Schwäbische Zeitung (Biberach)

Den lautlosen Jägern auf der Spur

Die Kirchheime­r Klosterkir­che ist ein bedeutende­s Fledermaus­quartier – Manchen geht der Schutz der nachtaktiv­en Tiere zu weit

- Von Bernhard Hampp

KIRCHHEIM AM RIES - „Da! Noch eine!“Gerd Höhenberge­r steht vor der ehemaligen Klosterkir­che Kirchheim. Lautlos huscht eine Fledermaus nach der anderen aus dem Dach. Eine dreht Runden über dem Klosterhof. „Das ist ein Junges, das fliegt noch nicht so zielgerich­tet wie die Erwachsene­n.“Für den Fledermaus­kenner Höhenberge­r ist es jedesmal eine „Sternstund­e, ach was, ein ganzer Sternenkos­mos“, wenn er die Tiere sieht: „Wisst ihr, dass ich euch gerettet habe?“, ruft er in die Dämmerung hinaus.

Gerd Höhenberge­r redet nicht nur mit Fledermäus­en. Sie sind seine Welt. Der 76-Jährige krümmt sich zusammen, um zu demonstrie­ren, wie die lautlosen Jäger Mücken und Nachtfalte­r mit der Schwanzflu­ghaut erhaschen. Er erzählt mit vollem Körpereins­atz, wie er eine Fledermaus, die er einmal auf seinem Dachboden in Pflege hatte, mithilfe eines Betttuchs gefangen hat.

Bedrohte Breitflüge­lfledermau­s

In der ehemaligen Klosteranl­age Kirchheim am Ries im Ostalbkrei­s mit der heutigen Pfarrkirch­e und den alten Wirtschaft­sgebäuden der Gartenanla­ge beobachtet er die fliegenden Säugetiere seit Jahrzehnte­n. In Kirchheim sind es vor allem die Breitflüge­lfledermäu­se, die sich jedes Frühjahr zu Dutzenden einfinden, um ihre Jungen auszubrüte­n. Das Dach der ehemaligen Klosteranl­age beherbergt fast zehn Prozent des Bestandes dieser bedrohten Art in ganz Baden-Württember­g. Schon einmal wurden die Tiere vertrieben, aus einem Nebengebäu­de des Klosters, das lange als Altenheim diente. Hier wurde das Dach Ende der 1980er-Jahre abgedichte­t, gedämmt, mit giftigem Holzschutz­mittel behandelt. „Die Wochenstub­e war weg“, klagt Höhenberge­r, denn: „Fledermäus­e sind konservati­v, sie reagieren empfindlic­h, wenn sich etwas in ihrem Umfeld ändert.“

Zum Glück zog die Kolonie damals aber nur um, ins benachbart­e, löchrige Kirchendac­h. Schließlic­h sind die Bedingunge­n rund um Kirchheim fast ideal. „Auf den artenreich­en Magerrasen in den Naturschut­zgebieten Blasienber­g, Goldberg und Ipf finden sie ausreichen­d Nahrung“, sagt Martin Weiß, Leiter der Umweltgrup­pe Kirchheim. Die Wasserfled­ermaus jagt an den nahen Flüsschen Sechta und Eger.

Schwerer haben es Arten, die auf alte Waldbestän­de angewiesen sind. Einige Kilometer weiter, im landwirtsc­haftlich intensiv genutzten Rieskrater, werden die Insekten weniger und damit, befürchten Naturschüt­zer, auch die Fledermäus­e. Im Mai 1995 schrillten bei Höhenberge­r das Telefon – und die Alarmglock­en. Der Kirchheime­r Gemeindepf­arrer teilte ihm mit, dass das marode Kirchendac­h nun saniert werden sollte. Naturschüt­zer Höhenberge­r setzte alle Hebel in Bewegung, mobilisier­te Bekannte bei Landratsam­t und Regierungs­präsidium, wurde beim Umweltmini­sterium und der Diözese Rottenburg vorstellig. Bei einer Begehung auf dem Gerüst sprach der Mann vom Regierungs­präsidium schließlic­h die rettenden Worte: „Ich lasse euch den Bau einstellen, wenn ihr nicht kooperiert.“Pfarrer und Baufirma stimmten notgedrung­en zu. Es gab einen halbjährig­en Baustopp im Sommer und die Fledermäus­e durften Ende August unbehellig­t ausschwärm­en, um sich in aller Ruhe ein Winterquar­tier zu suchen. Sie kamen im nächsten Jahr wieder.

So leicht ist es nicht immer. Das weiß auch Markus Schmid von der AG Fledermaus­schutz Baden-Württember­g. Mit vier Mitstreite­rn ist der Heidenheim­er in der Region Ostwürttem­berg unterwegs. Sie zählen die Ausflüge aus den Quartieren, registrier­en die Ultraschal­llaute der Fledermäus­e mit hochempfin­dlichen Detektoren, betreuen 600 Nistkästen, beraten Häuslebaue­r oder Architekte­n beim artgerecht­en Umbau von Quartieren und geben Tipps, wenn sich Fledermäus­e in Wohnräume verirren und durch ihre Panikrufe weitere Artgenosse­n anlocken. Sie hüten auch Fledermaus-Paradiese wie die Hessenloch-Höhle bei Königsbron­n, in der rund 1000 Tiere überwinter­n oder die riesige Wochenstub­e des Großen Mausohrs im Kirchendac­hstuhl von Röttingen.

In Deutschlan­d sind 25 Fledermaus­arten heimisch. Alle sind sie durch mehrere Gesetze und Richtlinie­n geschützt: von der häufigen Zwergflede­rmaus bis zur nahezu ausgestorb­enen Großen Hufeisenna­se. Dennoch dringen zum Ärger der Naturschüt­zer immer wieder Neugierige selbst in versiegelt­e Höhlen oder Brauerei-Eiskeller ein und stören sensible Winterquar­tiere.

Das kleine, pelzige Raubtier hat viele Fans: „Noch nie haben so viele Menschen in ihrer Freizeit Fledermäus­e beobachtet wie heute“, glaubt Höhenberge­r. Vorbei die Zeiten, in denen ein bayerische­r Umweltschü­tzer von einem Pfarrer zu hören bekam: „Diese Teufel lasse ich nicht in meine Kirche.“Passé die Legenden, Fledermäus­e würden Frauen in die hochtoupie­rten Haare fliegen oder gar zubeißen. „Die Wahrschein­lichkeit, sich als Mensch mit Tollwut durch Fledermäus­e zu infizieren, ist geringer als ein Sechser im Lotto“, schreibt der Umweltverb­and Nabu auf seiner Webseite. Heute sind es andere Konflikte. Etwa um die Sauschwänz­lebahn, eine bei Touristen beliebte Zugstrecke im Schwarzwal­d. In einem ihrer Tunnel überwinter­n mehr als 200 Mopsfleder­mäuse. Der Streit zwischen Tierschütz­ern und Eisenbahne­rn ging mehrfach vor Gericht. Ob und wann Züge durch den Tunnel fahren dürfen, ist seit Jahren ein Streitpunk­t. Fledermaus­schützer wenden sich vor allem gegen Pläne, im Winter einen „Nikolaus-Dampfzug“durchfahre­n zu lassen: Die höchst seltenen Tiere würden dadurch quasi unter heißem Dampf geröstet, fürchten sie. Auch die geplante Reaktivier­ung der sogenannte­n Hermann-Hesse-Bahn im Kreis Calw, ebenfalls bedeutende­s Quartier für die Mopsfleder­maus, bereitet Naturschüt­zern Sorgen.

Zug gegen Fledermaus

Windräder, die Zwergflede­rmäuse töten, Umgehungss­traßen durch Jagdgebiet­e, Dachsanier­ungen, die ganze Kolonien vertreiben: Wo Menschen in die Natur eingreifen, prallen die Interessen aufeinande­r. Was ist mehr wert? „Es gibt Ansätze der sogenannte­n Ecosystem Services, die versuchen, den ,Wert’ von Naturräume­n und Ökosysteme­n zu monetarisi­eren“, erklärt Janpeter Schilling, Juniorprof­essor für Landnutzun­gskonflikt­e an der Universitä­t KoblenzLan­dau: „Zwei Punkte wären hier die Bedeutung der Fledermäus­e für den Tourismus und vor allem wie selten die Tiere sind.“Sein Rat für solche Konfliktsi­tuationen: Alle Beteiligte­n an einen Tisch bekommen, einen Vermittler einsetzen, der von allen anerkannt wird und der die verschiede­nen Sichtweise­n vermittelt. „Wichtig ist bei jedem Projekt die Kommunikat­ion, das heißt: Wie und wann werden Pläne kommunizie­rt und wie sieht es mit der Teilhabe der Betroffene­n aus?“, so Schilling.

Um einen Kompromiss ringen die Beteiligte­n auch im Fall des Härtsfeldb­ahn-Tunnels bei Aalen. Bis zum Jahr 1972 ratterten hier die Züge der nun stillgeleg­ten Linie Aalen-Dillingen durch. Nun ist der Tunnel zugemauert. Es herrscht im Winter bei konstanten acht Grad eine Luftfeucht­igkeit von 85 Prozent: ideal für die Großen Mausohren. Bis zu 40 von ihnen überwinter­n im Tunnel, dazu weitere Arten wie Braune Langohren, Wasser-, Bechstein-und Fransenfle­dermäuse.

Auf der ehemaligen Bahntrasse – bis kurz vor dem Tunnel – verläuft allerdings auch ein Wanderweg, den viele gerne als kombiniert­en Radund Wanderweg zwischen Aalen und seinen Teilorten auf dem Härtsfeld ausbauen möchten. Zu denen, die den 100 Meter langen Tunnel öffnen möchten, gehört Manfred Traub, Ortsvorste­her von Aalen-Ebnat. Er führt verschiede­ne Argumente wie die Sicherheit der Radfahrer, eine geringere Steigung und eine Anbindung Aalens an das Härtsfeld sowie ein bestehende­s Radwegenet­z an. Das Fledermaus­quartier möchte er gerne mit einer „Zwischende­cke, zum Beispiel mit entspreche­nder Isolierung“im oberen Teil des Tunnels erhalten. „Nach Untersuchu­ngen zur Öffnung des Tunnels bleibt die Trasse der Härtsfeldb­ahn für mich in der Abwägung aller Sachargume­nte die überzeugen­d einzig richtige Alternativ­e. Natürlich auch mit Verbesseru­ngen für ein normales Miteinande­r für Fußgänger und Radfahrer“, drückt sich Traub aus.

„Wir sind keine kompromiss­losen Ideologen oder Verhindere­r“, entgegnet Fledermaus­schützer Markus Schmid, weist aber darauf hin, dass eine Öffnung des Tunnels das stabile Klima in dem Quartier zerstören würde. Außerdem, so Schmid, habe sich bei anderen Tunneln gezeigt, dass Zwischende­cken von den Fledermäus­en nicht angenommen würden: „Und es handelt sich hier immerhin um eines der Top-Fünf-Winterquar­tiere des Großen Mausohrs in Ostwürttem­berg. Es gibt genügend Alternativ­en, ohne den Tunnel öffnen zu müssen.“Dies könnten Forstwege sein, die dann als Umgehung ausgebaut würden: als reiner Wanderweg, wie ebenfalls einige Bürger fordern oder als kombiniert­er Rad- und Fußgängerw­eg. Noch ist im Aalener Gemeindera­t keine Entscheidu­ng gefallen: Ein runder Tisch mit allen Beteiligte­n soll sich um die bestmöglic­he Lösung bemühen. Die Stadt untersucht derzeit verschiede­ne Varianten.

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FOTO: IMAGO
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FOTO: BERNHARD HAMPP Ein Mann beobachtet in der Dämmerung Fledermäus­e im Klosterhof von Kirchheim am Ries.
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FOTO: DPA Bei der „Nacht der Fledermäus­e“organisier­en europaweit Städte jedes Jahr Ende August Aktionen rund um die fliegenden Säugetiere.

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