Schwäbische Zeitung (Biberach)

Wieder im Leben angekommen

Devin Setoguchi, Zugang der Adler Mannheim, stürmte in der National Hockey League und war alkoholabh­ängig

- Von Joachim Lindinger

MANNHEIM - 76 Sekunden brauchte Devin Setoguchi. 76 Sekunden, dann war er in der Deutschen Eishockey Liga angekommen: Pass Sinan Akdag, kurzer, schneller Antritt, den Puck mit Macht unter die Latte gesetzt, 1:0 führten die Adler Mannheim gegen die Grizzlys Wolfsburg. So stellt man sich das vor, wenn ein Stürmer mit 569 Spielen National-HockeyLeag­ue-Erfahrung in Deutschlan­d debütiert. Ein Stürmer im besten Eishockey-Alter – 30-jährig –, mit 146 NHLToren und 140 Vorlagen als Referenz.

Ein Stürmer, der alkoholabh­ängig war.

Devin Setoguchi, Kanadier mit japanische­n Wurzeln, ist mit reichlich Talent gesegnet für seinen Sport. „Er ist ein harter Arbeiter mit einem guten Schuss“, weiß Jochen Hecht, CoTrainer der Adler Mannheim und selbst NHL-bewährt. „Er hat Zug zum Tor, steht seinen Mann, verteilt in den Ecken auch mal einen Check.“Qualitäten, die die San Jose Sharks zugreifen ließen, als es beim Entry Draft 2005 um die Transferre­chte an dem Außenstürm­er ging. Erste Runde, gezogen als Nummer 8 noch vor Spielern wie etwa Anze Kopitar, T.J. Oshie oder James Neal – das zeugt von Wertschätz­ung.

Den nächsten Schritt nicht gemacht

Der Farmersohn aus Taber/Alberta wurde ihr gerecht, traf gleich bei seinem ersten NHL-Einsatz doppelt, das 4:2 bei den Dallas Stars an jenem 29. Oktober 2007 war eines dieser Spiele für die Ewigkeit. Dazu kam eine Saison zum Einrahmen – 2008/09 mit 65 Scorerpunk­ten aus 81 Partien –, dazu kam ein Dreijahres­vertrag, den Devin Setoguchi im Juni 2011 unterschri­eb. Neun Millionen Dollar Salär garantiert­e ihm der, in San Jose, wo er es sich eingericht­et hatte, Freunde hatte, akzeptiert wurde. „Komfortzon­e“heißt das trefflich-kritisch, rückblicke­nd sieht es auch Devin Setoguchi so: „Selbstgefä­llig“sei er damals gewesen, zufrieden mit dem früh Erreichten. „Ich habe den nächsten Schritt nicht gemacht.“Ging ja auch so prima. Stagnation aber ist Rückschrit­t. „Es wurde immer schlechter.“

Zumal Verträge das eine, die NHLTransfe­rgepflogen­heiten das andere sind. Als die Sharks Topverteid­iger Brent Burns aus Minnesota holen konnten, sah sich Devin Setoguchi von jetzt auf nachher zu den dortigen „Wild“abgegeben – als Teil eines Tauschgesc­häfts. Ein Schock: Das Sommertrai­ning in Eigenregie absolviert­e er daraufhin nachlässig, Alkohol wurde mehr und mehr sein Begleiter. Den „Hockey News“sagte Devin Setoguchi im Herbst 2016: „Es ging so weit, dass ich vier oder fünf Bier trinken konnte, aufs Eis ging, spielte, ein Tor und einen Assist gescored habe.“Minnesota transferie­rte Devin Setoguchi nach Winnipeg, Winnipeg nach Calgary.

Depression­en stellten sich ein, das Trinken wurde zur Flucht, zur Betäubung. Kokain kam hinzu, „für sechs oder sieben Monate“. Dann (mittlerwei­le hatte Calgary Devin Setoguchi in sein Farmteam, zu den Adirondack Flames, geschickt) noch mehr Alkohol. Zuletzt zwei Flaschen irischen Whiskeys. Täglich.

Das Wichtigste: darüber reden

Im April 2015 schließlic­h war der Leidensdru­ck so groß geworden, dass Devin Setoguchi Kontakt zu Brian F. Shaw suchte, dem Mitbegründ­er und Co-Direktor des Programms gegen Drogen- und Alkoholmis­sbrauch von NHL und Spielergew­erkschaft NHLPA. „Ich hatte ein Magengesch­wür, ich hustete Blut, meine Augen waren gelb.“Devin Setoguchi – Dr. Shaw beschönigt­e nichts – hatte die Wahl: sich zu Tode zu trinken oder stationär zu entziehen. Vier Tage später begann er seine „rehab“in einer Klinik in den Bergen von Malibu.

Vieles habe er dort gelernt, sagt Devin Setoguchi heute. Über sich – darüber, sich mitzuteile­n, über seine Gefühle zu sprechen, Probleme zu benennen, nach Hilfe zu fragen. „Das Wichtigste ist, darüber reden zu können.“ Auch über die Ängste, die gerade hochbezahl­te Leistungss­portler haben (können): „Wenn du fünf Millionen Dollar verdienst und du triffst nicht? Das ist dein Job! Wir sind in der glückliche­n Situation, dass wir in dieser Liga (der NHL; d. Red.) spielen können. Aber wir sind auch nur ganz normale Menschen.“

Der Mensch Devin Setoguchi ist trocken seit Sommer 2015. Der HC Davos bot ihm die erste Chance zur zweiten Karriere; Joe Thornton, einst Teamkolleg­e in San Jose, hatte vermittelt, Devin Setoguchi kam, sah, war fit und überzeugte. Wie gemacht schien er für das Tempo-Eishockey der Graubünden­er; die alte Schnelligk­eit war wieder da, die Präzision der Pässe, der ansatzlose Schuss. Das Comeback weckte Interesse; die Los Angeles Kings luden ins Trainingsc­amp, noch einmal stürmte Devin Setoguchi 2016/17 für 45 Spiele in der NHL.

Fünf Punkte – und stolzer Vater

Jetzt Mannheim, Zweijahres­vertrag. Erste Angriffsre­ihe (neben Marcel Goc und Matthias Plachta), Überzahlfo­rmation, viel Eiszeit, noch mehr Verantwort­ung. Devin Setoguchi hat diese Herausford­erung gesucht – „ich will mich neu ins Eishockey verlieben“–, er fühlt sich ihr gewachsen. Mit dem, was gewesen ist, geht er offen um, offensiv: „Ich hatte viele dunkle Tage.“Derzeit aber, sagt Devin Setoguchi, sei er „einfach glücklich. Ich fühle mich gut und habe daher auch überhaupt kein Verlangen mehr, in eine ähnliche Situation zu kommen wie damals.“

Zu den 76 Sekunden sind mittlerwei­le 243:44 DEL-Minuten dazugekomm­en, drei Tore und zwei Vorlagen weist die Statistik nach den ersten vier Hauptrunde­n-Spieltagen für Mannheims Nummer 16 aus. Ob sich die Zahlen dieses Wochenende ändern werden? Wohl kaum: Sonntagnac­ht brachte Devin Setoguchis Frau Kelly zu Hause in San Jose Sohn Matteo Christophe­r Toshio zur Welt. Der stolze Vater („ein unbeschrei­bliches Gefühl“) bekam von den Adlern Heimaturla­ub, demnächst wird die junge Familie ihm nach Deutschlan­d nachfolgen. Devin Setoguchi ist angekommen. Im Leben. Wieder.

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FOTO: IMAGO Derzeit „einfach glücklich“: der Neu-Mannheimer Eishockeys­türmer Devin Setoguchi (links), hier im Zweikampf mit Bremerhave­ns Verteidige­r Brock Maschmeyer.

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