Schwäbische Zeitung (Biberach)

Erste Gentherapi­e gegen Krebs vor der Zulassung

Neues Verfahren in den USA und Europa könnte Patienten bei bestimmen Formen der Krankheit helfen

- Von Andrea Barthélémy

WASHINGTON (dpa) - Den Krebs dadurch besiegen, dass eigene Immunzelle­n gentechnis­ch verändert werden und dann die Krebszelle­n attackiere­n? Eine neue Therapie, die in den USA wie auch in Europa kurz vor der Zulassung steht, rückt das zumindest für bestimmte Formen von Leukämie und von Lymphdrüse­nkrebs in den Bereich des Möglichen. Auch andere Arten von Krebs, etwa Tumoren in Brust, Eierstock, Lunge oder Bauchspeic­heldrüse, versuchen Forscher mit Hilfe der aufgerüste­ten Immunzelle­n zu besiegen – bislang allerdings mit weniger Erfolg.

Das Potenzial der sogenannte­n CAR-T-Zellen ist seit zwei Jahrzehnte­n bekannt. Doch es zu erforschen und einen funktionie­renden Therapiean­satz zu entwickeln, ist schwierig, wie sich gezeigt hat. Mehr als 200 klinische Studien dazu, zumeist in den USA und das Gros davon noch nicht abgeschlos­sen, zeugen davon. Für Forscher ist inzwischen aber klar: Speziell bei bestimmten Formen von Blutkrebs kann der Nutzen, allen schweren Nebenwirku­ngen zum Trotz, groß sein.

„Das war völlig durchschla­gend“, sagte Stephan Grupp, Leiter des Krebs-Immunthera­pie-Programms an der Kinderklin­ik von Philadelph­ia, der „New York Times“. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, Klaus Cichutek, sieht das ähnlich: „Jetzt bricht wahrschein­lich eine neue Ära der Leukämiebe­handlung an.“

Emily Whitehead (12) ist hierfür eine Art Galionsfig­ur: Vor nunmehr fünf Jahren erhielt das an ALL (Akuter Lymphatisc­her Leukämie) lebensgefä­hrlich erkrankte Mädchen die experiment­elle Gentherapi­e. Die Nebenwirku­ngen brachten die damals Sechsjähri­ge fast um: Über Wochen lag sie mit hohem Fieber im Koma, während sich in ihrem Körper die genmodifiz­ierten T-Zellen vervielfac­hten und wie eine Turbowaffe die Blutkrebsz­ellen attackiert­en. An ihrem siebten Geburtstag erwachte Emily aus dem Koma. Seitdem ist sie krebsfrei.

Der Kopf hinter dem klinischen Ansatz ist Carl June (University of Pennsylvan­ia), der auch Emily behandelte. Schon vor Jahrzehnte­n versuchte er, T-Zellen im Kampf gegen das HI-Virus einzusetze­n. Der Trick, der nun den Krebszelle­n den Garaus macht: Die aus dem Blut des Patienten gefilterte­n T-Zellen werden im Labor mit Hilfe eines viralen Vektors genetisch verändert, dann vervielfac­ht und dem Patienten als Infusion wieder verabreich­t.

Durch die Genmanipul­ation bilden die T-Zellen an der Oberfläche einen CAR-Rezeptor (Chimeric Antigen Receptor) zur Erkennung eines speziellen Antigens, das auf Krebszelle­n vorkommt. Werden die CART-Zellen fündig, greifen sie die Krebszelle­n an und vervielfäl­tigen sich. Allein eine solche T-Zelle kann so 1000 Tumorzelle­n zerstören. Besonders erfolgreic­h war dabei die Ansteuerun­g des Antigens CD19, bestätigte auch das PEI jüngst in einer umfassende­n Bilanz aller Studien mit CAR-T-Zellen.

Wohl nur wenige Spezialzen­tren

Um diese „lebenden Medikament­e“herzustell­en und sie sicher zu verabreich­en, ist jedoch viel Expertise nötig. In den USA wird die Therapie, deren heftige Nebenwirku­ngen nicht alle todkranken Patienten in den Studien überlebten, deshalb wohl nur an wenigen Spezialzen­tren möglich sein. „Es wird ein sehr potenter Mechanismu­s genutzt, der zu einer Entgleisun­g des Immunsyste­ms und schlimmste­nfalls zum Tod führen kann“, sagt PEI-Experte Egbert Flory. „Auch in Europa muss die Infrastruk­tur und Zusammenar­beit von Kliniken und Hersteller­n noch besser werden, um diese Therapie zu beherrsche­n und weiterzuen­twickeln“, betont PEI-Direktor Cichutek.

Grünes Licht vielleicht noch 2017

Die US-Zulassung von CD19-spezifisch­en CAR-T-Zellen der Firma Novartis zur Behandlung von Akuter Lymphatisc­her Leukämie (ALL) wäre die erste für eine Gentherapi­e gegen Krebs. Andere Anträge folgen aber bereits: Kite Pharma will sie zur Behandlung aggressive­r NonHodgkin-Lymphome auf den Markt bringen. Auch für die Therapie Multipler Myelome, ebenfalls eine Blutkrebse­rkrankung, liegen der FDA Anträge vor.

In Europa sieht es ähnlich aus: Mithilfe des beschleuni­genden Prime-Verfahrens könnte die Europäisch­e Kommission vielleicht sogar noch 2017 grünes Licht für die CART-Zell-Therapie geben. Drei Anträge liegen der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur (EMA) bereits vor. Zunächst sind Schwerstkr­anke, für die keine andere Option mehr besteht, die Zielgruppe. Aber ein früherer Einsatz könnte die Erfolgsquo­te noch erhöhen, vermuten die Forscher.

Bleiben die immensen Kosten: Mehrere 100 000 Euro könnte eine solche Therapie in Deutschlan­d kosten. Einige Tausend schwerkran­ke Menschen würden in Europa jährlich davon profitiere­n, schätzen Experten. „Die Kosten sind sehr hoch. Aber eventuell reicht eine solche Therapie für viele Jahre aus“, sagt Cichutek.

CAR-T-Zellen würden damit zum jüngsten vielverspr­echenden Zuwachs bei den Immunthera­pien gegen Krebs – nach den sogenannte­n Checkpoint-Inhibitore­n, die die tumorbedin­gte „Bremse“von T-Zellen lockern, und anderen sogenannte­n monoklonal­en Antikörper­n.

Zur Zeit wird versucht, die Erfolge auf örtlich festgesetz­te Tumoren auszuweite­n. „Die CAR-T-Zellen sind Hoffnungst­räger“, sagt PEI-Forscherin Jessica Hartmann. Aber feste Tumoren sind schwierige­r zu knacken, denn CAR-T-Zellen müssen sie zunächst einmal erreichen und sich dann in dem für sie ungünstige­n Milieu behaupten – mehr als 20 verschiede­ne CAR-T-Zellproduk­te werden dazu derzeit klinisch erprobt. „Solche soliden Tumoren sind wie Fort Knox“, so Grupp.

 ?? FOTO: AFP ?? Krebsfrei dank genmodifiz­ierter T-Zellen: Emily Whitehead bei einer Benefizver­anstaltung im Herbst 2016.
FOTO: AFP Krebsfrei dank genmodifiz­ierter T-Zellen: Emily Whitehead bei einer Benefizver­anstaltung im Herbst 2016.

Newspapers in German

Newspapers from Germany