Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wahlforscher: Union profitiert von Merkel
Forschungsgruppe Wahlen erklärt die AfD-Erfolge mit Ängsten in der Gesellschaft – Bürger wollen lieber eine Große Koalition als Jamaika
MANNHEIM/BERLIN (dpa) - Die Union verdankt ihren mit Verlusten erkauften Sieg bei der Bundestagswahl laut Forschungsgruppe Wahlen vor allem dem Ansehen von Kanzlerin Angela Merkel. Die CDU-Chefin habe in einem ökonomisch starken Deutschland und global fragilen Umfeld Stabilität und Führungsstärke vermittelt, schrieben die Mannheimer Wahlforscher in einer ersten Analyse am Sonntagabend. Der AfD sei es dagegen gelungen, Ängste, Sorgen und Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu nutzen. Sie zieht nun erstmals in den Bundestag ein, und das gleich zweistellig.
Nach Ansicht der Experten war der Wahlkampf von Furcht geprägt. 70 Prozent der Befragten äußerten in einer Umfrage von Infratest dimap für die ARD die Angst, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. 60 Prozent befürchteten, dass die Kriminalität zunimmt. 38 Prozent hätten die Sorge, dass zu „viele Fremde“nach Deutschland kommen.
Vor allem Männer wählten die AfD. Sie hätten der Partei doppelt so oft die Stimme gegeben wie Frauen. Bei den ostdeutschen Männern ist die AfD sogar stärkste Partei. Nach vorläufigen Zahlen von Infratest dimap profitierte die AfD zudem von den Nichtwählern: Von dieser Gruppe habe sie nach ersten Schätzungen fast 1,2 Millionen Stimmen bekommen. Auch eine Million vormalige CDU-Wähler setzten diesmal ihr Kreuz bei der Partei. Jeweils eine halbe Million Stimmen seien von SPD und Linken gekommen. Als weiteren Grund für das AfD-Abschneiden verwiesen die Wahlexperten auf das „Top-Thema Flüchtlinge“, bei dem sich lediglich 35 Prozent am ehesten von der CDU/CSU vertreten fühlten. 86 Prozent der AfD-Wähler bezweifeln laut Befragung, dass Deutschland die hohe Zahl an Flüchtlingen verkraftet. Unter allen Befragten sind nur 37 Prozent dieser Auffassung.
Obwohl mit den Erfolgen von FDP und AfD der Bundestag zum SechsFraktionen-Parlament geworden ist, bleiben nur zwei Bündnisoptionen: eine weitere Große Koalition und ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen. 50 Prozent der Deutschen fänden eine weitere Große Koalition besser, 41 Prozent Jamaika.
73 Prozent stehen hinter Merkel
73 Prozent der Deutschen bescheinigen demnach Merkel gute Arbeit als Kanzlerin. Sie punktete demnach im direkten Vergleich mit SPDHerausforderer Martin Schulz: 57 Prozent wollten nach Zahlen der Forscher Merkel weiter als Regierungschefin sehen – nur jeder Dritte Schulz. Sie gelte als sympathischer und glaubwürdiger, die Wähler trauten ihr zudem mehr Sachverstand zu.
Schulz habe dagegen bei Fragen zur sozialen Gerechtigkeit gepunktet. Dennoch überzeugte das die Wähler nicht: Laut Infratest dimap waren 66 Prozent der Befragten der Ansicht, dass sich Schulz nicht klar genug gegen Merkel positioniert habe. 59 Prozent befanden sogar, dass der SPD-Politiker insgesamt nicht überzeugend gewesen sei.
Der FDP sei diesmal „ohne parlamentarischen Leistungsnachweis eine nie da gewesene Imagekorrektur“gelungen, urteilten die Wahlforscher. Laut Infratest dimap sind 70 Prozent der Befragten der Auffassung, dass die FDP ohne Parteichef Christian Lindner keine Chance auf einen Einzug in den Bundestag gehabt hätte. 42 Prozent sagten, ohne Lindner hätten sie die Liberalen nicht gewählt.