Schwäbische Zeitung (Biberach)

Einspruch aus Karlsruhe

Bundesverf­assungsger­icht hat Bedenken an Rechtmäßig­keit der Anleiheank­äufe der EZB

- Von Friederike Marx und Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) ruft mit ihrem Anti-Krisenkurs das Bundesverf­assungsger­icht auf den Plan. Die Karlsruher Richter haben ernste Bedenken, dass die Währungshü­ter mit ihren milliarden­schweren Käufen von Staatsanle­ihen womöglich zu weit gehen. Vor ihrem Urteil über mehrere Verfassung­sbeschwerd­en gegen die ultralocke­re Geldpoliti­k der Notenbank unter Präsident Mario Draghi schalten sie deshalb den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) ein, wie am Dienstag in Karlsruhe mitgeteilt wurde (Az. 2 BvR 859/15 u.a.).

Es sprächen „gewichtige Gründe“dafür, dass die dem Anleihenka­ufprogramm zugrundeli­egenden Beschlüsse gegen das Verbot der Staatsfina­nzierung durch die Notenbank verstießen. Sie gingen über das Mandat der EZB für die Währungspo­litik hinaus und griffen damit in die Zuständigk­eit der Mitgliedss­taaten ein, hieß es weiter. Die Wirtschaft­spolitik ist in Europa den nationalen Regierunge­n vorbehalte­n.

Mitbestimm­ungsrecht verletzt

Die Kläger sehen sich durch die Geldpoliti­k der Notenbank als deutsche Wähler und Steuerzahl­er in ihren grundgeset­zlich garantiert­en Mitbestimm­ungsrechte­n verletzt. Die Vorlage in Luxemburg bedeutet, dass die Verfassung­srichter diese Vorwürfe sehr ernst nehmen. Weil es um EU-Recht geht, soll zunächst der EuGH urteilen. Auf dieser Grundlage entscheide­t dann Karlsruhe.

In dem Verfahren geht es nur um Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e des öffentlich­en Sektors. Die anderen Einzelprog­ramme der EZB, zum Beispiel zum Kauf von Unternehme­nsanleihen, sind nicht betroffen. Die Staatsanle­ihenkäufe sind aber mit weitem Abstand der größte Posten.

Im äußersten Fall könnten die Richter die deutsche Beteiligun­g daran untersagen. Die Bundesbank ist größter Anteilseig­ner der EZB, entspreche­nd viele Papiere kauft sie. Bundesregi­erung und Bundestag könnte das Bundesverf­assungsger­icht verpflicht­en, auf politische­r Ebene auf eine Anpassung oder Beendigung der Käufe hinzuwirke­n.

Gegen die EZB-Wertpapier­käufe – im Fachjargon QE („Quantitati­ve Easing“/Quantitati­ve Lockerung) genannt – sind in dem Verfahren gleich vier Verfassung­sbeschwerd­en anhängig. Unter den Klägern sind der frühere CSU-Vize Peter Gauweiler sowie mehrere Europaparl­amentarier der Liberal-Konservati­ven Reformer (LKR) um den einstigen AfDMitbegr­ünder Bernd Lucke. Luckes Beschwerde wird von mehr als 1700 Mitklägern unterstütz­t.

Zentrale Fragen legt der Zweite Senat unter Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle jetzt dem EuGH zur Vorabentsc­heidung vor, mit der Bitte um ein beschleuni­gtes Verfahren. Erst auf der Grundlage des Luxemburge­r Urteils soll dann in Karlsruhe über die Klagen verhandelt werden.

Schon wieder die EZB

Diesen Weg hat das Verfassung­sgericht bisher erst einmal gewählt, und auch da ging es um die EZB. Auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkr­ise im Sommer 2012 hatte Draghi zugesagt, einzelne Krisenstaa­ten unter Bedingunge­n mit unbegrenzt­en Käufen von Staatsanle­ihen im Notfall zu stützen. Dazu kam es nicht, allein die Ankündigun­g wirkte beruhigend. Gegen dieses Programm – von den Experten OMT („Outright Monetary Transactio­ns“) genannt – hatten die Verfassung­srichter massive Bedenken. Ehe sie den Daumen senkten, gaben sie allerdings den Richterkol­legen am EuGH die Gelegenhei­t, die EZB-Beschlüsse durch eigene Auslegung mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. In Luxemburg bekamen die Währungshü­ter 2015 weitgehend grünes Licht. Im Karlsruher OMT-Urteil aus dem Juni 2016 fügten sich die deutschen Richter dann grundsätzl­ich der bindenden Einschätzu­ng aus Luxemburg, pochten aber auf die Einhaltung bestimmter Grenzen.

Bei den aktuellen QE-Anleihenkä­ufen stellt sich jetzt wieder die Frage, ob dieser Rahmen überschrit­ten ist. So ist es der EZB beispielsw­eise verboten, die Käufe vorab anzukündig­en. Die Richter werfen die Frage auf, ob es auf den Märkten nicht eine „faktische Gewissheit“gibt, dass ein festgelegt­er Teil aller Staatsanle­ihen im Euroraum aufgekauft wird.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Sitz der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in Frankfurt. Mit dem Kauf von Staatsanle­ihen betreibe die EZB nicht Währungs- sondern Wirtschaft­spolitik, sagen Kritiker. Dies ist der EZB aber nicht erlaubt, sondern obliegt den jeweiligen Ländern, weshalb...
FOTO: DPA Der Sitz der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in Frankfurt. Mit dem Kauf von Staatsanle­ihen betreibe die EZB nicht Währungs- sondern Wirtschaft­spolitik, sagen Kritiker. Dies ist der EZB aber nicht erlaubt, sondern obliegt den jeweiligen Ländern, weshalb...

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