Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sechs Kandidaten im Schlagabtausch
Die Informationsveranstaltung der SZ zur Bundestagswahl in Ummendorf war gut besucht
UMMENDORF - Knapp 300 Besucher haben bei der Podiumsdiskussion der „Schwäbischen Zeitung“zur Bundestagswahl in der Gemeindehalle Ummendorf den Schlagabtausch der Kandidaten Josef Rief (CDU), Martin Gerster (SPD), Anja Reinalter (Grüne), Tim Hundertmark (FDP), Ralph Heidenreich (Linke) und Matthias Stiel (AfD) verfolgt. Hier trafen sich die Direktkandidaten im Wahlkreis 292 von allen sechs Parteien, die wahrscheinlich dem nächsten Bundestag angehören. Die SZ-Redaktionsleiter Gerd Mägerle (Biberach), Bruno Jungwirth (Riedlingen) und Roland Ray (Laupheim) befragten sie zu drei Schwerpunktthemen.
Infrastruktur: Rief und Gerster forderten einen Baubeginn der B-312Ortsumfahrungen im östlichen Landkreis bereits vor 2029. In großkoalitionärer Eintracht betonten beide, dass Straßenbau heute nicht mehr am Geld vom Bund scheitere. Uneins waren sie, warum die Planung lange dauert: Gerster rief die jetzige grünschwarze Landesregierung auf, mehr Straßenplaner einzustellen, „sonst liegt das Geld bereit und kann nicht abgerufen werden“. Rief gab die Schuld hierfür der vorherigen grünroten Landesregierung.
Hundertmark will die B-312-Anwohner ebenfalls schnell entlasten. Die Autofahrer zahlten 50 Milliarden Euro pro Jahr, der Bund investiere aber nur zehn Milliarden Euro jährlich in Straßen. Stiel hält gute Schnellstraßen für unverzichtbar, „das ist ein Grund, warum sich Industrie hier ansiedelt“. Er widersprach damit Reinalter und Heidenreich, die das Heil nicht in mehr Straßen sehen. Für die Urlaubsfahrt einer Familie mit Gepäck findet Heidenreich das Auto gut, „aber jeder, der alleine im Auto sitzt, braucht 50 Meter Straße“. Er und Reinalter setzen auf besseren und für die Nutzer billigeren Nahverkehr. Durch die Digitalisierung werde sich Jobwachstum von der Verkehrszunahme entkoppeln, hofft Reinalter.
Beim schnellen Internet sahen alle sechs „enormen Nachholbedarf“, wie Hundertmark sagte. Die FDP will, dass der Bund seine Telekomund Post-Aktien verkauft und 40 Milliarden Euro in den Breitbandausbau steckt. Heidenreich sieht ein Breitbandnetz gleichfalls als Staatsaufgabe, mit Prioritäten: „Technische Daten, die übertragen werden müssen, sind viel schmalbändiger als, sagen wir, ein Porno.“Gerster beklagte, dass die Gemeinden Zuschüsse nur entweder vom Land oder vom Bund erhielten. Rief forderte ebenfalls mehr Fördermittel, europäisches, deutsches und Landesrecht gehörten „zusammengeführt“.
Soziale Gerechtigkeit und Rente:
Rief versicherte, ein Renteneintritt erst mit 70 Jahren stehe „im Augenblick“nicht zur Debatte und würde viele überfordern. Niemand wisse, was in 30 Jahren sei. Er plädierte für einen flexibleren Renteneintritt und verteidigte die gefassten Beschlüsse zur Rente mit 67, die bis 2030 reichen. So lange will Gerster mit Reformen nicht warten, sonst würden mehr Bürger und vor allem Frauen von Altersarmut bedroht. Ginge es nach ihm, sollen auch Selbstständige und Abgeordnete in die Rentenkasse einzahlen. Dem schloss sich Heidenreich an, er will auch Kapitaleinkünfte heranziehen. In einer Einheitskasse sieht Hundertmark keine Lösung, „dann gäbe es auch mehr Rentenbezieher, was soll das bringen?“Die FDP will ein höheres Zinsniveau befördern, damit die Säule der privaten Vorsorge trägt. Wie Gerster hält Reinalter ein Rückkehrrecht von Teilzeitin Vollzeitarbeit für wichtig, damit vor allem Frauen auskömmliche Rentenansprüche erwerben können.
Stiel sagte, allein aufgrund des demografischen Wandels seien Milliardenzuschüsse aus dem Steuertopf in die Rentenkasse unumgänglich. Die derzeitige Migrationspolitik werde dieses Problem enorm verschärfen, da viele Unqualifizierte zuwanderten „und in den nächsten Jahrzehnten nicht einzahlen werden“. Gerster widersprach heftig, es kämen auch viele Qualifizierte und Motivierte; man möge die Integration fördern, „dann haben wir alle etwas von diesen Menschen“.
Flüchtlinge und innere Sicherheit:
Stiel warnte vor Parallelgesellschaften und sagte: „Die Politik der offenen Grenzen führt zu nichts Gutem.“Das Asylrecht will er von einem Grundrecht in eine völkerrechtliche Bestimmung umwandeln, damit abgelehnte Bewerber nicht mehr den Klageweg beschreiten können. Er sprach von 630 000 Personen, die aus seiner Sicht kein Aufenthaltsrecht haben und abgeschoben werden müssten. Gerster nannte Stiels Aussagen „unerträglich“und Rief sagte: „Wer kein Bleiberecht hat, muss ausreisen – aber mit rechtsstaatlichen Mitteln.“Auch Hundertmark und Reinalter verteidigten das Asylrecht und sprachen sich gegen eine Obergrenze aus. Sie forderten ein Einwanderungsgesetz für Fachkräfte „nach kanadischem Vorbild“, so der FDP-Mann. Heidenreich erklärte eine Abschottung für technisch unmöglich und für einen Exportweltmeister kontraproduktiv; vielmehr seien die deutschen Exportüberschüsse eine Fluchtursache in armen Ländern. Reinalter verknüpfte dies mit dem grünen Urthema: „Was wir jetzt mit Bürgerkriegsflüchtlingen erleben, ist ein laues Lüftchen gegen das, was uns erwartet, wenn wir die Klimaschutzziele nicht erreichen.“