Schwäbische Zeitung (Biberach)
Das Traumduo vom See
Julia Sude und Chantal Laboureur peilen bei der Beachvolleyball-WM eine Medaille an
WIEN – Der 18. August 2016 dürfte ein seltsamer Tag gewesen sein für Julia Sude und Chantal Laboureur. Am Copacabanastrand in Rio, dem Tempel ihrer Sportart, holten Laura Ludwig und Kira Walkenhorst Olympiagold im Beachvolleyball. Sude und Laboureur weilten in Long Beach im Trainingslager und schauten am Fernsehen zu, wie da jemand ihren eigenen Traum verwirklichte. Sude hatte 2014 einmal ein halbes Jahr mit Ludwig gespielt, Laboureur war einst mit Walkenhorst sogar Junioren-Weltmeisterin geworden. Rio aber hatten die Friedrichshafenerinnen zwei Monate zuvor knapp verpasst, und mit dem Trostpreis, vielleicht die besten deutschen Sportler zu sein, die nicht bei Olympia starten, konnten sie naturgemäß nicht viel anfangen. Mitgefiebert habe man dennoch. „Klar haben wir uns gefreut, und für unsere Sportart bedeutet das einen großen Aufschwung. Ich kenne viele Leute, die neuerdings in der Türkei und Ägypten Beach-Camps buchen, weil sie keine Lust mehr drauf haben, acht Tage lang nur in der Sonne zu liegen“, sagt Sude.
Auch die 29-jährige Blockerin und Laboureur, 27, eine der besten Abwehrspielerinnen der Welt, sind weiter im Kommen. Nur kurz hielt der Frust an, „dass wir bis zu den Spielen 2020 in Tokio weitermachen, stand nie in Frage“, sagt Sude. Einen Monat später gewannen sie in Porec ihr erstes Major-Turnier, am Jahresende waren sie die Nr. 5 der Welt, nach dem Triumph vor drei Wochen in Gstaad kletterten sie sogar auf Rang 2. „Das war unglaublich, unser größter Sieg bisher. Wir haben gegen zwei Teams zum ersten Mal gewonnen“, sagt Laboureur – etwa gegen die Brasilianerinnen Larissa/Talita, die in Rio Vierte wurden und die Weltrangliste anführen.
Wenn das neue Traumduo vom Bodensee, das 2013 eher zufällig zusammenkam („Chantal suchte eine neue Partnerin und rief mich an“) und seither am Olympiastützpunkt in Stuttgart trainiert, heute in die zehntägige WM auf der Wiener Donauinsel einsteigt, gehört es also erstmals zu den Favoriten. „Bisher waren wir ja eher die Underdogs, wir werden uns an die Rolle gewöhnen müssen“, sagt Sude. Öffentlich peilen sie einen Top-Five-Platz an, „aber es kann auch gerne eine Medaille sein“, fügt Sude an – dafür müssten sie allerdings auch die Rio-Siegerinnen nach zwei knappen Niederlagen zuletzt einmal schlagen. Es wäre eine Premiere.
Reiseetat von 50 000 Euro
Nur zum Spaß spielen auch Beachvolleyballer nicht. Sude genießt zwar das Leben auf der Tour („Einen festen Wohnsitz habe ich eigentlich nicht – doch: den Flughafen“), sie weiß, dass sie ein abwechslungsreiches Leben führt, von dem viele jungen Mädchen träumen. Aber sie weiß auch, wieviel sie investiert hat: „Chantal und ich haben uns alles selbst aufgebaut, so viel Blut und Schweiß reingelegt, da will man auch was zurückkommen“. Zudem sind die Zeiten für Beachvolleyballer nicht besser geworden. Zwar wird die WM ab dem Viertelfinale erstmals live bei ARD und ZDF übertragen, die Preisgelder auf der Tour aber seien durch den Ausstieg eines Sponsors um 40 Prozent eingebrochen, sagt Sude. Auch einer ihrer Geldgeber stieg im Vorjahr aus – um den Reiseetat von 50 000 Euro zu decken, zahlten die Sportler am Ende drauf. „Und wenn du wie wir versuchst, immer besser und professioneller zu werden, auch noch einen Athletik- und Mentaltrainer und eine Ernähnungsberaterin dazu nimmst, nimmt die Verantwortung nicht gerade ab“, sagt Sude.
Besserung ist immerhin in Sicht: Nach einer langen Debatte gab der Deutsche Volleyballverband Sude und Laboureur den Status als Nationalteam und übernimmt damit die Reisekosten für die größten Events, die Physiobetreuung und die Scouts. Vorerst jedenfalls, bis Saisonende, denn eigentlich würde der Verband gerne im Zuge der Umstrukturierung im DOSB alle Spitzenteams selbst an seinem Stützpunkt in Hamburg betreuen – der dortige Bundestrainer ist pikanterweise Ludwigs Freund.
Sudes Vater ist der „Mr. Volleyball“
Es gibt eine große Diskussion im deutschen Sport, ob man Athleten dazu zwingen kann, ihre Familien, festen Strukturen und tradierten Umfelder zu verlassen, im Volleyball scheint im Gegensatz zum Schwimmen inzwischen die Vernunft zu siegen. Ludwig/Walkenhorst waren die erste Ausnahme, Sude/Laboureur, das zweite Selfmade-Weltklassepaar, folgten – auch aus beruflichen Gründen. Laboureur, die in Friedrichshafen geboren wurde und bereits mit 15 ans Leistungszentrum nach Heidelberg zog, studiert Medizin in Tübingen. Sude hat am Neckar ein Zahnmedizinstudium begonnen. Und den Athleten das Berufsleben vermasseln, wollte der Verband dann doch nicht.
Sude folgt mit ihrer zweiten Passion damit erneut ihrem Vater Burkhard. Der 59-Jährige ist Zahnarzt in Neukirch bei Tettnang – und trägt als 203-maliger Nationalspieler den Kampfnamen Mr. Volleyball. Drei Jahre lang spielte Sude einst beim VfB, später trainierte er Bundesligist Saulgau. In den 80er-Jahren war er zudem einer der Pioniere des Beachvolleyballs im Land, bei „Wetten, dass ...“schlug er einmal im Alleingang ein sechsköpfiges Verbandsligateam. So weit ist die Tochter, die mit vier Jahren an den See kam, noch nicht, aber in seine Fußstapfen tritt sie gerne: „Was Papi alles geschafft und unter einen Hut bekommen hat, ist Wahnsinn.“Noch hängt zuhause nur die gigantische Kuhglocke, die es für den Sieg in Gstaad gab. Aber am 6. August könnte Julia Sude den Vater toppen. Weltmeister war Burkhard Sude nie.