Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Hexenwahn“lockt 15 600 Besucher an

Ausstellun­g: Ravensburg­er Humpis-Quartier räumt mit Missverstä­ndnissen auf

- Von Ruth Auchter

RAVENSBURG - „Die Bude ist voll“, sagt Andreas Schmauder, Leiter des Museums Humpis-Quartier in der Ravensburg­er Marktstraß­e. In den Ferien sind die 100 Audio-Guides täglich quasi durchgehen­d in Benutzung. Mit der Ausstellun­g „Hexenwahn 1484: Frauen auf dem Scheiterha­ufen“hat der Ravensburg­er Stadtarchi­var offenbar einen Nerv getroffen. Seit 5. Mai waren 15 600 Besucher da. Sämtliche Führungen sind ausgebucht.

Auch wenn das Thema sowie seine Präsentati­on, etwa der mit 2052 Stacheln gespickte Folterstuh­l, Beklemmung auslösen: Schmauder ist froh, dass die Sonderauss­tellung so „außergewöh­nlich gut“ankommt. Und sich viele verquere Vorstellun­gen zurechtrüc­ken lassen: „Es gibt großen Aufklärung­sbedarf“– und zwar nicht nur bei den unzähligen Schulklass­en, die bis aus Isny, Bad Wurzach oder Friedrichs­hafen ins Ravensburg­er Humpis-Quartier kommen. Auch jede Menge Feriengäst­e aus der Region Oberschwab­enBodensee-Allgäu finden derzeit den Weg ins Museum Humpis-Quartier.

Wobei laut Schmauder die Überzeugun­g verbreitet ist, die katholisch­e Kirche sei schuld an der Inquisitio­n – 300 Jahre lang wurden nach Angaben in der Ravensburg­er Ausstellun­g zwischen Irland und Portugal 40 000 bis 60 000 sogenannte Hexen auf dem Scheiterha­ufen verbrannt. Der „Muster-Hexenproze­ss“hat 1484 in Ravensburg stattgefun­den. Obschon der päpstliche Abgesandte Heinrich Institoris ihn geleitet hat, macht Schmauder die wahren Verantwort­lichen für die Hexenverbr­ennungen (nicht nur in Ravensburg) jedoch woanders aus: Die Frauen wurden von Bürgern denunziert; verurteilt habe sie das seinerzeit­ige Stadtgeric­ht (mithin schöffenäh­nliche, juristisch­e Laien): „Das waren die Täter.“Außerdem habe es auch in evangelisc­hen Städten Hexenproze­sse gegeben, stellt Schmauder klar.

Der landläufig­en Ansicht, vor allem Hebammen und Kräuterkun­dige seien als Hexen hingericht­et worden, tritt er ebenfalls entgegen: In den allermeist­en Fällen habe es sich um alleinsteh­ende, „am unteren Rand der Gesellscha­ft angesiedel­te Frauen“gehandelt, die weder Familie noch andere Fürspreche­r hatten. Und denen man daher, gebeutelt und verunsiche­rt von Jahren voller Hagel, Unwetter und Ernteausfä­llen, die Schuld für derart „unerklärli­che Phänomene“in die Schuhe schob. Die Existenzän­gste führten darüber hinaus dazu, „dass der Glaube an Magie aufbrach und mörderisch­e Blüten trieb“, so Schmauder.

Allerdings mitnichten im tiefsten Mittelalte­r: „Die Hexenverfo­lgung war ein Phänomen des neuzeitlic­hen Europas nach der Reformatio­n“, so der Museumslei­ter. Der letzten „Hexe“wurde 1775 in Kempten der Prozess gemacht.

Der Museumslei­ter zieht nach dreieinhal­b Monaten „Hexenwahn“eine positive Zwischenbi­lanz: „Das Thema macht betroffen und bewegt die Besucher sehr.“Was sich nicht nur daran ablesen lasse, dass die meisten ungewöhnli­ch lange bleiben: In der Regel schauen, hören und lesen sie konzentrie­rt eine bis eineinhalb Stunden lang, was auf den 300 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche präsentier­t wird. Häufig suchen die Gäste hinterher dann noch weiter das Gespräch mit dem Museumsper­sonal.

Die Ausstellun­g ist dienstags bis sonntags, 11 bis 18 Uhr, und donnerstag­s, 11 bis 20 Uhr, geöffnet.

 ?? FOTO: RUTH AUCHTER ?? Im Foyer des Museums Humpis-Quartier wird klargestel­lt, dass eine Hexe seinerzeit nicht über eine lange Nase oder Warzen definiert wurde.
FOTO: RUTH AUCHTER Im Foyer des Museums Humpis-Quartier wird klargestel­lt, dass eine Hexe seinerzeit nicht über eine lange Nase oder Warzen definiert wurde.
 ?? FOTO: RUTH AUCHTER ?? Auch das Gästebuch zeigt: Die Resonanz auf die „Hexenwahn“-Ausstellun­g ist enorm.
FOTO: RUTH AUCHTER Auch das Gästebuch zeigt: Die Resonanz auf die „Hexenwahn“-Ausstellun­g ist enorm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany