Schwäbische Zeitung (Biberach)
Einspruch aus Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht hat Bedenken an Rechtmäßigkeit der Anleiheankäufe der EZB
KARLSRUHE (dpa) - Die Europäische Zentralbank (EZB) ruft mit ihrem Anti-Krisenkurs das Bundesverfassungsgericht auf den Plan. Die Karlsruher Richter haben ernste Bedenken, dass die Währungshüter mit ihren milliardenschweren Käufen von Staatsanleihen womöglich zu weit gehen. Vor ihrem Urteil über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die ultralockere Geldpolitik der Notenbank unter Präsident Mario Draghi schalten sie deshalb den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein, wie am Dienstag in Karlsruhe mitgeteilt wurde (Az. 2 BvR 859/15 u.a.).
Es sprächen „gewichtige Gründe“dafür, dass die dem Anleihenkaufprogramm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank verstießen. Sie gingen über das Mandat der EZB für die Währungspolitik hinaus und griffen damit in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten ein, hieß es weiter. Die Wirtschaftspolitik ist in Europa den nationalen Regierungen vorbehalten.
Mitbestimmungsrecht verletzt
Die Kläger sehen sich durch die Geldpolitik der Notenbank als deutsche Wähler und Steuerzahler in ihren grundgesetzlich garantierten Mitbestimmungsrechten verletzt. Die Vorlage in Luxemburg bedeutet, dass die Verfassungsrichter diese Vorwürfe sehr ernst nehmen. Weil es um EU-Recht geht, soll zunächst der EuGH urteilen. Auf dieser Grundlage entscheidet dann Karlsruhe.
In dem Verfahren geht es nur um Staatsanleihen und andere Wertpapiere des öffentlichen Sektors. Die anderen Einzelprogramme der EZB, zum Beispiel zum Kauf von Unternehmensanleihen, sind nicht betroffen. Die Staatsanleihenkäufe sind aber mit weitem Abstand der größte Posten.
Im äußersten Fall könnten die Richter die deutsche Beteiligung daran untersagen. Die Bundesbank ist größter Anteilseigner der EZB, entsprechend viele Papiere kauft sie. Bundesregierung und Bundestag könnte das Bundesverfassungsgericht verpflichten, auf politischer Ebene auf eine Anpassung oder Beendigung der Käufe hinzuwirken.
Gegen die EZB-Wertpapierkäufe – im Fachjargon QE („Quantitative Easing“/Quantitative Lockerung) genannt – sind in dem Verfahren gleich vier Verfassungsbeschwerden anhängig. Unter den Klägern sind der frühere CSU-Vize Peter Gauweiler sowie mehrere Europaparlamentarier der Liberal-Konservativen Reformer (LKR) um den einstigen AfDMitbegründer Bernd Lucke. Luckes Beschwerde wird von mehr als 1700 Mitklägern unterstützt.
Zentrale Fragen legt der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle jetzt dem EuGH zur Vorabentscheidung vor, mit der Bitte um ein beschleunigtes Verfahren. Erst auf der Grundlage des Luxemburger Urteils soll dann in Karlsruhe über die Klagen verhandelt werden.
Schon wieder die EZB
Diesen Weg hat das Verfassungsgericht bisher erst einmal gewählt, und auch da ging es um die EZB. Auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise im Sommer 2012 hatte Draghi zugesagt, einzelne Krisenstaaten unter Bedingungen mit unbegrenzten Käufen von Staatsanleihen im Notfall zu stützen. Dazu kam es nicht, allein die Ankündigung wirkte beruhigend. Gegen dieses Programm – von den Experten OMT („Outright Monetary Transactions“) genannt – hatten die Verfassungsrichter massive Bedenken. Ehe sie den Daumen senkten, gaben sie allerdings den Richterkollegen am EuGH die Gelegenheit, die EZB-Beschlüsse durch eigene Auslegung mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. In Luxemburg bekamen die Währungshüter 2015 weitgehend grünes Licht. Im Karlsruher OMT-Urteil aus dem Juni 2016 fügten sich die deutschen Richter dann grundsätzlich der bindenden Einschätzung aus Luxemburg, pochten aber auf die Einhaltung bestimmter Grenzen.
Bei den aktuellen QE-Anleihenkäufen stellt sich jetzt wieder die Frage, ob dieser Rahmen überschritten ist. So ist es der EZB beispielsweise verboten, die Käufe vorab anzukündigen. Die Richter werfen die Frage auf, ob es auf den Märkten nicht eine „faktische Gewissheit“gibt, dass ein festgelegter Teil aller Staatsanleihen im Euroraum aufgekauft wird.