Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zeit für den Tischtennis-Aufstand
Ochsenhausen will – dem 2:3 gegen Fulda zum Trotz - wieder Titel holen
OCHSENHAUSEN – Manches ist gerade im Wandel im Tischtennis. Balljungen respektive Schiedsrichter, die die Zelluloidkugeln einwerfen, sollen Bundesligapartien beschleunigen, international wird eine maximale Spieldauer von 24 Minuten erprobt, um die Sportart telegener zu machen. Spannender und mysteriöser ist die Tischtenniswelt auch geworden, seit die besten Akteure der Welt im Juni bei den China Open den Aufstand probten. Weltmeister Ma Long, der WM-Zweite Fan Zhendong und Xu Xin, die Nr. 3 der Welt beschlossen, aus Solidarität zu ihrem abgesetzten Nationaltrainer das größte Turnier in ihrer Heimat zu bestreiken. Ex-Olympiasieger Zhang Yike machte es sich einfacher und schob eine Verletzung vor. Allen vier droht eine drakonische Strafe, Ma und Zhang, den Routiniers, vermutlich sogar das Karriereende.
Für den Rest der Welt allerdings könnte das neue Perspektiven bedeuten. China mag eine ganze Legion an Weltklassespielern haben, das Fehlen seiner vier besten aber dürften auch die Tischtennisfabriken im Reich der Mitte nicht so ohne weiteres kompensieren können. Der Traum von einer Olympia- oder WM-Medaille könnte für die Garde dahinter also keine Utopie mehr, sondern eine ambitionierte Vision sein. Das gilt auch für die Ochsenhausener, die fünf der größten Talente außerhalb Chinas, Japans und Koreas in ihrem Leistungszentrum versammelt haben.
Oder doch nicht? TTF-Präsident Kristijan Pejinovic ist skeptisch, was die große Revolution im Tischtennis betrifft. „Ich war gerade eine Woche bei unserem chinesischen Kooperationsclub Shandong Luneng, dem mehrfachen Meister. Mit welcher Akribie, Disziplin und in welcher Masse dort trainiert wird – das ist immer noch ein anderes Level“, sagt Pejinovic. Für seine Spieler gelte es, nicht zu viel zu träumen, „sondern bei sich zu sein, sich allein auf ihre Leistung zu konzentrieren“. Noch nämlich ist es ein weiter Weg für das Quintett, in die Top Ten der Welt vorzustoßen, selbst national mussten sie im Vorjahr erkennen, dass gegen die Besten manchmal noch ein
Tick Aggressivität und Cleverness fehlt. Weil sich der Club aber auf Rang drei der europäischen Setzliste vorgearbeitet hat, ist die Zeit der Kleinmut vorbei, findet Pejinovic. „Klar wollen wir in der neuen Saison einen Titel, alles andere wäre Tiefstapeln und nicht ehrlich. So eine Vorgabe soll kein Druck sein, sondern Motivation.“
Dyjas noch zu passiv
Die 2:3-Niederlage im Spitzenspiel zum Saisonauftakt gegen den TTC Fulda wird die Zuversicht der TTF nicht entscheidend dämpfen – immerhin ist der Rivale mit seinen Abwehrspielern Filus und Wang Xi nicht erst seit den 0:3- und 1:3-Niederlagen im DTTL-Halbfinale im Mai ein veritabler Angstgegner der Ochsenhausener. Obwohl Spitzenmann Simon Gauzy fehlte – der Franzose war gerade wegen eines Virus
zwei Tage im Krankenhaus -, zeigten die TTF am Sonntag ihr Potenzial, zuvorderst Hugo Calderano. Der 21jährige Brasilianer, der die Südamerikameisterschaft ausließ, um erstmals nach vier Jahren komplett zu regenerieren, legte zwei blitzsaubere Auftritte hin. Wang Xi schlug er mit 3:1, auch Filus, mit 29 in der Form seines Lebens, war nach acht Siegen gegen die TTF in Folge gegen Calderano mit seiner fast unerklärlichen Zauberkunst am Ende. „Hätte Hugo nicht gewonnen, hätt ich es vielleicht mal selber versucht, ich hab bei Filus zuletzt geglaubt, ich sei im falschen Film“, sagte Pejinovic. „Aber Hugo hat es fantastisch gemacht.“
Der Killerinstinkt, der Calderano auszeichnet, geht dem EM-Dritten Jakub Dyjas noch ab. Gegen Filus gab der Pole eine 2:1-Führung mangels Aggressivität ab, gegen Wang fehlte ihm auch Glück. Im vierten Durchgang
vergab Dyjas, der kurz zuvor wegen Adduktorenproblemen eine zehnminütige Verletzungspause genommen hatte, vier Satzbälle – die Messe war gelesen. „Die Niederlage ist kein Beinbruch, zumal Gauzy ausfiel“, sagte Pejinovic, „aber Jakub muss schleunigst aus seinen Niederlagen lernen. Er spielt in den wichtigen Situationen zu weich und zu passiv. Filus geht wie beim Poker all-in und riskiert alles, Jakub wartet ab. Das ist zu wenig.“Zumindest, wenn man gern nach 14 Jahren wieder einmal den Trophäenschrank auffüllen würde.
Einzelergebnisse: Calderano – Wang 11:8, 3:11, 11:7, 11:6, Dyjas – Filus 6:11, 11:8, 12:10, 11:13, 5:11, Marumatsu – Groth 9:11, 11:5, 9:11, 4:11, Calderano – Filus 11:5, 11:5, 8:11, 5:11, 11:6, Dyjas – Wang 11:13, 9:11, 11:4, 13:15.