Schwäbische Zeitung (Biberach)

Tessiner

-

In Bellinzona, der Hauptstadt des Tessin, läuteten am Mittwochmi­ttag die Kirchenglo­cken, und eine Kanone feuerte 26 Salutschüs­se ab. Der Jubel galt Ignazio Cassis. Gerade war der 56-Jährige von den Abgeordnet­en des Parlaments in Bern zum Mitglied des Schweizer Bundesrats gewählt worden. Er ist damit Teil der siebenköpf­igen Führung der Eidgenosse­nschaft – und der erste italienisc­hsprachige Schweizer in diesem Amt seit 1999.

Cassis’ Herkunft ist durchaus ein Politikum. Die Bundesverf­assung der Schweiz fordert, dass die Landesgege­nden und Sprachregi­onen „angemessen“in der Regierung vertreten sein sollen. Die italienisc­hsprachige­n Schweizer, die mit acht Prozent der Bevölkerun­g gegenüber Frankophon­en (22,5 Prozent) und Deutschsch­weizern (63 Prozent) klar in der Minderheit sind, pochten schon lange darauf, endlich wieder an der Reihe zu sein. Auch die „Neue Zürcher Zeitung“befand nach der Wahl, die Zeit sei reif gewesen, „für eine Vertretung dieser überaus geschätzte­n Minderheit im Bundesrat zu sorgen“.

Die Chance bot sich, weil der bisherige Schweizer Außenminis­ter Didier Burkhalter, ein Vertreter der Frankophon­en, zum 31. Oktober zurücktrit­t. Wie dieser ist Cassis Mitglied der liberalen, oder, wie es in der Schweiz heißt, „freisinnig­en“FDP. Bei der Wahl behauptete sich der bisherige Fraktionsv­orsitzende gegen zwei Konkurrent­en aus den eigenen Reihen. Seine Gegner unterstell­en Cassis Interessen­konflikte: Der gelernte Arzt leitete bis vor Kurzem die nationalrä­tliche Gesundheit­skommissio­n, den Krankenkas­senverband Curafutura und den Heimverban­d Curaviva. In der Schweiz, wo man sich viel darauf zugute hält, „Milizparla­mentarier“und eben keine hauptberuf­lichen Politiker zu wählen, ist eine solche Ämterhäufu­ng allerdings keine Seltenheit.

Ob Cassis den frei gewordenen Posten des Außenminis­ters übernimmt, wird erst am Freitag entschiede­n. Nach einem Personalwe­chsel ist es im Bundesrat üblich, dass sich seine Mitglieder untereinan­der neu über die Ressortver­teilung einigen. Ulrich Mendelin

 ?? FOTO: AFP ?? Der Tessiner Arzt Ignazio Cassis rückt in die Schweizer Regierung auf.
FOTO: AFP Der Tessiner Arzt Ignazio Cassis rückt in die Schweizer Regierung auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany