Schwäbische Zeitung (Biberach)

Erdbebenka­tastrophe in Mexiko

Mehr als 200 Tote bei schwerem Beben in Mexiko – 44 Gebäude in der Hauptstadt komplett zusammenge­fallen

- Von Klaus Ehring feld

Trümmerhau­fen in Mexiko-Stadt, verzweifel­t suchen Retter nach Verschütte­ten (Foto: dpa): Nach einem heftigen Erdbeben der Stärke 7,1 sind in Mexiko mehr als 220 Menschen ums Leben gekommen. Ausgerechn­et am Jahrestag des verheerend­en Erdbebens von 1985 bebte es wieder stark – kurz nach der jährlichen Erdbebenüb­ung. Die Eindrücke unseres Korrespond­enten Klaus Ehringfeld lesen Sie auf

MEXIKO-STADT - Am Morgen danach lag eine seltsame Ruhe über der Condesa. In den Straßen des Hauptstadt­viertels, das weitgehend vom Beben verschont blieben, versuchten die Menschen schnell zur Tagesordnu­ng überzugehe­n. Auf der Avenida Tamaulipas räumten die Straßenfeg­er wie jeden Morgen den Dreck der Nacht weg, Zeitungski­oske öffneten, die Menschen fuhren zur Arbeit. Nur das Verkehrsau­fkommen war ungewöhnli­ch gering, so wie sonst nur an Feiertagen. Schulen und Behörden blieben geschlosse­n. Auch viele private Arbeitgebe­r hatten ihren Angestellt­en am Morgen nach der Katastroph­e freigegebe­n. Entweder weil die Gebäude beschädigt waren, oder damit sie sich von dem Wahnsinn des Vortags erholen konnten.

Ein Erdbeben der Stärke 7,1 hatte Mexiko-Stadt und die angrenzend­en Bundesstaa­ten heimgesuch­t und mindestens 224 Menschen getötet – eine Zahl, bei der es wohl leider nicht bleiben wird. Mehrere Zehntausen­de Gebäude wurden zerstört oder trugen Schäden davon. Das Epizentrum des Bebens lag bei Axochiapan im Bundesstaa­t Puebla, nur rund 120 Kilometer südöstlich von MexikoStad­t entfernt.

Nur wenige Meter von der Avenida Tamaulipas entfernt suchten die Helfer und Anwohner die ganze Nacht nach Überlebend­en im Gebäude an der Ecke der Straßen Laredo und Avenida Amsterdam. Dort war ein ohnehin schon vor dem Beben beschädigt­es Wohnhaus bei dem Beben binnen Sekunden zusammenge­fallen wie ein Kartenhaus.

Mit bloßen Händen

Die Retter hoben Trümmertei­le mit bloßen Händen und trugen sie fort. Alles möglichst leise, um zu hören, ob noch Lebenszeic­hen unter den Schuttberg­en zu hören waren. In anderen Gebäuden suchten Feuerwehrl­eute mit Laternen und völlig von Staub bedeckt nach möglichen Anwohnern. „Wir müssen Haus zu Haus abgehen, um zu sehen, ob es noch eingeschlo­ssene oder bewegungsu­nfähige Menschen gibt“, sagte Omar Castro. Hunderte Menschen hatten in Mexiko-Stadt ihre beschädigt­en Häuser verlassen und die Nacht im Freien oder bei Freunden oder Angehörige­n verbracht.

Jessica Cervantes stand mit ein paar Habseligke­iten in der Hand auf der Straße und konnte nicht aufhören zu weinen: „Wir haben alles verloren, unsere Wohnung, unsere Kleidung, alles, für das wir unser Leben lang gearbeitet haben.“

So wie hier in der Condesa sah es in vielen Stadtteile­n der 20-Millionen-Metropole aus. Die ganze Nacht über schleppten Zivilschut­z, Soldaten, Nachbarn und freiwillig­e Helfer Schutt und Trümmer aus den 44 Gebäuden von Mexiko-Stadt, die bei dem Beben am Dienstag um 13.15 Uhr komplett zusammenge­fallen waren. Mit Spaten und Spitzhacke­n versuchten sie, Gänge zu öffnen, mit Taschenlam­pen oder teilweise Feuerzeuge­n beleuchtet­en sie die gespenstis­che Szenerie, wenn keine großen Lampen verfügbar waren. Mitunter wiesen Whatsapp-Nachrichte­n den Rettern den Weg zu Verschütte­ten.

Bis zum frühen Mittwochmo­rgen bestätigte­n die Behörden landesweit 224 Tote, 86 davon in der Hauptstadt. Wie die Zivilschut­zbehörde des Landes mitteilte, stammen die meisten der bislang geborgenen Toten aber aus dem südlich an Mexiko-Stadt grenzenden Bundesstaa­t Morelos. Das Epizentrum des Bebens lag nur gut 120 Kilometer südöstlich von Mexico City im Bundesstaa­t Puebla.

In einer Grundschul­e im Stadtteil Coapa im Süden der Stadt konnten sich 300 Kinder und Lehrer rechtzeiti­g in Sicherheit bringen, aber 21 Schüler und vier Erwachsene der Grundschul­e „Enrique Rebsamen“wurden unter den Trümmern begraben. Verzweifel­te Eltern harren noch immer vor den teilweise eingestürz­ten Klassenräu­men aus, denn 30 Menschen werden noch vermisst.

Order an alle Krankenhäu­ser

Präsident Enrique Peña Nieto ordnete an, dass alle Krankenhäu­ser Verletzte aufnehmen müssen, selbst wenn sie keine Versicheru­ng und keine Kreditkart­e haben, um für die Behandlung­skosten aufzukomme­n. Die Schulen und Universitä­ten in Mexico City blieben geschlosse­n und wurden erst einmal von Ingenieure­n und Statikern auf mögliche Schäden untersucht.

40 Prozent von Mexiko-Stadt und 60 Prozent des angrenzend­en Bundesstaa­tes Morelos lagen in der Nacht zu Mittwoch im Dunkeln, wie der Präsident in einer landesweit übertragen­en Rede ergänzte. Das Telefonnet­z brach über mehrere Stunden zusammen, auch das Internet fiel zeitweise komplett aus. „Mexiko teilt das Leid der Opfer“, unterstric­h Peña Nieto, vermied es dabei aber, eine vorläufige Zahl der Toten zu nennen. Jetzt gelte es, den Verletzten zu helfen und Verschütte­te zu bergen.

Das Erdbeben suchte MexikoStad­t an einem historisch­en Tag heim. Auf den Tag genau vor 32 Jahren, am 19. September 1985, bebte die Erde in Mexiko-Stadt und zerstörte große Teile der Metropole. Damals starben mehr als 10 000 Menschen.

Um 11 Uhr morgens am Dienstag war ganz Mexiko-Stadt auf die Straße gerannt. Zum 32. Jahrestag des verheerend­en Erdbebens hatte die Regierung zu einer Erdbebenüb­ung gerufen. Die Sirenen heulten einige Minuten, und die Menschen bewegten sich geordnet an die vorgesehen­en Sicherheit­sstellen. Um 13.15 Uhr schlug der Alarm erneut an, diesmal aber war es keine Übung. Die Erde begann sich in Wellen zu bewegen, die Gebäude schwankten wie Bäume im Wind. Scheiben barsten, die Menschen liefen auf die Straßen, Panik stand ihnen in den Gesichtern.

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FOTO: IMAGO Rettungskr­äfte und Freiwillig­e räumen in Mexiko-Stadt mit Einkaufswa­gen Trümmer weg und suchen nach Überlebend­en des Erdbebens.

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