Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mehr Demente in Kliniken

Umgang mit Betroffene­n verunsiche­rt viele Menschen

- Von Ines Schipperge­s (dpa) und Agenturen

WIESBADEN (AFP/dpa) - Die Zahl der Alzheimerp­atienten in den deutschen Kliniken hat sich binnen 15 Jahren fast verdoppelt. 2015 wurden 19 049 Patienten wegen der Erkrankung stationär behandelt, 2001 waren es 10 306 Fälle, wie das Statistisc­he Bundesamt in Wiesbaden anlässlich des Weltalzhei­mertags am heutigen Donnerstag mitteilte. Im Jahr 2000 waren es 8132 Patienten.

Viele Menschen sind zudem verunsiche­rt, wie sie mit Betroffene­n umgehen sollen. Daher hat das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) dazu aufgerufen, die Aufklärung zu intensivie­ren. Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des ZQP sind 50 Prozent eher schlecht in der Lage, einem Demenzerkr­ankten zu helfen.

Der Deutschen Alzheimer Gesellscha­ft zufolge gelten hierzuland­e etwa 1,6 Millionen Menschen als demenzkran­k. Etwa zwei Drittel davon haben Alzheimer, die häufigste Form der Demenz.

WALDENBURG/FREIBURG - Annegret Frenzel war 15 Jahre alt, als sie merkte, dass etwas anders war. Ihre Mutter war im Urlaub, hatte Vater und Tochter Bargeld dagelassen. Schon am ersten Tag war alles weg. „Ich fragte meinen Vater, was er damit gemacht hat, aber er wusste es nicht.“Als die Mutter zurück war, sprachen sie über das Ereignis und stellten fest: In letzter Zeit häuften sich merkwürdig­e Kleinigkei­ten. „Zum Glück war meine Mutter sehr rigoros“, sagt Frenzel. „Sie hat ihn von Arzt zu Arzt geschleppt, bis wir eine Diagnose bekamen: Alzheimer im Frühstadiu­m.“Das ist inzwischen elf Jahre her.

Doppelt so viele Erkrankte bis 2050

Der Vater von Annegret Frenzel ist einer von 1,6 Millionen Demenzkran­ken in Deutschlan­d. Zwei Drittel von ihnen leiden laut der Alzheimer Gesellscha­ft an der häufigsten Form Alzheimer. Demenz bezeichnet dabei das Symptom, Alzheimer die Ursache. Sie ist eine hirnorgani­sche Krankheit. Charakteri­stisch sind Störungen von Gedächtnis, Orientieru­ng und Sprache. Mit zunehmende­m Alter steigt das Risiko, daran zu erkranken – bis 2050 rechnen Experten mit bis zu drei Millionen Betroffene­n.

Das stellt auch die Krankenhäu­ser vor Herausford­erungen. Schon jetzt verzeichne­n die Kliniken immer mehr Patienten mit diesem Krankheits­bild. Ihre Zahl hat sich binnen 15 Jahren fast verdoppelt. 2015 wurden 19 049 Patienten wegen der Erkrankung stationär behandelt – 2001 waren es erst 10 306 Fälle, wie das Statistisc­he Bundesamt in Wiesbaden mitteilt. Dies entspricht einem Anstieg von 85 Prozent. Angesichts dieser Zahlen warnen Experten vor einer Unterverso­rgung. Trotz umfassende­r Pflegerefo­rmen fehle nach wie vor ausreichen­d qualifizie­rtes Pflegepers­onal, warnt die Alzheimer Gesellscha­ft. Der Deutsche Evangelisc­he Krankenhau­sverband appelliert an die Politik, die Kliniken beim Ausbau demenzsens­ibler Strukturen und bei der Ausbildung des Personals zu unterstütz­en.

Denn eine Alzheimere­rkrankung geht auch mit massiven Persönlich­keitsverän­derungen einher. Frenzel fiel es besonders schwer, anzusehen, wie der Vater, den sie liebte und kannte, immer mehr verschwand. „Er war einfach nicht mehr derselbe Mensch“, erzählt sie. „Früher war er extrem auf andere bedacht, tat alles für mich und nahm sich selbst zurück.“Plötzlich habe er sich gar nicht mehr für die Probleme seiner Tochter interessie­rt. Er war geistesabw­esend, zugleich nervös und fühlte sich schnell überforder­t oder angegriffe­n.

Menschen mit Demenz sind selten aufgrund von Veränderun­gen im Gehirn aggressiv, sondern meist bedingt durch äußere Faktoren wie zu laute Geräusche oder Situatione­n, die ihnen Angst machen. Verändert sich das Umfeld, verbessert sich meist auch das Verhalten. „Alzheimerk­ranke werden nur dann aggressiv, wenn sie sich respektlos behandelt fühlen“, erklärt Joachim Bauer, Neurowisse­nschaftler der Universitä­t Freiburg.

Vor drei Jahren gab es einen Schlüsselm­oment für Familie Frenzel, in dem klar wurde: Es geht nicht mehr. „Mein Vater wollte Wasser aufkochen und hat die falsche Herdplatte angemacht, auf der noch ein Topf mit Essensrest­en stand. Doch dann fing es an zu brennen, und er saß seelenruhi­g in der völlig verrauchte­n Küche und hat Zeitung gelesen.“

Es brauchte Kraft für diese Entscheidu­ng, doch Mutter und Tochter erkannten, dass es keinen anderen Weg mehr gab: „Heute ist mein Vater in einem Pflegeheim ganz in unserer Nähe.“Die festen Strukturen dort geben ihm ein Gefühl von Sicherheit. Frenzel besucht ihn oft. „Dennoch können wir auch mal was essen gehen oder in den Urlaub fahren in dem Wissen: Er ist in guten Händen.“

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FOTO: DPA Alzheimerp­atienten brauchen oft eine intensive Betreuung.

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