Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wie das Kätele ein Malweib wurde
Die schwäbische Künstlerin Käte Schaller-Härlin wird wiederentdeckt
Sie muss ziemlich schrullig gewesen sein, die alte Künstlerin Käte Schaller-Härlin (18771973), die in einer bröseligen Villa auf dem Stuttgarter Rotenberg lebte, mit Kopftuch und schwarzen Gewändern durch die Stadt geisterte und abstrakte Künstler für „verwirrt“erklärte. Der Zeitgeist der Nachkriegsmoderne hielt nicht viel von ihren vortrefflichen Porträts und ihrer figurativen Malerei, er vergaß Käte SchallerHärlin. Jetzt, zum 140. Geburtstag, wird die schwäbische Meisterin mit einem Buch und einer Ausstellung auf dem Hohenkarpfen neu entdeckt.
Und plötzlich sieht man ihr wieder in die blauen Augen, die das Publikum über all die Jahre hinweg so zwingend aus Selbstporträts anschauen. Diese Frau meinte es ernst mit einer Kunst, die der Menschenseele dienen sollte. Seele – das war ein lebendiger Begriff für die gläubige Pfarrerstochter, die 1877 im indischen Mangalore zur Welt kam, wo ihr Vater als Missionar wirkte.
Mit 22 geht sie nach München
Wie Carla Heussler in der sorgfältig recherchierten Biografie „Zwischen Avantgarde und Tradition“erzählt, kehrt die Familie nach dem Tod eines kleinen Bruders nach Deutschland zurück. Der Vater wird Pfarrer in Göppingen, die Mutter bekommt weitere Kinder, sie zieht sechs Mädchen und einen Buben groß. In der Schule fängt das „Kätele“an zu zeichnen und darf, nach einem Umzug nach Uhlbach, mit ihrer begabten Schwester Hanna die Stuttgarter Gewerbeschule besuchen, wo sie eifrig Blumen, Tiere, Ornamente malt. „Freu mich rasend, kann’s fast nimmer aushalten“, schreibt Käte.
Beide Schwestern schwärmen für einen jungen Theologen, Hanna heiratet ihn schließlich und vergisst die eigenen Ambitionen. Dass Käte allein bleibt, ist künstlerisch ihr Glück. Mit 22 Jahren zieht sie anno 1900 nach München, der unerhört freigeistigen Stadt, einem Zentrum des Jugendstils. Frauen werden von männlichen Kollegen allerdings lieber als Modelle gesehen, nicht nur der Karikaturist Bruno Paul mokiert sich über die „Malweiber“, die an der Damen-Akademie des Künstlerinnenvereins studieren – mehr ist begabten Mädchen im Kaiserreich nicht möglich. Immerhin wird dort angstfrei gearbeitet und offen geredet. Käthe Kollwitz, die große Zeichnerin gegen Krieg und Not, ist auch dabei und erinnert sich später: „Der freie Ton der Malweiber entzückte mich!“
Ob die strebsame Schwäbin Käte Härlin abends mit durch die Bierkeller zieht, weiß man nicht. Nach einem Jahr schon geht sie heim nach Stuttgart, wo sie vom Württembergischen Malerinnen-Verein ausgezeichnet wird. Von hier aus wagt sich Käte für einige Jahre nach Italien, wo sie unermüdlich alte Meister studiert, Akte zeichnet und die Reise mit Kopierarbeiten finanziert. Zwischendurch eifert sie in den Züricher Kursen Ernst Würtenbergers den berühmten Kollegen Böcklin und Hodler nach. Eine „Frühlingsallegorie“von 1905 erinnert deutlich an die Schweizer Symbolisten.
Für Käte hat Kunst immer auch mit Fleiß zu tun. Erst 1906 betrachtet sie sich als ausgebildete Malerin und porträtiert eine alte Dame im Rembrandtstil. Ab 1907 entwirft sie berückend schlichte Glasfenster und Wandmalereien für evangelische Kirchen im Stuttgarter Raum. 1909 sucht sie weitere Inspirationen in Paris, wo sie allerdings brav an Entwürfen für die Lichtentaler Kirche arbeitet.
Es ist die Liebe zu dem Stuttgarter Kunsthistoriker und Galeristen Hans Otto Schaller, die ihre Entschlossenheit auf die Probe stellt. „Romantiker! Mit stark intellektuellen Anlagen“, so bemerkt sie – und kann dem Charme des sechs Jahre jüngeren Mannes nicht widerstehen. Sie heiraten, bekommen eine Tochter. Käte arbeitet weiter und muss sich in Arosa von einer Tuberkulose erholen.
Melancholische Menschenbilder
Doch der größte Schicksalsschlag trifft sie, als ihr „Mannle“, der geliebte Hans Otto, 1917 im Ersten Weltkrieg fällt. Käte ist untröstlich – und wird so zurückgeworfen auf das eigene Tun. Ihre kühl-melancholischen Menschenbilder aus den 1920er-Jahren sind sicher der Höhepunkt ihres Schaffens. Unter anderem malt sie einen Freund, den Reichstagsabgeordneten Theodor Heuss, der später einmal Bundespräsident werden soll. Sie malt immer mit tiefem Ernst, ohne Schmeichelei, und lässt auch die Schatten in den Gesichtern und Gefühlen sichtbar werden. Doch ihr Stil ist nie so kühn, dass sie in der Nazizeit aneckt.
Eine Sprengbombe zerstört 1944 Haus und Atelier, jahrelang schlägt sich die Künstlerin mit ihrer Haushälterin und Freundin Anna auf dem Land durch, sammelt Pilze, malt für das Notwendigste. Ab Herbst 1950 residiert sie dann in der Villa der Familie Schaller auf dem Stuttgarter Rotenberg. Mit Kinderporträts, Blumenstillleben und Genreszenen bedient sie eine eher konservative Kundschaft. Noch als 80-Jährige gestaltet sie ein Fenster für die nahe Kirche und genießt den Respekt der ansässigen Honoratioren. „Mein Alter ist ein Reichtum an Menschen, Erlebtem und Arbeit“, sagt sie und malt weiter. Nach einem „Leben an der Staffelei“stirbt sie mit 95 Jahren.
Literatur:
Carla Heussler: Zwischen Avantgarde und Tradition – die Malerin Käte Schaller-Härlin, Belser Verlag, 192 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 34,90 Euro. Ausstellung:
Ein Leben an der Staffelei – Käte Schaller-Härlin zum 140. Geburtstag,
bis 12. November in der Kunststiftung Hohenkarpfen, Öffnungszeiten: Mi.-So. sowie Fei. 13.30-18.30 Uhr. Mehr unter: www.kunstiftung-hohenkarpfen.de