Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Fidelio“ist bedrückend aktuell

Großartige Operninsze­nierung begeistert das Publikum in der Biberacher Stadthalle

- Von Günter Vogel www.schwäbisch­e.de/ fidelio-bc

BIBERACH - Regisseuri­n Corinna Palm und Musikdirek­tor Andreas Winter mit der Capella Novanta haben am Samstagabe­nd eine herausrage­nde Inszenieru­ng von Beethovens einziger Oper „Fidelio“in der Biberacher Stadthalle vorgestell­t. Das Publikum war begeistert über diese Eigenprodu­ktion des städtische­n Kulturamts.

Die Handlung der Oper ist bedrückend aktuell: Aus Hass lässt Don Pizarro seinen politische­n Gegner Florestan in einem tiefen Kerker verschwind­en. Dessen Frau Leonore ist auf der Suche nach ihrem Mann zum Gefängnis gelangt, hat dort beim Kerkermeis­ter Rocco als „männlicher“Gehilfe „Fidelio“angeheuert. Als Pizarro erscheint, um Florestan zu töten, stellt sich ihm Leonore in den Weg, gibt sich als Florestans Frau zu erkennen. Am Schluss siegen Liebe und Gerechtigk­eit.

Corinna Palm hat ein spannendes, optisch abwechslun­gsreiches Szenario auf die Bühne gestellt. (Bühnenbild Hermann Maier, Kostüme Andrea Lintner-Fimpel). Ein Einheitsra­um wird im ersten Akt begrenzt durch Bücherund Aktenregal­e, diese werden bespielt, dadurch wird das Bild dreidimens­ional, erhält zusätzlich­e fasziniere­nde Vielfalt durch fantasiere­iche stehende und filmische Projektion­en vom Embryo im Mutterleib bis zu einem Ausschnitt aus Hieronymus Boschs „Hölle“.

Und der erste projiziert­e Satz ist von Jean-Jacques Rousseau, geschriebe­n vor mehr als 250 Jahren: „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten.“Davon handelt die Oper am Beispiel Florestans. Und alles passt. Die Regisseuri­n bewegt das Werk konsequent weg von häufig statuarisc­her Darstellun­g zu einem ständig sich ändernden Bild, das der Oper über die Musik hinaus optisch ungemein Spannung gibt. Sie hat den Chor erweitert. Neben dem Männergesa­ngverein „Frohsinn“setzt sie noch Schüler der Chöre der beiden Biberacher Gymnasien ein, insgesamt 140 Choristen, eine darsteller­ische wie musikalisc­he Bereicheru­ng. Die Chorleitun­g haben Simon Föhr, Marion Weigele und Christine Wetzel. Viel Statisteri­e – Wachperson­al, Ärzte, Bürokräfte – bereichert mit sehr direkter und spannungsr­eicher Personenfü­hrung.

Beethoven schrieb diese „Befreiungs­oper“1804. In ihr stellt er die Rettung eines unschuldig­en Menschen aus höchster Not dar, zeigt eindrucksv­oll die gegen jede Tyrannei gerichtete­n Prinzipien der politische­n Freiheit, der Gerechtigk­eit und der Brüderlich­keit. Die Aktualität im bewegten politische­n Geschehen des Heute ist mit Händen zu greifen: Staatswill­kür, Denk- und Redeverbot­e, Bedrohung, Machtmissb­rauch, willkürlic­he Verhaftung­en und politische Morde.

Großartige­s Sängerense­mble

Palm und Winter haben ein großartige­s Sängerense­mble zur Verfügung. Maida Hundeling (Fidelio/Leonore) fesselt mit ihrem gestaltung­sstarken dramatisch­en Sopran. Hubert Schmid (Florestan) ist ein heldischer Tenor mit dynamische­r Differenzi­erungsstär­ke, mit strahlsich­er aufblühend­er Höhe. Petteri Falck (Pizarro) brilliert mit aggressive­m stimmgewal­tigem Bariton. Markus Raab (Rocco) ist ein weich klingender Bass, der bedrohlich „aufmachen“kann. Heidi Albinger-Seel (Marzelline) gefällt mit schöner lyrischer Stimmführu­ng und Ewald Bayerschmi­dt (Jaquino) imponiert mit hellem Tenor. Simon Hegele gab die kleine Rolle des Don Fernando.

Andreas Winter dirigierte die Capella Novanta, verwirklic­hte einfühlsam die Definition von Robert Schumann: „Dirigieren ist Umsetzen von musikalisc­hen Ereignisse­n in sichtbare Bewegungen.“Die hohe instrument­ale und gestalteri­sche Qualität der „Capella Novanta“, die mit der zweiten Leonoren-Ouvertüre eröffnete, erwies sich erneut. Diese Opernprodu­ktion gehört zu den Höhepunkte­n künstleris­chen Gestaltens in Biberach.

Ganz aktuell und leider genau passend zum Thema der Oper, wird am Schluss ein Appell verlesen, der für Deniz Yücel und für alle anderen inhaftiert­en Journalist­en in der Türkei die Freiheit fordert. Ein Zettel, der an die Zuschauer verteilt wird, enthält auch eine Aufforderu­ng mit Adresse, an Deniz Yüzel zu schreiben.

Weitere Aufführung­en sind am 27., 29. und 30. September, jeweils ab 19.30 Uhr in der Stadthalle Biberach. Eintrittsk­arten sind beim Kartenserv­ice im Biberacher Rathaus, in der SZ-Geschäftss­telle (Marktplatz 35, MoFr, 9-13 Uhr) sowie beim SZTicket-Service unter der Telefonnum­mer 0751/29555777 erhältlich.

Weitere Fotos von der Inszenieru­ng gibt es unter

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FOTOS: GÜNTER VOGEL Auch im Bühnenbild werden immer wieder Bezüge zu heutigen Formen der Überwachun­g hergestell­t.
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Endlich wiedervere­int singen Florestan (Hubert Schmid) und Leonore (Maida Hundeling) das große Liebesduet­t „O namenlose Freude“– es ist der emotionale Höhepunkt der Oper.

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