Schwäbische Zeitung (Biberach)
875 000 Menschen sollen ihre Wohnungen verlassen
In der Nacht von Samstag auf Sonntag erwartet Südflorida den gewaltigen Hurrikan „Irma“
WASHINGTON - Rick Scott warnt so eindringlich, wie man als Gouverneur Floridas nur warnen kann. „Das ist lebensgefährlich. Das ist nichts, was Sie aussitzen können“, wiederholte der Republikaner am Freitag, was er seit Tagen predigt. „Irma“sei ein gewaltiger Sturm, größer als Florida. Wegen seiner ungewöhnlichen Ausmaße drohe er an beiden Küsten des Bundesstaats, am Atlantik wie am Golf von Mexiko, enorme Schäden anzurichten. „Von Küste zu Küste, flächendeckend“, betont Scott. Die rund 200 Meilen auf dem Highway zwischen Miami und Orlando sind ein einziger Stau. Tag und Nacht reiht sich Auto an Auto, vor den Tankstellen drängen sich die Fahrzeuge besonders. Florida flieht.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag wird „Irma“im Süden des Sunshine State erwartet, einer der stärksten Wirbelstürme, die je über den Landstrich hinweggezogen sind. Meteorologen vergleichen ihn mit „Andrew“, einem Hurrikan der Kategorie 5, der 1992 südlich von Miami aufs Festland traf, 65 Menschen tötete und 63 000 Häuser zertrümmerte. Falls „Irma“mit ähnlicher Wucht auf die Küste prallt, könnte der Schaden noch größer sein, denn die Bevölkerung der Region ist seit „Andrew“um mehr als ein Drittel gewachsen. Im Küstenstreifen zwischen Miami und Fort Lauderdale, de facto eine einzige Stadt, in der sich in Strandnähe ein Hochhaus ans andere reiht, leben rund fünf Millionen Menschen.
Angst vor der Sturmflut
Eine Sturmflut, wie sie ein Hurrikan verursacht, könnte verheerende Folgen haben in einem Gebiet, das ohnehin akut hochwassergefährdet ist. Wegen des Klimawandels steigt der Meeresspiegel: Im mondänen Miami Beach, auf einer vorgelagerten Insel gelegen, stehen auch so schon häufig ganze Straßenzüge unter Wasser. Zugleich hat Fluchtgeld aus Lateinamerika, aus Ländern wie Argentinien und Venezuela, einen nie dagewesenen Bauboom ausgelöst. Die Brickell Avenue in Miami, eine Magistrale am Meer, lässt mit ihren Wolkenkratzern neuerdings an Manhattan denken, nur dass am Straßenrand Hibiskusbüsche wachsen. Florida hat Ende der Neunzigerjahre die Bauvorschriften verschärft, damit stabilere Dächer und Fenster einem Wirbelsturm eher standhalten können. Tankstellen und Supermärkte müssen über Generatoren verfügen, sodass sie auch dann rasch öffnen können, wenn ringsum der Strom ausgefallen ist, weil Böen die Leitungen von den Masten gerissen haben. Was aber, wenn mit „Irma“eine drei Meter hohe Sturmflut kommt? Sie wäre hoch genug, um Teile Miamis zu überschwemmen.
Noch gab es am Freitag die Hoffnung, dass der Sturm vielleicht einen anderen Weg nimmt, als ihn das Nationale Hurrikanzentrum prognostiziert hatte. Dass er östlich der Atlantikküste, über offenem Meer, auf einen Kurs Richtung Norden einschwenkt. Auf Hoffnung wollen die Behörden nicht bauen. Auf Anweisung des Gouverneurs werden sämtliche Schulen und Universitäten geschlossen, damit sie als Notunterkünfte dienen können. Im Küstenstreifen zwischen Miami und Palm Beach wurden rund 875 000 Menschen aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen und entweder in Notquartieren Schutz zu suchen oder im Auto zu fliehen. Allerdings ist an den Tankstellen das Benzin knapp geworden – für manche ein Grund, trotz aller Warnungen zu bleiben.
Die Aussicht, mit leerem Tank an Zapfsäulen zu stranden, an denen Schilder mit der Aufschrift „No Gas“(„Kein Sprit“) hängen, schreckt ab. Im Wissen darum wies Scott die Polizei an, Tanklaster mit Blaulicht durch die Autoschlangen zu eskortieren, in der Hoffnung, auf diese Weise den Nachschub zu sichern. Das Personal der Tankstellen soll bleiben, so lange es geht, und erst ganz zum Schluss von Polizisten in Sicherheit gebracht werden. Während der Gouverneur zwei Atomkraftwerke abschalten ließ, sprach Brock Long, der Chef der Katastrophenschutzbehörde Fema, von einem Jahrhundertereignis. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinen in Florida kenne, der erlebt hat, was Südflorida demnächst treffen wird.“