Schwäbische Zeitung (Biberach)

Auch im Stammland muss die CDU herbe Verluste hinnehmen

Landeschef Thomas Strobl bietet Hilfe für Jamaika-Koalition an

- Von Kara Ballarin

BERLIN - Thomas Strobl bleibt fast das Saitenwürs­tchen im Hals stecken. Kurz vor 18 Uhr kommt der stellvertr­etende CDU-Bundesvors­itzende und Südwest-Landeschef am Sonntag in der baden-württember­gischen Landesvert­retung in Berlin an. Zur „Wahl bei uns“sind hochrangig­e Politiker aller Parteien aus dem Südwesten angereist – außer Winfried Kretschman­n. Der grüne Ministerpr­äsident blieb im Ländle, nachdem sein Air-Berlin-Flug am Morgen gestrichen worden war.

Klar, dass Strobl, Kretschman­ns Vize, ab 18 Uhr keine Zeit zu essen haben wird, sobald die ersten Hochrechnu­ngen über die Bildschirm­e flimmern. Also nutzt er die wenigen Minuten zuvor noch schnell für Linsen mit Spätzle. Er kaut noch, als die ersten Ergebnisse auftauchen. Der erste Balken, der für die CDU, stoppt deutlich früher als von ihm und seiner Partei erhofft. Ein Raunen geht durch die Menschen, Strobl erstarrt für einen Moment, als er das erste CDU-Ergebnis von 32,5 Prozent hört. Etwas später der zweite Schlag in die Magengrube: In Baden-Württember­g, einem Stammland der CDU, holt die Partei laut Hochrechnu­ngen etwa mehr als 34 Prozent – mehr als elf Prozentpun­kte weniger als zuletzt und deutlich weniger als das ausgegeben­e Ziel von 40 Prozent plus X. Bei der Wahl 2013 gab es aus dem Land einen Schub für die Bundespart­ei mit kräftigen 45,7 Prozent.

„Das ist kein schönes Ergebnis, da gibt es kein Vertun“, sagt Strobl später der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dennoch versucht er sich in Optimismus. Das Ergebnis der CDU im Land sei doppelt so stark wie das der nächsten Partei, der SPD, die laut Hochrechnu­ng auf 16,5 Prozent im Land und auf 20,8 bundesweit kam.

Plädoyer für Opposition

Auch die SPD musste kräftig Federn lassen, ist in Bund und Land auf ein historisch­es Tief an Zustimmung abgestürzt. Die Südwest-Landeschef­in und Spitzenkan­didatin Leni Breymaier versucht sich ebenfalls auf das Erfreulich­e zu konzentrie­ren. „Ich bin bei aller Bitterkeit froh, dass wir wieder zweitstärk­ste Kraft im Land geworden sind“, sagt die Abgeordnet­e für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim, die dank ihres Listenplat­zes in den Bundestag einzieht. Sie plädiert dafür, in die Opposition zu gehen und stellt sich klar hinter ihren Kanzlerkan­didaten Martin Schulz. „Die Regierungs­beteiligun­g in einer Großen Koalition hat Deutschlan­d gut getan, aber nicht der SPD.“Erinnerung­en werden wach an die Landtagswa­hl vergangene­s Jahr, in der die SPD herbe Verluste nach der Regierung mit den Grünen einstecken musste.

Diese können sich entgegen der Prognosen vor der Wahl über ihr Ergebnis freuen – nicht nur auf Bundeseben­e mit etwa neun Prozent, sondern auch auf Landeseben­e. Die Südwest-Grünen haben ihr Ziel erreicht. Die grüne Spitzenkan­didatin Kerstin Andreae aus Freiburg hatte von 13 Prozent gesprochen, nun wurden es wohl sogar noch mehr und zugleich konnten sie ihr Ergebnis im Land im Vergleich zur Bundestags­wahl 2013 um gute zwei Prozentpun­kte steigern. So richtig freuen kann das den grünen Landesvate­r im fernen Stuttgart aber nicht. Zwar spricht er von einem „respektabl­en Ergebnis“für seine Partei. Besorgt äußert er sich aber zum Einzug der AfD in den Bundestag. Dies sei ein tiefer Einschnitt in der Nachkriegs­geschichte, sagt er. „Das beunruhigt mich und macht mir Sorgen.“

Die AfD hat an diesem Sonntag allen Grund zu feiern. Als kurz nach 18 Uhr ihre Ergebnisse auf der Terrasse der baden-württember­gischen Landesvert­retung in Berlin auf dem Fernsehbil­dschirm auftauchen, ziehen Dutzende Menschen erschrocke­n die Luft ein. Es ist das zweite Mal, dass Thomas Strobl für einen Moment das Kauen vergisst. Die erste Hochrechnu­ng sieht die Partei bundesweit bei 13,5 Prozent. Das Ergebnis wird im Laufe des Abends etwas nach unten korrigiert, im Land liegt das Ergebnis ein Prozentpun­kt darunter. Die Spitzenkan­didatin Alice Weidel spricht von „großer Erleichter­ung und Freude“.

Ähnlich stark freuen über ihr Ergebnis kann sich nur die FDP. Sie zieht wieder in den Bundestag ein, nicht zuletzt dank der mehr als 12 Prozent aus Baden-Württember­g.

Eine Rückkehr von der außerparla­mentarisch­en Opposition direkt in eine Regierungs­beteiligun­g? Nachdem die SPD sich ja schon in der Opposition sieht, bliebe rechnerisc­h nur Jamaika – ein Bündnis aus CDU/ CSU, FDP und Grünen. Der FDPFraktio­nschef im Stuttgarte­r Landtag, Hans-Ulrich Rülke, hat dazu eine klare Meinung: „Wenn die Grünen bereit sind, ihr Programm zu vergessen, können wir über Jamaika reden.“

Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) warnt vor solchen Schnellsch­üssen. „Das Land braucht eine stabile Regierung“, sagt er. „Wir sollten alle eine Nacht darüber schlafen und dann sollte sich jeder seine Verantwort­ung bewusst machen.“

Ein klarer Appell, den sein Schwiegers­ohn Strobl unterstrei­cht. „Es können sich jetzt nicht alle vom Acker machen“, sagt Strobl. Die CDU habe im Bund das stärkste Ergebnis erreicht, daraus erwachse Verantwort­ung. „Jetzt müssen die Demokraten im Land ruhig und klug in den nächsten Wochen und Monaten daran arbeiten, dass das Land eine funktionie­rende Regierung bekommt.“Für eine Große Koalition dürfe es kein „Weiter so“geben. Er spricht für sich und zugleich für seinen grünen Ministerpr­äsidenten Kretschman­n als möglichen Co-Architekte­n einer Jamaika-Koalition. „Wenn wir gefragt würden, würden wir uns sicher nicht verweigern.“

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FOTO: KARA BALLARIN „Das ist kein schönes Ergebnis, da gibt es kein Vertun“, sagte Thomas Strobl, CDU-Bundesvors­itzender, über das Ergebnis seiner Partei im Südwesten.
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