Schwäbische Zeitung (Biberach)
Traurig, traurig
Streetart in Mainz: Ein Mädchen wandert als Comicfigur durch die Stadt der Lebensfreude
(dpa) - Schmuddelkinder als heimliche Stars: „Die Fangemeinde rund um Streetart wächst stetig an“, sagt der Hamburger Experte Sebastian Hartmann. Einige Graffitisprayer sind gefragt bei Galerien und Museen. Die meisten aber bleiben im Straßenraum, anonym und oft so rätselhaft wie der britische StreetartKünstler Banksy. Ein Geheimnis umgibt auch das „traurige Mädchen“, eine Motivserie, die in Mainz schon seit einigen Jahren die Fantasie der Betrachter bewegt. Bekannt ist nur, dass die Bilder von einer Frau gesprayt wurden.
„Jeder erzählt eine eigene Geschichte drumherum“, sagt die Mainzerin Kerstin Weber. „Einige vermuten dahinter eine unerwiderte Liebe.“Die über die ganze Stadt verteilten Wandbilder sind wie Projektionsflächen, in die Menschen eigene Empfindungen und Sehnsüchte hineinträumen können.
MAINZ Karte mit Standorten
Der Blogger Marcel Böhres hat eine Karte entwickelt, die alle Standorte der „traurigen Mädchen“verzeichnet, zusammen mit Fotos der Darstellungen. Sie erscheinen gehäuft in der Neustadt, aber auch in der Altstadt und sind vereinzelt im Umland bis Bingen und Nieder-Olm zu finden. Auch in Köln, Berlin und Freiburg sollen sie aufgetaucht sein.
Allen gemeinsam ist das schmale Gesicht mit spitzem Kinn und melancholischem Ausdruck, aber stets sieht das „traurige Mädchen“etwas anders aus. Sein Blick wirkt mal nachdenklich, mal keck, mal unterstreicht er die Tristesse von urbanen Brachflächen und Mietshäusern, die auch noch im Frühling von den Nöten ihrer Bewohner zu erzählen scheinen.
Wie ein Engel steht die Gestalt im grünen Kleid am Anfang einer steilen Treppe nahe der Altmünsterkirche in Mainz. In der Boppstraße trägt sie ein rot-gelbes Kleid; der bröckelnde Verputz der Wand vermittelt dort den Eindruck von zupackenden Händen. Manchmal schmiegt sich die Figur in den beengten Raum des schmalen Pfostens einer Einfahrt. An einer tristen Hinterhofmauer breitet sie sich einfarbig violett mit stilisiertem Busen und wehenden Locken aus. Mitunter ergänzen „Tags“, das sind Signaturen anderer Graffitisprayer, die anmutige Darstellung des „traurigen Mädchens“.
„Das ist wirklich Kunst in meinen Augen“, sagt Kerstin Weber, die als Marketing-Leiterin eines Lebensmittelunternehmens mit offenen Augen durch die Stadt geht. „Für mich ist das ein tolles Stück Streetart.“Sie suche nicht gezielt danach, freue sich aber, wenn sie wieder ein neues Motiv entdecke: „Mir gibt das ein Stück Nähe zur Stadt.“
In der Stadtverwaltung wird die besondere ästhetische Wirkung des „traurigen Mädchens“eingeräumt. „In ungenutzten Arealen kann das Umfeld so verschönert und bereichert werden“, sagt ein Sprecher. Auf privaten Häuserwänden seien Graffiti aber ein kostspieliges Ärgernis für die Besitzer und als Sachbeschädigung ein Straftatbestand. Öffentliche Gebäude seien nicht so sehr betroffen. Auch habe die Stadt Flächen ausgewiesen, auf denen sich Graffitisprayer legal betätigen könnten.
Aus anderen Städten kenne er das Motiv des „traurigen Mädchens“nicht, sagt der Experte Hartmann. Das Besondere daran sei die Variation. „Die meisten Streetart-Künstler erstellen Schablonen eines Motivs, das immer gleich aussieht.“Dass ein Motiv stetig variiert werde, kenne er sonst nur von den „Blue Heads“aus Düsseldorf – verschrobenen und chaotischen Köpfen und Gesichtern in Blau.