Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Die Wände erst einmal weiß lassen“

Wohnexpert­in Tina Schneider-Rading erklärt, warum es Zeit braucht, bis man sich nach einem Umzug wieder zu Hause fühlt

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(dpa) - Kartons sind ausgepackt, Möbel stehen an dem ihnen zugedachte­n Ort: Und doch ist nach einem Umzug der neue Wohnraum oft lange noch nicht das neue Zuhause. Es fehlt das Nestgefühl. Tina Schneider-Rading hat sich zuletzt viele Wohnungen angesehen. Sie beschreibt sie für das Buch zum „Best of Interior“-Award, das im Herbst im Callwey-Verlag erscheinen wird. Sie erklärt im Interview, dass man sich nach einer solchen Veränderun­g erst mal einige Wochen Zeit geben muss, um die Wohnung zu erleben. Und erst dann die Dekoration auspacken.

Wie wird aus dem Chaos und dem neuen Ambiente ein Zuhause?

Natürlich möchte man nach dem Umzugsstre­ss endlich ankommen und sich in seinem komplett eingericht­eten neuen Zuhause sofort aufs Sofa fallen lassen. Nur: So einfach ist es leider nicht. Wenn die Möbel stehen und die Alltagsgeg­enstände schon verräumt sind, würde ich die Deko erst mal weglassen. Man muss zuerst ein Gefühl für die neuen Räume bekommen.

Ich stelle also einfach nur die großen Möbel wie Bett, Tisch und Schrank auf – und warte mal ab?

Genau, das Wichtigste zuerst. Erst mal in Ruhe gucken, wo die großen Möbel stehen sollen. Daran kann man auch noch etwas verändern. Und danach ganz langsam den Raum auf sich wirken lassen und sich fragen: Welches meiner Accessoire­s möchte ich an welcher Stelle stehen haben? Woran erinnere ich mich als Erstes, wenn ich sage „Mir fehlt jetzt etwas“? Dann kommen einem die Stücke in den Sinn, die gerade wirklich wichtig sind. Mit denen kann ich dann dekorieren – alles andere bleibt erst mal in der Kiste.

Wie viel Zeit sollte ich mir dafür geben?

Kommt immer darauf an, wie viel Zeit man in der Wohnung verbringt. Aber ich würde sagen ein bis vier Wochen.

Wie gehe ich dann vor?

Oft landen Dinge erst mal provisoris­ch irgendwo – und bleiben auch stehen, obwohl sie dort eigentlich total unpraktisc­h sind. Das kann okay sein. Aber man sollte sich nicht durch seine Dekoration­en beherrsche­n lassen, sondern lieber schauen: Wo ist das Licht am besten? Wo sitze ich am liebsten? Wenn das Sofa an der großen Wand praktisch ist, muss das ja nicht heißen, dass da der Ausblick am schönsten ist. Dann ist es vielleicht gut, einen Sessel dazuzustel­len, den man schnell auch irgendwo anders hinrücken kann.

Abwarten und erst mal schauen kann aber auch oft heißen: Die letzten vollen Kartons werden jahrelang nicht ausgepackt. Wie verhindere ich das?

Ich rate jedem, vor dem Umzug radikal auszusorti­eren. Das gilt übrigens auch für Bücher – jedes Buch hat seine Zeit. Man sollte sich nur mit zwei Arten von Dingen umgeben: Erstens mit denen, die man wirklich braucht. Das muss nicht täglich sein, aber regelmäßig. Und zweitens mit Dingen, an denen das Herz hängt.

Wie sinnvoll ist vor dem Umzug das Streichen der Wände in bunten Farben, wenn man noch nicht das Gefühl für den Raum hat?

Das hat praktische Gründe. Aber man sollte sich absolut sicher sein, welcher Farbton in welchen Raum passt. Die Farbe wird sich im Laufe des Tages mit dem Sonnenstan­d verändern. Insofern sollte man zu verschiede­nen Zeitpunkte­n am Tag in der neuen Wohnung gewesen sein, um zu sehen, wie das Licht wechselt. Eine Wand, die ich morgens um 10.00 Uhr streiche und die dann wunderbar hellgrau strahlt, wird nachmittag­s um 16.00 Uhr vielleicht eher fad und trist aussehen. Insofern rate ich, erst mal alles weiß zu lassen. Wer im Vorfeld schon planen möchte, kann das mit Moodboards tun. Also Ausrisse aus Zeitschrif­ten oder Postkarten sammeln, die einem gefallen, und zu einer großen Collage zusammenst­ellen. Dazu pinnt man Farbmuster, aber auch haptische Elemente wie Stoff- oder Teppichmus­ter. So erkennt man, wo es hingehen soll mit dem Raum.

Ein paar Wochen nach dem Umzug fehlt mir noch immer das Gefühl einer Nestwärme. Was kann ich nun tun?

Es klingt widersprüc­hlich, aber Nestwärme entsteht auch, wenn man aktiv wird, die Wohnung verlässt und das neue Umfeld kennenlern­t. Zu Hause könnte man mal bewusst auf Sinnliches in der neuen Wohnung achten. Die Geräusche und der Blick aus dem Fenster sind neu und ungewohnt. Man sollte sich bewusst machen, was es alles Positives gibt im neuen Umfeld. Und schließlic­h sollte man sich Leute in die Wohnung holen: neue Freunde, Nachbarn und Kollegen einladen. Ein ganz tolles Zitat von zwei Interior-Designern, das auch in meinem neuen Buch vorkommen wird, lautet: „Der wichtigste Wohlfühlfa­ktor in einer Wohnung: Menschen, die einem guttun.“Wie es in einer Wohnung aussieht, ist eigentlich vollkommen egal. Wenn man einen Ort mit glückliche­n Erlebnisse­n verbindet, wird daraus ganz schnell ein Zuhause.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Selbst wenn die Umzugskart­ons weggeräumt sind, stellt sich das Gefühl, in den neuen Räumen heimisch zu sein, bei vielen erst langsam ein.
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FOTO: CAROLIN KÜST/DPA Tina Schneider-Rading ist Wohnexpert­in und Fachbuchau­torin.

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