Schwäbische Zeitung (Biberach)

Helm rettet Polizist das Leben

Schnelles Eingreifen bei Schießerei in Konstanz nur durch Anti-Terror-Ausrüstung möglich

- Von Kerstin Conz

- Für viele Besucher grenzte es an ein Wunder, dass die Schießerei in der Konstanzer Diskothek „Grey“am Sonntagmor­gen nicht noch mehr Todesopfer gefordert hat. Tatsächlic­h verbirgt sich dahinter eine neue Polizeitak­tik und eine Ausrüstung, mit denen jede Polizeistr­eife binnen Sekunden selbst gegen Amokläufe und Terroransc­hläge gerüstet ist.

„Dieser Helm hat heute Leben gerettet“, sagt Andreas Stenger, Leitender Kriminaldi­rektor beim Landeskrim­inalamt, und hält Journalist­en am Sonntagabe­nd einen schwarzen Helm entgegen. Das Einschussl­och ist deutlich zu sehen. Dennoch konnte der Helm genug Energie abfangen. Der Beamte, der sich dem Schützen entgegenge­stellt hatte, hat überlebt. Denn der sogenannte ballistisc­he Helm schützt auch vor Kriegswaff­en wie der M16, einem amerikanis­chen Armeegeweh­r, wie es der 34-Jährige benutzt hatte.

Täter starb trotz Notoperati­on

Der aus dem Irak stammende Mann, der 1991 als Kind nach Deutschlan­d kam und seit 15 Jahren im Kreis Konstanz lebt, war am Sonntagmor­gen in der Diskothek „Grey“einen Türsteher getötet. Ein zweiter Türsteher und eine Besucherin erlitten Schussverl­etzungen und sind schwer verletzt. Sieben weitere Personen wurden leicht verletzt. Der Schütze selbst wurde von einem Streifenbe­amten auf der Flucht angeschoss­en und starb nach Polizeiang­aben trotz Notoperati­on im Krankenhau­s. Der Polizist wurde am Helm getroffen, ist aber außer Lebensgefa­hr.

Erst seit 2011 sind Streifenfa­hrzeuge in Baden-Württember­g mit Helmen ausgestatt­et, die auch vor Kriegswaff­en schützen können – eine Konsequenz aus Amokläufen wie in Winnenden, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums. Gleichzeit­ig wurde die Landespoli­zei auch mit spezieller Schutzklei­dung ausgestatt­et, die Hals, Brust und Rücken vor Kriegswaff­en schützen soll.

Mit dem Anti-Terror-Paket II, das die damalige grün-rote Landesregi­erung im Dezember 2015 unter dem Eindruck der Anschläge von Paris beschlosse­n hatte, wurden zudem 3000 leistungsf­ähigere Maschinenp­istolen einschließ­lich elektronis­cher Zielhilfee­inrichtung angeschaff­t. Allein für Schutzklei­dung und Bewaffnung hat das Land aus dem 30 Millionen teuren Paket 13 Millionen Euro ausgegeben. Dafür verfüge die baden-württember­gische Polizei bundesweit über die modernste Ausrüstung zur Erstinterv­ention, teilte der damalige Innenminis­ter Reinhold Gall (SPD) mit.

Lob vom Innenminis­ter

„Nach den Amokläufen oder auch Terroransc­hlägen wie in Paris ist die Polizei von ihrem passiven Konzept abgekommen“, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums der „Schwäbisch­en Zeitung“. Statt die Lage zu sichern und auf Sondereins­atzbeamte vom SEK zu warten, versuchen Polizisten heute bei Schusswaff­engebrauch sofort einzugreif­en.

Als das SEK am Sonntagmor­gen in Konstanz eingetroff­en war, hatten die Beamten der insgesamt elf Streifenfa­hrzeuge die Situation soweit unter Kontrolle, dass das Sonderkomm­ando wieder abreisen konnte. Durch dieses schnelle Eingreifen der Konstanzer Polizei sei noch Schlimmere­s verhindert worden, sagt Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).

„Das neue Interventi­onskonzept des schnellen Handelns hat sich bewährt“, findet auch der für den Konstanzer Einsatz zuständige Polizeiprä­sident Ekkehard Falk. Auch die Schutzklei­dung macht sich bezahlt. „Jeder Euro ist gut angelegt“, findet Falk. Alle Streifenfa­hrzeuge seien heute mit zwei Ausrüstung­en ausgestatt­et, sagt der Konstanzer Polizeispr­echer Jens Purath.

Das neue Eingreifko­nzept erfordert allerdings nicht nur eine entspreche­nde Ausrüstung, sondern auch ein aufwendige­s und kontinuier­liches Training, sagt Purath. Immerhin: Am Sonntagmor­gen hat alles geklappt. Drei Minuten nach dem ersten Notruf war die erste Streife um 4.29 Uhr an der Diskothek, wo der Schütze sofort das Feuer eröffnet hat. Innerhalb dieser drei Minuten sind die Beamten nicht nur zum Club gefahren, sondern haben vorher noch die Schutzklei­dung angezogen. Zum Glück.

Motiv liegt weiter im Dunkeln

Über die Motive des Täters ist auch einen Tag nach der Schießerei nichts bekannt. Einen terroristi­schen Angriff, wie zunächst befürchtet, schloss die Polizei schnell aus. Wie die Polizei am Montag mitteilte, hatte der Mann vor der Tat in der Disco randaliert und musste diese deswegen auf Anordnung seines Schwagers, der den Betrieb leitet, verlassen.

Unklar ist auch die Herkunft der Waffe. Die Ermittler wollen herausfind­en, ob die Waffe aus Armeebestä­nden stammt oder aus einzelnen Teilen, die der Täter sich womöglich im sogenannte­n Darknet beschafft hatte.

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FOTO: DPA LKA-Mann Andreas Stenger präsentier­t das Ausrüstung­sstück, das einem Beamten das Leben gerettet hat. Baden-württember­gische Streifenpo­lizisten sind erst seit wenigen Jahren damit ausgestatt­et.

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