Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Weite des Landes fasziniert sie noch immer
Die Biberacherin Gisela Sonntag wanderte Ende der 1970er-Jahre mit ihrer Familie nach Namibia aus
BIBERACH (häf) - Seit mehr als 40 Jahren lebt die Biberacherin Gisela Sonntag in Windhoek. In der Hauptstadt Namibias hat sich die heute 76Jährige mit ihrem Mann Günter Sonntag und den Söhnen Urs-Philipp und Tilmann ein neues Leben aufgebaut. Sonne, weite Landschaften und Tiere in Freiheit – das macht für die Erzieherin das Flair Namibias aus.
„Sollen wir es wagen, für drei Jahre die Herausforderung ,Auswandern‘ anzunehmen?“– diese Frage stellte sich der Familie im Jahr 1976. „Mein Mann wurde von Hede Schmitt – sie ist auch eine Biberacherin – nach Windhoek eingeladen“, erzählt Gisela Sonntag. Ihr Mann sei von Namibia begeistert gewesen, auch weil in dem Land dringend nach Bauingenieuren gesucht worden sei. Und so zog es die vierköpfige Familie Ende der 1970erJahre 8000 Kilometer südwärts. Namibia liegt am Atlantischen Ozean zwischen Angola und Südafrika. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war es eine deutsche Kolonie. Während ihr Mann als Bauingenieur beruflich Fuß fasste, leitete Gisela Sonntag über viele Jahre einen Kindergarten. „Mein Beruf als Kindergärtnerin war ebenfalls gefragt“, erinnert sie sich. Damals herrschte wie in Südafrika die Apartheid. Noch lange bevor die Rassentrennung zu Ende ging, setzte sich Gisela Sonntag für die Rechte der Einheimischen ein: „Mithilfe eines Pastors habe ich erreicht, dass Emma, ein Ovambokind, das in einer deutschen Familie aufwuchs, bei uns im Kindergarten aufgenommen wird.“Ovamboland ist eine Region im Norden Namibias. „Da hat sich allmählich die Integration bemerkbar gemacht“, sagt sie.
Im Lauf der
Jahre bekam Gisela Sonntag weitere berufliche Angebote. So arbeitete sie ein Vorschulprogramm aus, das in 14 Sprachen übersetzt wurde, und in allen Kindergärten des Landes Anwendung fand. In Okakarara im Hereroland entwickelten die Verantwortlichen ein Kindergartenkonzept, die Biberacherin half bei der Ausbildung der Erzieherinnen mit. Zudem moderierte sie beim Deutschen Rundfunk die Kindersendung „Misch Masch“. „Nach 26 Jahren im Kindergartenbereich wechselte ich schließlich ans Goethe-Institut, wo ich Deutschkurse für Schüler gebe“, berichtet Gisela Sonntag. Ihre Schüler nennen sie „Frau Gisela“. Außerdem referiert die Auswanderin in Vorträgen über Erziehung: „In Erziehungsfragen bin ich noch immer eine Ansprechpartnerin.“
Reich-Arm-Gefälle ist groß
Obwohl es in dem Land wirtschaftlich gesehen in den vergangenen Jahren bergauf ging, ist das Reich-Arm-Gefälle noch immer sehr groß. Dementsprechend hoch ist dort die Kriminalitätsrate. „Die Häuser werden mit Mauern umzäunt und Alarmanlagen sind unumgänglich“, sagt die Biberacherin. „Handtaschen müssen festgehalten werden.“Vorsicht sei im Alltag angesagt. Dennoch hat sie das Land in all den Jahren lieben gelernt. Viel Sonne, der Etosha-Nationalpark, die Namibwüste mit ihrer Vielfalt an Farben, Musik und Tänze der Einheimischen sowie die Weite Namibias haben es ihr angetan: „Von Windhoek bis zum Atlantik sind es 360 Kilometer. Man fährt dabei nur durch drei Ortschaften.“
Wenn sie an Biberach denke, sei sie dankbar dafür, dass sie dort „eine glückliche Zeit verbringen durfte“. „An Heiligabend bin ich immer in Gedanken auf dem Marktplatz“, sagt sie. Während Schützen singt sie in Namibia das Schützenlied. Alle zwei Jahre ist sie nach Biberach gekommen, doch ihr Gesundheitszustand lässt solch große Reisen inzwischen nicht mehr zu. Trotzdem hat sie den Anschluss an Biberach nie verloren: „Freunde aus Biberach kommen mich immer wieder besuchen.“