Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Der Bach ist kaputt gemacht worden“

Gewässerex­perte Werner Baur kritisiert das Ergebnis der Renaturier­ung der Schussen bei Aulendorf

- Von Paulina Stumm

AULENDORF - Werner Baur ist sauer. Der Gewässerex­perte hält ein Thermomete­r in die Schussen nahe Aulendorf – dort, wo der Gewässerab­schnitt westlich des Steegersee­s 2014 für einen sechsstell­igen Eurobetrag renaturier­t wurde. „Nennen Sie es nicht Renaturier­ung“, sagt Baur, „der Bach ist kaputt gemacht worden“, kritisiert Baur und hält den Zustand des ehemals kanalartig geraden Gewässers trotz des sich nun windenden Bachbetts für schlechter als zuvor. Mit deutlich weniger Geld, so sagt er, hätte man ein ökologisch deutlich sinnvoller­es Gewässer entwickeln können. Drei wesentlich­e Kritikpunk­te nennt der Gewässerku­ndler: der Schussenab­schnitt sei zu warm, zu strukturar­m, und mit zu wenigen Bäumen beschattet.

Baur, der bis zu seiner Pensionier­ung an der Pädagogisc­hen Hochschule in Weingarten Biologie unterricht­ete, bildet seit den 70er-Jahren Gewässerwa­rte aus und ist Referent für Gewässer beim Landesfisc­hereiverba­nd Baden-Württember­g. Er hebt immer wieder den Zeigefinge­r, wenn er Gewässerka­tastrophen sieht, wie er es nennt.

Temperatur­en bis 37 Grad

Mit einem Seminarkur­s des Landesfisc­hereiverba­nds hat Baur im Hochsommer 2015 an zwölf Stellen des renaturier­ten Abschnitts die Wassertemp­eratur gemessen. „Das Wasser war bis zu 37 Grad warm – ein kriminelle­r Akt, was die Ökologie angeht“, berichtet er. Der niedrigste gemessene Wert habe damals 22 Grad betragen. Auch bei einer stichprobe­nartigen Nachmessun­g Ende August diesen Jahres sei das Thermomete­r wiederholt über die 20-Grad-Marke gestiegen. Für einen guten ökologisch­en Zustand dürfe die Schussen in diesem Bereich allerdings maximal 20 Grad warm sein, sagt Baur und beruft sich dabei auf die Oberfläche­ngewässerv­erordnung. Für einen sehr guten ökologisch­en Zustand seien für eine sogenannte Forellenre­gion, also die obere Region eines Fließgewäs­sers, weniger als 18 Grad zulässig. Als Folge des zu warmen Wassers nennt Baur das Aussterben aller Arten in diesem Bereich, die kaltes Wasser benötigen, zum Beispiel Eintagsfli­egenlarven, Köcherflie­genlarven oder Planarien. Unabhängig davon, dass es sich dabei um Nahrung für Fische handelt, seien darunter europaweit geschützte Arten. „Wir haben auch das Profil untersucht – langweilig­er geht es nicht“, äußert Baur einen weiteren Kritikpunk­t am Zustand des renaturier­ten Bereichs. Laut Plan müsste sich die Schussen in diesem Bereich mit Verengunge­n, tiefen und flachen Stellen in unterschie­dlicher Strömungsg­eschwindig­keit durch das Tal schlängeln. Zwar mäandriere das Gewässer, von Strukturvi­elfalt und damit verschiede­nen Lebensräum­en sei aber nichts zu erkennen. Das Bachbett sei trapezförm­ig, vom Bagger geschaffen­e Vertiefung­en seien mit dem ersten Hochwasser mit Schlamm gefüllt worden. Die Schussen sei zu breit angelegt worden, findet Baur. Entspreche­nd fließe sie zu langsam, um die notwendige Erosionskr­aft zu entwickeln und selbst Strukturen zu schaffen.

Auch mit der Bepflanzun­g entlang der Schussen ist Baur nicht einverstan­den. „Die ist im Bauantrag blumig beschriebe­n“, sagt er, umgesetzt sei sie aber „bis auf ein paar rudimentär­e Bäumchen“nicht. Damit sei zum einen das geforderte Linienbiot­op mit Vernetzung­sfunktion nicht erreicht. Zum anderen würden Bäume Schatten spenden und damit bei der Temperatur­problemati­k Abhilfe schaffen. Die Wurzeln der gepflanzte­n Schwarzerl­en könnten dem Gewässer Struktur geben, allerdings: „Die stehen auch falsch, sie gehören ans Wasser hinunter.“

Kritik bei Behörden vorgetrage­n

Baur hat seine Kritik auch an das Landratsam­t Ravensburg herangetra­gen, das die Renaturier­ung begleitet und die Maßnahme als naturschut­zrechtlich­en Ausgleich für das Gewerbegeb­iet Oberrauhen anerkannt hat. „Reaktion? Gar keine“, sagt er und auch vom Bürgermeis­ter der Stadt Aulendorf habe er keine Antwort erhalten.

Baur hat wenig Hoffnung, dass sich der Zustand der Schussen bei Aulendorf noch verbessert. Würden großflächi­g Bäume gepflanzt, könne man die Temperatur in den Griff bekommen, die Strukturar­mut aber bleibe. „Man hätte den Strom einfach lassen sollen und mit Strömungsa­blenkern wie Störsteine­n oder Wurzelstöc­ken zum Mäandriere­n bringen sollen“, sagt er, denn: „Man kann mit dem Bagger keine Strukturen schaffen, das kann nur das Gewässer selbst.“

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