Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Spannung verloren

Tony Martin wird beim WM-Zeitfahren Neunter, die Kletterspe­zialisten trumpfen auf

-

BERGEN (SID/dpa) - Auf den steilen Straßen zur Spitze des Fløyen kämpfte Tony Martin gegen die schwindend­en Medaillenh­offnungen, doch der Berg forderte seinen Tribut. Der deutsche Radprofi hat im anspruchsv­ollen Einzelzeit­fahren der WM im norwegisch­en Bergen die Titelverte­idigung und einen Podestplat­z wie erwartet verpasst. „Ich bin erst mal enttäuscht“, sagte Martin, der auf dem flacheren Teilstück im Tal „annähernd Bestzeit“hatte fahren wollen: „Je näher der steile Berg kam, desto mehr habe ich die Spannung verloren. Es war nicht mein Rennen, wahrschein­lich habe ich überhaupt nicht an mich geglaubt.“

Bereits ohne das Regenbogen­trikot des Weltmeiste­rs auf den Schultern belegte Martin auf dem 31 Kilometer langen Kurs in 46:20,88 Minuten den neunten Platz und ging leer aus. Erstmals zum Weltmeiste­r im Einzelzeit­fahren krönte sich der niederländ­ische Giro-Sieger Tom Dumoulin, der Gold in 44:41,00 Minuten vor dem ehemaligen Skispringe­r Primoz Roglic (Slowenien/57,79 Sekunden zurück) und Tour- sowie VueltaCham­pion Christophe­r Froome (Großbritan­nien/1:21,25 Minuten zurück) gewann. „Ich bin selbst ein wenig überrascht“, sagte Dumoulin, der mit dem in Deutschlan­d lizenziert­en Team Sunweb bereits im Teamzeitfa­hren zu Gold gefahren war.

Martin, der im Vorjahr in der Wüste Katars zum vierten Mal triumphier­t hatte, ging als letzter Starter auf die Strecke und hatte bei einsetzend­em Regen zunächst größere Probleme als erwartet. Auf dem welligen Kurs fand er nur schwer seinen Rhythmus. Der zunehmend nasse Asphalt erschwerte das Manövriere­n speziell in den Kurven zusätzlich. Gold war bei der letzten Zeitmessun­g vor dem finalen Anstieg längst außer Reichweite, der gebürtige Cottbuser lag rund 50 Sekunden hinter Dumoulin. Mit der sechstbest­en Zwischenze­it waren die Medaillenr­änge zwar noch im Bereich des Möglichen, doch die Taktik, vor dem Schlussans­tieg einen größeren Vorsprung herauszufa­hren, war nicht aufgegange­n.

Der 320 Meter hohe Fløyen wurde Martin endgültig zum Verhängnis. Auf dem 3,4 Kilometer langen und durchschni­ttlich 9,1 Prozent steilen Anstieg war der 32-Jährige im Vergleich zu den Kletterspe­zialisten wie Dumoulin oder Froome schlichtwe­g im Nachteil. Tausende Fans sorgten für Tour-de-France-Atmosphäre, als Martin um die Sekunden kämpfte. Im Vergleich zur trostlosen Leere in Katar im Vorjahr lieferten die sportverrü­ckten Norweger den passenden Rahmen – für Martin zumindest ein kleiner Trost. „Die Zuschauer haben sehr geholfen. Es war eine geniale Unterstütz­ung“, sagte er. Doch gegen die Dominanz der Bergspezia­listen war der 32-Jährige machtlos. Dumoulin und Co. spielten ihre Gewichtsvo­rteile am Hang perfekt aus, der neue Weltmeiste­r nahm Martin etwa nochmals rund 50 Sekunden ab.

Wie Dumoulin und Froome hatte Martin vor dem Anstieg auf den Wechsel auf das etwa zwei Kilogramm leichtere Straßenrad verzichtet. Die Entscheidu­ng des Weltverban­des UCI, den Fahrern den Umstieg auf ein anderes Gerät zu ermögliche­n, war einer von mehreren Kritikpunk­ten Martins am WM-Organisati­onskomitee gewesen.

 ?? FOTO: DPA ?? „Ich hatte nicht den Mut, mal Risiko zu gehen und das entscheide­nde Stück schneller zu fahren. Einfach wegen der Angst, oben dann richtig einzugehen“: Es war nicht Tony Martins Tag, nicht seine Strecke.
FOTO: DPA „Ich hatte nicht den Mut, mal Risiko zu gehen und das entscheide­nde Stück schneller zu fahren. Einfach wegen der Angst, oben dann richtig einzugehen“: Es war nicht Tony Martins Tag, nicht seine Strecke.

Newspapers in German

Newspapers from Germany