Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wagenknech­t von der SPD enttäuscht

Linken-Spitzenkan­didatin Sahra Wagenknech­t zum Verhältnis zur SPD und den Positionen ihrer Partei

- www.schwäbisch­e.de/qualurne

SCHWÄBISCH GMÜND (clak) Sahra Wagenknech­t, Spitzenkan­didatin der Linken, setzt darauf, dass ihre Partei auch nach der Bundestags­wahl stärkste Opposition­spartei sein wird. „Nur wenn die Linke Opposition­sführer bleibt, wird sich die Regierung gravierend­e soziale Verschlech­terungen wie etwa die Rente mit 70 nicht trauen“, sagte die 48-Jährige der „Schwäbisch­en Zeitung“. An eine rot-rot-grüne Regierung glaubt sie nicht mehr. „Eine SPD, deren Unterschie­de zur Union man inzwischen mit der Lupe suchen muss, war eben auch keine ernsthafte Herausford­erung für Frau Merkel“, so Wagenknech­t (Foto: Scheyer).

SCHWÄBISCH GMÜND - Sahra Wagenknech­t, Spitzenkan­didatin der Linken, sieht wenig Chancen auf eine Annäherung an die SPD nach der Bundestags­wahl. Selbst wenn die Sozialdemo­kraten in die Opposition gingen, „ist nicht sicher, ob die SPD zu ihrem Markenkern zurückkehr­t“, sagte Wagenknech­t im Gespräch mit Hendrik Groth und Claudia Kling. Zudem betonte sie, wie wichtig es für die Linken sei, bei der Wahl drittstärk­ste Kraft zu werden. „Die Opposition­sführersch­aft wird über die Politik der nächsten Jahre mitentsche­iden.“

Frau Wagenknech­t, welches Gefühl überwiegt bei Ihnen: Enttäuschu­ng oder Freude darüber, dass es nicht für Rot-Rot-Grün reichen wird?

Man kann sich nicht darüber freuen, dass nach dieser Wahl politisch alles so weitergeht wie bisher. Aber eine SPD, deren Unterschie­de zur Union man inzwischen mit der Lupe suchen muss, war eben auch keine ernsthafte Herausford­erung für Frau Merkel. Als Martin Schulz nominiert wurde, ist die SPD in allen Umfragen gestiegen, weil die Menschen die Hoffnung hatten, sie würde wieder eine sozialdemo­kratische Partei. Genau diese Hoffnung hat Schulz enttäuscht.

Aber wäre es für die Linke nicht schwer geworden, ihre lang gehegte Aversion gegen die SPD plötzlich aufgeben zu müssen?

Wir hegen keine Aversion gegen die SPD. Wir stehen in Opposition zu der unsozialen Politik, die in diesem Land seit Jahren gemacht wird. Natürlich würden wir nur dann in eine Regierung eintreten, wenn etwas getan würde gegen den großen Niedrigloh­nsektor und niedrige Renten. Wenn die Arbeitslos­enversiche­rung wiederherg­estellt würde. Aber früher war ja auch die SPD mal eine Partei, die Politik für Arbeitnehm­er, Rentner und Arbeitslos­e gemacht hat, – und nicht, wie in den letzten Jahren, gegen sie.

Aber ist es nicht viel einfacher, aus der Opposition heraus eine linke Politik zu fordern, wenn Sie in keiner Verantwort­ung für die wirtschaft­liche Prosperitä­t des Landes stehen?

Nein. Mehr soziale Gerechtigk­eit und weniger Ungleichhe­it schaden der Wirtschaft nicht, sondern fördern sie. Wir würden ja nicht nur davon reden, kleinere und mittlere Unternehme­n stärker zu unterstütz­en, etwa mit öffentlich­em Wagniskapi­tal, sondern das auch tun. Unser Steuerkonz­ept würde Bürger mit einem Monatseink­ommen von bis zu 7100 Euro entlasten. Allerdings sagen wir auch: Da, wo das große Geld liegt, bei Multimilli­onären und Milliardär­en, müssen mehr Steuern erhoben werden. Und den Steuertric­ks der Konzerne muss der Boden entzolung gen werden. Mit diesem Geld sollte dann insbesonde­re in bessere Bildung investiert werden.

Wäre eine Annäherung an die SPD, gemeinsam in der Opposition, einfacher als bislang?

Sie sind sehr optimistis­ch, dass die SPD tatsächlic­h in die Opposition geht. Ich sehe sie vielmehr die nächste Große Koalition vorbereite­n. Aber selbst wenn sie in die Opposition gehen sollte, ist nicht sicher, ob die SPD zu ihrem Markenkern zurückkehr­t. Die Partei war während der letzten schwarz-gelben Regierung auch in der Opposition, das hat aber leider nicht zu einer Änderung ihres Kurses geführt. Nur ein starkes Wahlergebn­is für die Linke kann da vielleicht ein Weckruf sein.

Es gibt SPD- und Grünen-Politiker, die Sie wegen ihrer außenpolit­ischen Positionen für nicht regierungs­fähig halten.

Es war das Credo Willy Brandts, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf. Das ist unsere Außenpolit­ik. Wir setzen auf Abrüstung und fordern: Abzug der Atomwaffen, Schluss mit den deutschen Kriegsbete­iligungen und Umwand- der US-geführten Nato in ein Verteidigu­ngsbündnis mit gleichbere­chtigten Mitglieder­n, das sowohl die USA als auch Russland einschließ­t. Das alles sind Positionen, die früher von der SPD vertreten wurden. Auch Helmut Schmidt hat sich mehrfach in diesem Sinne geäußert.

Teil der linken Sicherheit­sarchitekt­ur wäre also auch der russische Präsident Wladimir Putin, der völkerrech­tswidrig die Krim annektiert hat?

Wir sind jetzt in einer Sicherheit­sarchitekt­ur mit den USA, die in den vergangene­n Jahren einen völkerrech­tswidrigen Krieg nach dem anderen vom Zaun gebrochen und den ganzen Nahen Osten destabilis­iert haben. Die sich herausnehm­en, Regierunge­n, deren Politik ihnen nicht passt, einfach wegzubombe­n, wie im Irak und in Libyen. Ja, das Völkerrech­t muss endlich wieder gelten, aber für alle.

Zurück zur Innenpolit­ik: Sie fordern ein Rentennive­au von 53 Prozent, einen Mindestloh­n von zwölf Euro und eine Vermögenst­euer für Vermögen, die höher als eine Million Euro sind. Auch diese Vorhaben sind sozusagen ein Alleinstel­lungsmerkm­al.

Unter Helmut Kohl war das Rentennive­au bei über 53 Prozent – danach sind die Renten immer weiter gekürzt worden. Im Ergebnis bekommt heute jeder sechste Rentner eine Rente auf Armutsnive­au. Damit kann man sich doch nicht abfinden. Nehmen Sie Österreich, für uns das Vorbild für eine echte Rentenrefo­rm. Da zahlen alle in einen Topf ein, auch Selbststän­dige, Beamte und Politiker, und ein Durchschni­ttsrentner bekommt 800 Euro mehr im Monat.

Österreich hat aber auch keine Pflegevers­icherung und eine andere Demografie.

Die Pflege wird aus Steuermitt­eln bezahlt, und so völlig anders ist die Demografie auch nicht. Aber auch darüber muss man reden: Warum trauen sich hierzuland­e so wenige junge Menschen, eine Familie zu gründen? Das hat doch auch etwas mit den vielen unsicheren Jobs und den explodiere­nden Mieten zu tun. Wenn wir wollen, dass die Demografie in Deutschlan­d anders wird, muss man eine kinderfreu­ndliche Politik machen. In jedem Wahlkampf wird darüber gesprochen, dass man Kitas und Schulen besser ausstatten muss, aber nach den Wahlen geht alles im alten Trott weiter. Wir geben in Deutschlan­d für Bildung jämmerlich wenig aus, weit weniger als der Durchschni­tt der Industries­taaten.

Sie kämpfen mit FDP, AfD und den Grünen um Platz drei bei der Bundestags­wahl. Weshalb ist es für Sie so wichtig, drittstärk­ste Kraft zu werden?

Die Opposition­sführersch­aft wird über die Politik der nächsten Jahre mitentsche­iden. Nur wenn die Linke Opposition­sführer bleibt, wird sich die Regierung gravierend­e soziale Verschlech­terungen wie etwa die Rente mit 70 nicht trauen. Auch die wenigen sozialen Verbesseru­ngen, die die Große Koalition in der vergangene­n Legislatur umgesetzt hat, hätte es ohne den Druck der Linken nicht gegeben. Wenn statt dessen die AfD die Opposition dominiert, wird die Regierung von rechts unter Druck gesetzt und das ganze politische Klima wird sich stark nach rechts verschiebe­n. Jeder, der das verhindern will, sollte der Linken zumindest seine Zweitstimm­e geben.

Im Osten der Republik wird die Linke zunehmend von der AfD als Protestpar­tei abgelöst. Was setzen Sie dem entgegen – Populismus in der Flüchtling­spolitik?

Alle Parteien haben in den letzten Jahren Wähler an die AfD verloren. Da spielt einerseits soziale Verunsiche­rung eine große Rolle – die vielen ungesicher­ten Jobs, die Angst vor Altersarmu­t und sozialem Abstieg, natürlich auch die Angst vor wachsender Konkurrenz auf dem Arbeitsund Wohnungsma­rkt. In einem Land, in dem seit Jahren der soziale Wohnungsba­u vernachläs­sigt wird, sind Hunderttau­sende zusätzlich­e Wohnungssu­chende natürlich ein Problem. Mehr Kinder machen die Situation an Schulen mit chronische­m Lehrermang­el nicht leichter. Das alles trifft die Wohnvierte­l, in denen die weniger Wohlhabend­en wohnen, die ohnehin schon die Verlierer der Politik der letzten Jahre sind. Da gibt es verständli­cherweise viel Enttäuschu­ng, Frust und Wut. Und es gelingt der AfD teilweise, diese Stimmung für sich zu instrument­alisieren. Wer die AfD überflüssi­g machen will, muss endlich wieder eine soziale Politik machen.

Aber reden Sie nicht Deutschlan­d schlechter als es ist, um Ihre Wähler zu mobilisier­en?

Wir reden nichts schlecht, und natürlich ist Deutschlan­d kein Armenhaus. Deutschlan­d ist ein sehr reiches Land, aber der Reichtum ist extrem ungleich verteilt. Das ist ja gerade das Problem: Dass einerseits die Wirtschaft brummt, anderersei­ts aber jeder fünfte im Niedrigloh­nsektor arbeitet. Dass der Anteil derer, die trotz Arbeit ein Einkommen unter der Armutsschw­elle haben, sich in den vergangene­n zehn Jahren verdoppelt hat. Dass immer mehr Menschen mit mageren Renten um ihre Lebensleis­tung betrogen werden. Wer das negiert, redet über die Köpfe eines relevanten Teils der Bevölkerun­g hinweg.

Die Interviews mit den Spitzenkan­didaten aller Parteien im Bund und in Baden-Württember­g finden Sie unter www.schwäbisch­e.de/ wahl-interviews Ein Video mit Sahra Wagenknech­t sehen Sie unter

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FOTO: MICHAEL SCHEYER „Deutschlan­d ist ein sehr reiches Land, aber der Reichtum ist extrem ungleich verteilt“, sagte Linken-Spitzenkan­didatin Sahra Wagenknech­t im Gespräch mit den Redakteure­n der „Schwäbisch­en Zeitung“, Hendrik Groth und Claudia Kling.
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