Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Müll im Abwasser sorgt für Probleme
Besonders der Hygienespleen der Leute macht Pumpen und Rechen in den Klärwerken zu schaffen
MAINZ/BERLIN (dpa/lrs) - Es riecht etwas modrig im Rechenhaus des Mainzer Zentralklärwerks. Sogenannte Siebbandrechen filtern hier Allerlei aus dem ankommenden Abwasser: Slipeinlagen sind zu sehen, Wattestäbchen, Plastikverpackungen aus Überraschungseiern und vor allem endlos viele verschlungene Feuchtetücher. „Manchmal fragt man sich schon: Wie kommt das jetzt hier her?“, sagt Betriebsleiter Volker Theis. Sogar ein Teppich sei schon mal aufgetaucht.
Theis arbeitet für den Wirtschaftsbetrieb Mainz (WBM), der das größte kommunale Klärwerk von Rheinland-Pfalz im Stadtteil Mombach betreibt sowie das angeschlossene Kanalsystem. Und das hat wie andere im Land zu kämpfen mit falsch entsorgtem Unrat. Ein hausgemachtes Phänomen, schmeißen doch viele Menschen einfach unbedacht Dinge in den Abfluss und verursachen so Kosten. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in Berlin drückt das so aus: „Steigende Müllmengen im Abwasser setzen den Abwassersystemen zu.“Hygieneartikel gehörten nicht in Toiletten, verstopften Kanäle und Pumpen, betont ein Sprecher. Das Entfernen sei nur mit erheblichem Aufwand möglich und könne schnell mal mehrere Zehntausend Euro pro Pumpe kosten. „Diese Kosten tragen am Ende alle Verbraucher.“
Moderner Hygienespleen
Das Mainzer Zentralklärwerk kümmert sich um das Abwasser der Landeshauptstadt sowie der angrenzenden Verbandsgemeinde Bodenheim. Durchschnittlich 45 Millionen Liter Abwasser kommen täglich an und werden in drei Stufen gereinigt – mechanisch, biologisch, chemisch. Vorher muss das Wasser kilometerlang Kanäle und Pumpen passieren, und die können von Unrat verstopft, beschädigt oder gar zerstört werden. Die Leute hätten heutzutage einen gewissen Hygienespleen, sagt Herlaut bert Hochgürtel, der beim WBM Leiter der Abteilung Abwasserreinigung und Netzeinrichtungen ist. Viel mehr Menschen als früher nutzten zum Beispiel Feuchtetücher und entsorgten sie in der Toilette. „Dort gehören sie aber nicht hin“, betont der Ingenieur. „Die reißfesten Tücher sind das Schlimmste – und es sind Unmengen.“
Letztlich gehöre gar nichts Reißfestes in die Toilette – und nichts Kunststoffhaltiges. Selbst Windeln landeten im Abfluss, erzählt Hochgürtel. WBM-Sprecher Mario Bast drückt das so aus: „Es gibt nichts, was es nicht gibt.“Seile, Bettlaken und ein Gebiss seien schon gefunden worden, einmal sogar ein noch leserlicher Personalausweis, der wohl aus Versehen im Klo gelandet sein dürfte. Lebensmittel wiederum locken WBM Ratten in den Untergrund und verursachen Kosten für deren Bekämpfung.
Besonders an Tagen ohne Regen, wenn wenig Wasser im Kanalnetz sei, fließe nur ein kleines Rinnsal, sagt Hochgürtel. „Die Schleppkraft ist gering, es bleibt Material liegen.“Das summiert sich im Fall von Mainz mit seinen 800 Kilometern Kanal. Die Folge: aufwändige Einsätze, immense Kosten. „Es wird weniger Wasser verbraucht, dafür landen mehr Gegenstände im Kanalnetz“, sagt Hochgürtel. „Der Weg über die Toilette ist halt der einfache.“Vieles löse sich auf der Reise durchs Kanalnetz nicht auf, anderes hafte sich an, bilde „Zöpfe“, die zu Verstopfungen führten und die rund 80 Pumpwerke belasteten.
Wenn eine Pumpe ins Stocken gerate, könne im schlimmsten Fall der Motor kaputt gehen. Manchmal müssten Pumpen gehoben, aufwendig gereinigt oder repariert werden, erzählt Hochgürtel. Oft müsse mit einem Hubkran gearbeitet, die darüberliegende Straße gesperrt werden – zum Ärger der Autofahrer. Auf bis zu 7000 Euro pro Monat summieren sich laut WBM die Reparaturkosten. Zum Teil werde mit Pumpen gearbeitet, die selbst Zerhacker für Unrat hätten. Die seien aber teurer und bräuchten für das Zerhacken Strom.
Mitarbeiter müssten immer häufiger mit sogenannten Spülsaugwagen ausrücken und Leitungen spülen, erklärt Hochgürtel. Vier dieser jeweils mehr als eine halbe Million Euro teuren Fahrzeuge hat der WBM mittlerweile. Außerdem müssten Rechen zur Filterung des Unrats immer engmaschiger werden, was sie teurer mache, wie Hochgürtel erläutert. „Das ist keine Stangenware“, sagt er. Und bei solch engen Durchflüssen seien wiederum kräftigere Pumpen nötig. Am Zentralklärwerk in Mainz kommen pro Jahr zwischen 400 und 600 Tonnen Rechengut zusammen – also herausgefilterter Unrat. Der Müll wird gepresst und muss entsorgt werden. Rund 80 000 Euro fallen dem WBM zufolge hierfür jedes Jahr an Kosten an.
Überall dieselben Probleme
Ähnliches berichten auch andere Werke. Der Sprecher der Trierer Stadtwerke, Carsten Grasmück, beklagt in den Abfluss geworfene Hygieneartikel, die Pumpen und Anlagenteile verstopften. Der Ludwigshafener Stadtsprecher Florian Bittler berichtet von Problemen mit Feuchtetüchern, die sich zu „langen, dicken Zöpfen“verknoteten. „Diese „Verzopfungen“im Abwasser verfangen sich an den Laufrädern von Pumpen und Pumpwerken und erhöhen den Energieverbrauch der Anlagen.“Stärkere Zöpfe könnten Pumpen zum Stillstand bringen.
Der WBM ist angesichts dieser Probleme schon häufiger an die Öffentlichkeit gegangen, um darauf aufmerksam zu machen. Doch oft stoße man auf taube Ohren, sagt Bast. Man sei an Schulen herangetreten und habe Besuche im Klärwerk angeboten. „Die Resonanz war null, nicht eine Schule wollte das.“Auch sonst interessierten sich nur wenige Bürger für das Thema Abwasserreinigung, erst wenn Abwassergebühren erhöht würden, sei der Protest groß.
Andernorts wurde schon zu drastischeren Mitteln gegriffen. In Dresden etwa organisierte die dortige Stadtentwässerung eine Demonstration in der Innenstadt. Dabei protestieren als Kothaufen verkleidete Menschen mit Trillerpfeifen und Trommeln gegen Müll im Klo. Der Slogan: „Alle Dresdner sollen wissen, in das Klo wird nur geschissen“.