Schwäbische Zeitung (Biberach)
Acht Monate in Todesangst
Dreieinhalb Jahre Haft für einen Syrer, der die Entführung eines UN-Helfers unterstützte
STUTTGART - Er war nur ein Mitläufer, beteiligte sich aber an einer Entführung und wusste, welche Ängste das Opfer durchlitt: Deswegen hat das Oberlandesgericht Stuttgart am Mittwoch einen syrischen Flüchtling zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Nach Überzeugung der Richter war Suliman al-S. an der Geiselnahme eines kanadischen UN-Mitarbeiters in Syrien beteiligt.
Damit blieb der 5. Strafsenat unter der Forderung der Anklage. Sie sah in Suliman al-S. nicht nur einen Helfer, sondern einen Mittäter und ein Mitglied der Terrorgruppe al-Nusra. Sieben Jahre Haft lautete ihre Forderung. Die Verteidigung hielt zwei Jahre auf Bewährung für angemessen
Aus Sicht der Richter stellten sich die Ereignisse im Februar 2013 so dar: Der Kanadier Carl C. arbeitete für die UN auf den Golanhöhen zwischen Israel und Syrien. Obwohl sich die Sicherheitslage durch den syrischen Bürgerkrieg verschärft hatte, machte sich C. alleine in einem ungepanzerten UN-Dienstwagen auf den Weg in die Hauptstadt Damaskus. Damit setzte er sich über Anweisungen der Vorgesetzten hinweg.
An einer Straßensperre geriet C. in die Hände einer Gruppe Bewaffneter. Diese lasse sich im Nachhinein nicht eindeutig einer Terrorgruppe zuordnen, so die Einschätzung der Richter. Die Männer hätten die Entführung nicht geplant. „Das war ein absoluter Zufallsfund“, so der Vorsitzende Richter Herbert Anderer. Die Täter erkannten sofort, welch wertvolle Beute sie gemacht hatten. An Kleidung und Auto waren die Buchstaben UN zu sehen. Wer Mitarbeiter solcher Friedensmissionen angreift, gilt als Kriegsverbrecher.
Sieben Millionen Dollar gefordert
Die Männer verschleppten den Kanadier und forderten sieben Millionen Dollar Lösegeld. Sie wandten sich erst an die UN, die Eltern und die Ehefrau, die mit dem gemeinsamen Sohn in Wien lebte. „Acht Monate, sehr oft in Todesangst“, beschrieb Anderer diese Zeit. Erst im Oktober konnte Carl C. entkommen, weil seine Bewacher vergaßen, die Zimmertür zuzusperren.
Das Martyrium hinterließ Spuren. Der Kanadier war mehr als ein Jahr arbeitsunfähig, nahm Medikamente und begab sich in Therapie. Vor Gericht berichtete er von anhaltenden Schlafstörungen und Ängsten – Symptome, die auch Frau und Sohn bis heute quälen.
Flucht nach Deutschland
Entscheidend für das Urteil war, welche Rolle Suliman al-S. spielte und was er wusste. Der heute 26-Jährige stammt aus Syrien, er floh im August 2013 aus seiner Heimat. Seit 2014 lebt er in Deutschland, zuletzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Backnang (Rems-Murr-Kreis). Seit 2016 sitzt er in Haft, nachdem ausländische Geheimdienste deutschen Behörden einen Tipp gegeben hatten. Der Generalbundesanwalt ermittelte – was er tun muss, wenn der Verdacht von Kriegsverbrechen oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung besteht. Wo und von welchen Staatsangehörigen die Taten begangen wurden, spielt dabei keine Rolle.
Suliman al-S. ist der erste Flüchtling, der sich wegen Kriegsverbrechen in Syrien vor einem deutschen Gericht verantworten muss. Er hatte vor dem Senat seine Version geschildert. Demnach rief ihn im März 2013 ein alter Schulfreund an. Er benötige Sulimans Dienste als Elektriker, bot 30 US-Dollar pro Tag – bei einem monatlichen Einkommen von 100 Dollar ein Vermögen. Er fuhr zu dem Haus, in dem Carl C. festgehalten wurde. Dort zeigte ihm einer der Männer den Gefangenen. Diesem habe er im Laufe der nächsten Monate an sieben Tagen Essen gebracht oder ihn zur Toilette begleitet – aber stets ohne Waffe.
Angeklagter gesteht Beihilfe
So weit glaubten ihm die Richter. Das Geständnis wertete der Senat strafmildernd. Ebenso wie die Tatsache, dass al-S. nicht an der Entführung beteiligt war und sich im Gerichtssaal bei seinem Opfer entschuldigt hatte.
Dennoch habe er schwere Schuld auf sich geladen, befanden die Richter. Er habe islamistischem Gedankengut nahegestanden und die Entführung befürwortet. Außerdem habe Suliman al-S. wissen müssen, dass Carl C. in Todesangst lebte und dass er ein Mitarbeiter einer UN-Friedensmission war.
Suliman al-S. nahm das Urteil an. Die Ankläger wollen noch beraten, ob sie in die Revision zum Bundesgerichtshof gehen. Sollte es bei dem Urteil bleiben, muss al-S. noch höchstens zwei Jahre im Gefängnis verbringen, die Zeit in Untersuchungshaft wird angerechnet.