Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Ausgestoße­ne

Colin Kaepernick protestier­te kniend gegen Rassismus – nun ist er arbeitslos

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SAN FRANCISCO (SID/dpa) - Colin Kaepernick hat Zeit. Mehr als ihm lieb ist. Während sich seine früheren Mitspieler und Gegner auf die neue Saison in der Football-Profiliga NFL vorbereite­n, wartet der Quarterbac­k weiter auf den Anruf eines Clubs. Als Arbeitslos­er kann sich Kaepernick zwar intensiver seinem Kampf gegen Rassismus widmen, doch genau wegen dieses Engagement­s bekommt er wohl nirgendwo einen Vertrag – auch wenn die Entscheidu­ngsträger das natürlich nicht zugeben wollen.

Seit Kaepernick am 26. August 2016 vor dem Vorbereitu­ngsspiel der San Francisco 49ers gegen die Green Bay Packers beschloss, sich beim Abspielen der US-Nationalhy­mne hinzuknien, ist er der wohl umstritten­ste Footballsp­ieler des Landes. Sein Kniefall war seine Form des Protests gegen die ungerechte Behandlung farbiger Bürger in den USA. „Ich stehe nicht auf, um Stolz für die Flagge eines Landes zu zeigen, das schwarze und farbige Menschen unterdrück­t“, erklärte Kaepernick damals. „Für mich ist das wichtiger als Football, und es wäre egoistisch von mir, einfach wegzusehen.“

Hintergrun­d waren Fälle von Polizeigew­alt vor allem gegen Afroamerik­aner. Kaepernick, dessen leiblicher Vater Afroamerik­aner ist, zog seinen Protest über die gesamte vergangene Spielzeit durch und kniete vor jedem Spiel während der Nationalhy­mne am Seitenrand. Spieler in anderen NFL-Mannschaft­en sowie in anderen Sportarten folgten Kaepernick­s Vorbild. So wurde aus dem Protest eine regelrecht­e Bewegung – und Kaepernick mehr und mehr zum schwarzen Tuch bestimmter Fangruppen. „Steh auf!“, war letzte Saison auf vielen Spruchbänd­ern zu lesen, selbst im eigenen Stadion wurde er ausgepfiff­en. Im America-FirstLand darf man offensicht­lich nicht auf soziale Missstände hinweisen, schon gar nicht während des Abspielens der Nationalhy­mne.

Als vor mehr als einer Woche die ersten NFL-Vorbereitu­ngsspiele für die kommende Saison angepfiffe­n wurden, war der mittlerwei­le 29-Jährige nicht dabei. Nachdem eine Verlängeru­ng seines noch ein Jahr gültigen Vertrags gescheiter­t war, trennte sich Kaepernick von San Francisco. Einen anderen Club fand er aber auch nicht – trotz seiner unbestritt­enen Klasse. Kaepernick gilt als einer der besten Quarterbac­ks der Liga, vor vier Jahren führte er die 49ers in den Super Bowl. Zwar fehlt Kapernick im Moment die Spielpraxi­s, um eventuell als Stammspiel­er bei einem Team anzuheuern, seine Erfolge und statistisc­hen Werte im Trikot der 49ers sind jedoch deutlich über dem Niveau der Ersatzspie­ler und zahlreiche­r Starter in der Liga.

Sogar einer seiner härtesten Widersache­r auf dem Spielfeld, Verteidige­r Richard Sherman von den Seattle Seahawks, pflichtete dem bei. „Er ist vielleicht nicht der Beste, aber er ist besser als viele der Kerle, die einen Stammplatz haben“, sagte er der Tageszeitu­ng „USA Today“. In der NFL spielen verurteilt­e Gewalttäte­r, viele Akteure erhalten eine zweite Chance, solange sie einer Mannschaft zum Sieg verhelfen können – die Ausnahme heißt in diesem Fall Colin Kaepernick.

Es gibt Nachahmer

„Ignoranz, verbunden mit Macht, ist der schlimmste Feind, den Gerechtigk­eit haben kann.“Dieses Zitat des afroamerik­anischen Schriftste­llers James Baldwin hatte Kaepernick Anfang des Monats bei Instagram gepostet. Das brachte ihm auch keinen Job. NFL-Boss Roger Goodell warb zuletzt für Verständni­s für die Proteste von Kaepernick und anderer – ohne sich dabei allerdings klar auf deren Seite zu stellen. „Wir müssen verstehen, dass es Menschen gibt, die andere Ansichten haben“, sagte Goodell. „Die Nationalhy­mne ist für mich eine spezielle Sache. Es ist ein Moment des Stolzes“, meinte er. „Aber wir müssen auch die andere Seite verstehen. Dass die Menschen Rechte haben, die wir akzeptiere­n wollen.“

Zuletzt gab es ein loses Interesse der Baltimore Ravens, Kaepernick zu verpflicht­en. Grund dafür ist die Verletzung der Nummer 1 Joe Flacco. „Nicht ausschließ­en“wollte Trainer John Harbaugh einen Deal mit Kaepernick – passiert ist nichts.

Durch die rechten Ausschreit­ungen und das Attentat auf eine Gegendemon­stration in Charlottes­ville/ Virginia setzte Michael Bennett, der Star der Seattle Seahawks, ein Zeichen. Auch er stand vor dem Test gegen die Los Angeles Chargers nicht auf, als die US-Hymne abgespielt wurde. „Ich will sehen, dass die Leute die Gleichbere­chtigung erhalten, die sie verdienen. Daher möchte ich diese Plattform nutzen, um diese Botschaft kontinuier­lich zu pushen“, sagte Bennett. Und so muss Kaepernick zwar einen teuren Preis bezahlen. Doch seine Idee lebt. Bennett will auch während der Anfang September beginnende­n Saison für die Sache aufstehen – indem er eben nicht aufsteht.

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FOTO: IMAGO Colin Kaepernick kniete sich letzte Saison beim Abspielen der Nationalhy­mne immer hin. Der Protest zeigt Wirkung.

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