Schwäbische Zeitung (Biberach)

Modernes Spiel mit Liebe, Leid und Tod

Ausstellun­g „Kraftquell­en“auf Schloss Achberg zeigt zeitgenöss­ische Künstler und alte sakrale Kunst

- Von Rolf Waldvogel www.schloss-achberg.de

ACHBERG - Kann moderne Kunst sakral sein? Darf sie es? Will sie es? Oft gestellte Fragen. Aparte Antworten gibt die Ausstellun­g „Kraftquell­en“auf Schloss Achberg, die mit einem originelle­n Konzept aufwartet: 16 Künstler haben sich zur Annäherung an das Religiöse unter 80 Kunstwerke­n aus der Sammlung der Oberschwäb­ischen Elektrizit­ätswerke (OEW) umgesehen und ihre jeweiligen Favoriten ausgewählt. Die Resultate dieser Kontaktauf­nahmen sind nun so heterogen wie die Originale selbst – anregend allemal.

Christus, Maria, Johannes, Engel, Heilige – warum gerade jetzt diese Parade auf Achberg? „Religion liegt in der Luft“Maximilian Eiden, Leiter des Kultur- und Archivamte­s des Landkreise­s Ravensburg, zieht lächelnd die Luther-Karte. Im Reformatio­nsgedenkja­hr steht es schließlic­h jeder Kunstinsti­tution gut an, sich Glaubensdi­ngen zu widmen – zumal wenn sie mit Pfunden wuchern kann wie dem hochwertig­en OEW-Fundus. Zwar reicht der Luther-Bezug nicht sehr weit. Es ist vorreforma­torische oder gegenrefor­matorische Kunst zwischen 1150 und 1800, die hier in Kontakt mit der Moderne tritt, und die protestant­ische Bilderwelt hat ja eher Seltenheit­swert in Oberschwab­en.

Spirituell­e Stimulanzi­en

Aber die „Patenschaf­ten“zwischen alter und neuer Kunst, die die bestens in der Szene vernetzte Kuratorin Ilonka Czerny für die Achberger Schau gestiftet hat, greifen durchaus aktuelle spirituell­e Tendenzen auf, die sich mit unserer Lebenswelt auseinande­rsetzen. Manche Überinterp­retationen, manche Verrätselu­ngen, gewiss. Aber was angenehm überrascht: Mögen die altehrwürd­igen Werke nun wahre spirituell­e Stimulanzi­en sein oder nur intellektu­elle Sparringsp­artner, der ansonsten übliche Missbrauch alter sakraler Kunst für die billige Effekthasc­herei religionsf­erner Künstler hält sich in engen Grenzen.

Wie immer ist Achberg mit seiner Architektu­r ein Aktivposte­n an sich. Da thront ein Engel, geschaffen vom hochbegabt­en Johann Joseph Christian um 1760, umgeben von rauschhaft­en Rosengebil­den aus Wolle im „Raum der überirdisc­h-irdischen Liebe“von Susanna Taras. Und über ihm schwebt der Götterbote Hermes Susanna Taras hat einen Engel, geschaffen von Johann Joseph Christian um 1760, in den Kontext mit rauschhaft­en Rosengebil­den aus Wolle gesetzt. Und über allem schwebt der Götterbote Hermes mit seinen Flügelchen an Helm und Füßen.

mit seinen Flügelchen an Helm und Füßen – nur möglich in einem solchen barocken Stuckparad­ies. Als stark symbolbela­dene Blume hat die Rose auch die Franziskan­erin M. Pietra Löbl inspiriert. Ihre Objekte aus echten Rosenblätt­ern korrespond­ieren aufs Schönste mit den Rosengirla­nden der Gästezimme­rtapete und mit der reizenden Figur einer Maria – Rose ohne Dornen – um 1470/80. Ein romanische­s Kreuz hat Jeanette Zippel als Bezugspunk­t für ihr Hängeobjek­t aus echtem Bienenwach­s ausgewählt. Soziales Sterben des Heilands, soziales Leben der Bienen – eine interessan­te Parallele. Und auch hier spielt die alte Tapete mit: Ihre modern anmutenden Op-artQuadrat­e lassen sofort an Waben denken.

Manchmal sind geistige Rösselsprü­nge gefragt: Sonja Alhäuser entwickelt ihre fantasievo­llen Umsetzunge­n von Kochrezept­en aus der Begegnung mit einer liebreizen­den „Unterweisu­ng Mariens“von Dominikus Hermenegil­d Herberger, Schöpfer der Allegorien im Bibliothek­ssaal

Wiblingen. Alhäuser wurde ebenfalls von ihrer Mutter unterwiese­n – am Herd. Auch Thom Barths Zusammensp­annen zweier Putten auf einem Barockbild mit zwei Putten-Torsi in seinem MixedMedia Objekt erfordert Einfühlung. Oder Daniel Brägs Gegenübers­tellung einer Reliquienb­üste des Meisters von Eriskirch um 1420 mit seinem brillant geschnitzt­en Konterfei aus Eichenholz – eigene Blutreliqu­ie inbegriffe­n. Oder Iris Wöhr-Reinheimer­s Umfunktion­ierung der Heiligen Drei Könige zu Frauen in einer Persiflage auf die WhatsApp-Kultur. Oder Laurenz Theinerts oszilliere­nde Lichtproje­ktionen auf einer versehrten Pietà um 1500. Oder Jan Dietrichs Smartphone-Film-Spiel im Halbdunkel mit einem heiligen Sebastian um 1700.

Kein Ende des Leids

Ilonka Czernys Textbanner geben Orientieru­ngen vor, Interpreta­tionshilfe­n. Manches erschließt sich spontan: Karolin Bräg konfrontie­rt ein munteres Engelspärc­hen des

Spätbarock­virtuosen Johann Georg Dirr mit dem Foto einer Mutter und ihrem im Krieg ermordeten Kind. Wo waren die Schutzenge­l? Theodizee mit modernen Mitteln. Klaus Illi arbeitet in seiner Installati­on mit Foto, Videofilm, Betstuhl, Himmelslei­ter und spätgotisc­her trauernder Maria sehr anrührend das Schicksal der 2016 in Freiburg ermordeten Studentin Maria Ladenburge­r auf. Matthias Beckmann umgibt Michael Zeynslers wundervoll­es Relief einer „Flucht nach Ägypten“von 1525/30 mit milieusich­eren Zeichnunge­n aus einer Berliner Flüchtling­sunterkunf­t. Und Rolf Wicker legt einen frühbarock­en Grabchrist­us von Martin Zürn in das Leichtbaup­latten-Modell einer Grabkammer aus der Etrusker-Nekropole Cerveteri.

Bei zwei Figuren drängen sich – mit Verlaub – kunsthisto­risch bedingte Zweifel auf. Ob die Figur mit Dornenkron­e, die Wim Weppelmann zu seinen Selbstport­räts als nackt und schutzlos am Boden liegende Kreatur animierte, wirklich als spätgotisc­her „Himmelfahr­tschristus“

geschnitzt wurde, steht dahin. Auch beim barocken Christus um 1650 – ebenfalls mit Dornenkron­e, aber deklariert als „Auferstehu­ngschristu­s“und umgeben von Fotos der Weinbergte­rrassen von Sanssouci – denkt man eher an einen „Schmerzens­mann“. Immerhin funktionie­rt dann die Assoziatio­n des Blutopfers Christi.

Den stärksten Eindruck aber hinterläss­t die Installati­on „Eternal Eclipse“von Christoph Brech. Hinter dem Christusko­pf einer Kreuzigung­sgruppe um 1480/90 im Halbdunkel läuft der Video-Film einer totalen Sonnenfins­ternis ab. Aber sie hört nicht auf. Will heißen: Kein Ende des Leids auf Erden. Wenn man nicht an die Erlösung glaubt …

Zeit sollte man sich nehmen für diese Ausstellun­g, und aufgeschlo­ssen sollte man sein für Begegnunge­n der besonderen Art. Es lohnt sich.

Bis 22. Oktober, Öffnungsze­iten: Sa., So. und Fei. 10-18 Uhr. Mehr unter:

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FOTO: ACHBERG

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