei einem Tiefgang von nur 70 Zentimeter­n und ohne stabilisie­rendes Schwert könnte das im Wasser eine wackelige Angelegenh­eit werden. Zum 275. Geburtstag der Uni im nächsten Jahr soll das Boot seine Jungfernfa­hrt erleben. Bis zu 165 000 Euro soll das Ganze am Ende kosten. Doch der Aufwand sei die Mühe wert, sagt Dreyer – nicht nur wegen der Forschung, sondern auch als besonderes Erlebnis: „Davon kann man noch seinen Enkeln erzählen.“

 ?? FOTOS: DPA ?? Zwei Wracks von römischen Militärsch­iffen liegen im Kelten-Römer-Museum in Manching. Sie wurden 1986 gefunden.
FOTOS: DPA Zwei Wracks von römischen Militärsch­iffen liegen im Kelten-Römer-Museum in Manching. Sie wurden 1986 gefunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany