Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kompromiss­bereit und trotzdem durchsetzu­ngsfähig

Anja Reinalter aus Laupheim kandidiert im Wahlkreis Biberach für Bündnis 90/Die Grünen

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Anja Reinalter aus Laupheim verfügt als Stadt- und Kreisrätin bereits über einige kommunalpo­litische Erfahrunge­n Bei den Grünen, für die sie nun im Wahlkreis Biberach für den Bundestag kandidiert, ist sie aber erst seit einigen Monaten Mitglied. Sie steht einerseits für klassisch grüne Themen wie Klimaschut­z und soziale Gerechtigk­eit, hält anderersei­ts als leidenscha­ftliche Autofahrer­in das eigene Auto im ländlichen Raum für notwendig, um flexibel zu sein.

„Hier ist ein Tippfehler in meinem Wahlprospe­kt. Finden Sie ihn?“, sagt Anja Reinalter zu dem jungen Mann, der an ihrem Stand auf dem Biberacher Wochenmark­t stehen bleibt und sich in den Text vertieft. „So bringe ich die Menschen wenigstens dazu, dass sie meinen Prospekt lesen“, sagt sie und lacht. Den Tippfehler gibt es wirklich. „Was soll ich mich darüber ärgern, ich mache das Beste draus.“

Dass die 47-Jährige für die Grünen in den Bundestags­wahlkampf ziehen würde, war vor einem Jahr noch nicht abzusehen. „Ich wurde gefragt und für mich ist es jetzt der richtige Zeitpunkt“, sagt die dreifache Mutter. Dass sie die Nominierun­g im vergangene­n Oktober nur mit einer Stimme Vorsprung gewann, zeigt, dass Anja Reinalter vermutlich nicht in allen Punkten das ist, was sich die Parteimitg­lieder unter einer „klassische­n“Grünen-Kandidatin vorstellen.

„Ich bin jemand, der Schnittmen­gen sucht, auch mit anderen Parteien“, sagt sie. Das habe sie in der Kommunalpo­litik gelernt. Dort hat sie aber auch gezeigt, dass sie durchsetzu­ngsfähig ist. Es gehe ihr nicht um die Sicherung von Pfründen. „Aber vielleicht sind da Frauen auch anders als Männer.“Aus diesem Grund fände sie es auch wünschensw­ert, wenn nach fast 70 Jahren auch mal eine Frau diesen Wahlkreis im Bundestag vertreten würde. Auf Platz 35 der Grünen-Landeslist­e ist das für Anja Reinalter allerdings eher unwahrsche­inlich. „Hätten wir in den vergangene­n 60 Jahren mehr Frauen im Bundestag gehabt, wären wir vor allem im sozialen Bereich deutlich weiter“, ist sie überzeugt. „Da muss man nur nach Skandinavi­en schauen.“

„Altersarmu­t ist weiblich“

Soziale Gerechtigk­eit ist ihr besonders wichtig. „Da sehe ich sehr viele gute Ansätze bei den Grünen“, sagt sie. Dabei gehe es um gleiche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleichwert­iger Arbeit. „Altersarmu­t in Deutschlan­d ist noch immer weiblich, da wurde von der Politik viel versäumt.“Der Schutz der Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, sei ihr genauso wichtig wie die Homoehe, sagt die bekennende Christin. Aus Unkenntnis oder aus politische­m Kalkül heraus werde den Grünen unterstell­t, „dass sie die Familie verraten“, sagt Anja Reinalter. Solche Anfeindung­en erreichten sie auch über soziale Medien. Als weiteren Schwerpunk­t setzt sie im Wahlkampf das Thema Klimawande­l. Hier gebe es gute Ansätze im Bereich der erneuerbar­en Energien, die man in Deutschlan­d stärker verfolgen müsse. Die „leidenscha­ftliche Autofahrer­in“, als die sie sich selbst bezeichnet, hält auch den Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor bis 2030 für machbar. „Die Ingenieurs­kompetenz dazu hat Deutschlan­d.“

Was sie zur Wirtschaft­spolitik bringt: Sie habe mit eigenen Augen gesehen, was passiere, wenn man den Anschluss verpasse: „Mit meinen Eltern war ich in den 80er-Jahren in Detroit. Damals war das die AutomobilB­oomtown. Heute ist die Region das Armenhaus der USA.“Auch aus diesem Grund steht sie beispielsw­eise den Plänen für ein interkommu­nales Industrieg­ebiet im Rißtal nicht völlig ablehnend gegenüber. „Ich sage nicht, das darf gar nicht kommen.“Aber die Pläne müssten kritisch beleuchtet werden. Ihrer Ansicht nach sollte zwischen Wirtschaft und Umwelt kein „oder“stehen.

Keine Abkehr gibt es für Anja Reinalter von der europäisch­en Idee. „Europa sichert uns den Frieden und ist mit ein Grund dafür, warum es uns so gut geht“, sagt sie. Kräften aus dem rechten Spektrum, die Europa lieber „zurückdreh­en“würden, tritt sie entschiede­n entgegen. „Ich diskutiere bei meinen Veranstalt­ungen und Marktständ­en mit allen, um sie zum Nachdenken zu bringen“, sagt Anja Reinalter. Menschen, die an einem Gespräch interessie­rt seien, könne man noch erreichen.

Aber auch sie erlebe an ihren Marktständ­en, dass Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben, sagt Reinalter. „Und da geht es nicht nur um Flüchtling­spolitik, sondern auch um die Sozialpoli­tik, die in den vergangene­n Jahren nicht gut war.“Auch wenn es für sie wohl nicht zum Einzug in den Bundestag reicht, will sie in den nächsten Wochen für ein „deutlich zweistelli­ges“Ergebnis der Grünen kämpfen.

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FOTO: GERD MÄGERLE „Finden Sie den Tippfehler im Prospekt?“Anja Reinalter beweist im Wahlkampf für die Grünen durchaus Humor.
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