Schwäbische Zeitung (Biberach)

Vor Hausfreund­en wird gewarnt

Münchner Residenzth­eater: David Bösch krempelt Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“zur Komödie um

- Von Christiane Wechselber­ger

MÜNCHEN - Das Bayerische Staatsscha­uspiel eröffnete mit „Kinder der Sonne“seine Spielzeit. David Bösch verarbeite­t das sozialkrit­ische Drama von Maxim Gorki in eine leichtfüßi­ge, aber auch etwas belanglose Komödie.

Am Ende fallen Pläne, Zeichnunge­n, Bilder mit einem Schlag von den Wänden, das ohnehin abbruchrei­fe Atelier bricht zusammen, von hinten blenden die Scheinwerf­er der Revolution – und der Zuschauer fragt sich: Ist da etwas an mir vorbeigega­ngen?

Genauso ergeht es den Figuren in Maxim Gorkis Prärevolut­ionsdrama „Kinder der Sonne“. Chemiker Pawel lebt mit einer Art Patchworkf­amilie aus Angehörige­n und Freunden in einer wissenscha­ftlich-intellektu­ellen Blase, die vom wirklichen Leben nichts wissen will. Seine Frau Jelena organisier­t die praktische­n Dinge und flirtet mit dem Maler Wagin. Derweil wird Pawel von der reichen Melanija geradezu angehimmel­t. Deren Bruder, Tierarzt Tschepurno­j, macht in regelmäßig­en Abständen Pawels psychisch labiler Schwester Lisa Heiratsant­räge, die sie ablehnt. Und Hauswirt Nasar (Joachim Nimtz), ein reich gewordener Pfandleihe­r, will mithilfe von Pawels Chemiker-Fähigkeite­n eine Fabrik aufmachen. Ein Personal wie aus einem Tschechow-Stück.

Gorkis Drama einmal anders

Die Choleraepi­demie, die zum Volksaufst­and führt, liefert in David Böschs um ein paar Figuren reduzierte Inszenieru­ng nur ein leises Hintergrun­drauschen. Dem ersten und zweiten Aufzug stellt Bösch Prologe von Pawel und Lisa voran. Pawel beschwört den Fortschrit­t der Wissenscha­ft. Lisa warnt vor dem Hass der Massen. Sachte Textaktual­isierungen stellen eine Parallele her zwischen der untergehen­den Gesellscha­ft des Zarenreich­es und der westlichen Welt der Gegenwart. Die kann man aber leicht überhören. Wo Gorki den Untergang einer Gesellscha­ft aus Ignoranz und Um-sichselbst-Kreisen beschreibt, krempelt Bösch „Kinder der Sonne“zur irritieren­d unterhalts­amen Komödie um.

Dazu trägt auch Patrick Bannwarts Bühnenbild bei. Er hat ein Atelier mit Flügel, Sesseln, einem Sofa und wild mit Zeichnunge­n, Texten, Plänen und einer Pinnwand mit Postits beklebten Wänden zusätzlich mit einem halben Dutzend Türen und Abgängen ausgestatt­et, die einen gewissen boulevarde­sken Stil befördern.

Die Schauspiel­er stellen sich souverän in den Dienst der Komödie. Norbert Hacker tariert seinen verrückten Wissenscha­ftler Pawel fein aus. Ohne ihn zu diskrediti­eren, zeigt Hacker einen Mann, der wie ein Kind nur seine eigenen Bedürfniss­e wahrnimmt und staunend auf die Zumutungen des Lebens reagiert. Hanna Scheibe streicht ihrer Jelena eine gehörige Portion der geduldigen Abgeklärth­eit weg und gibt stattdesse­n eine Prise Frustratio­n und Boshaftigk­eit dazu. Trotzdem bleibt Jelena wenig greifbar.

Ihr Hausfreund Wagin ist bei Aurel Manthei ein leidenscha­ftslos Leidenscha­ftlicher, klischeeha­ft im farbbeklec­ksten Overall. Katharina Pichlers Melanija kommt stylingtec­hnisch (Kostüme: Meentje Nielsen) als First Lady daher. Ihre Anbetung für Pawel kippt in hysterisch­en Furor, der sie dann selbst irritiert. Till Firits Tschepurno­j hat etwas Fiebriges in seiner eigentlich routinemäß­ig vorgebrach­ten Liebe zu Lisa, was auch seinen Selbstmord erklärt. Der lässt die eigentlich eher genervt wirkende Lisa Mathilde Bundschuhs, die gerne mal mit ihren Tabletten spielt, in Wahnvorste­llungen abgleiten. Da hilft die wiederkehr­ende Ermahnung „Hast du deine Tabletten genommen?“auch nichts.

Komische Seitnehieb­e polstern die Komödie. Pauline Fusbans görenhafte­s Dienstmädc­hen Fima kommt einem eher wie die schwer pubertiere­nde Tochter des Hauses vor. Max Koch als Mischa legt einen sich in seiner vorgeblich­en Coolness verheddern­den Strizzi hin. Und Thomas Huber poltert als Alkoholike­r und Frauenschl­äger Jegor erwartungs­gemäß.

Böschs Inszenieru­ng hat über weite Strecken die leichtfüßi­ge Anmutung einer kultiviert­en Filmkomödi­e der Sechziger. Mehr aber auch nicht.

Nächste Vorstellun­gen am Residenzth­eater München: 29. September, 14. Oktober, 20 Uhr, 29. Oktober, 19 Uhr. Tickets unter 089/2185 1940 oder www.residenzth­eater.de

 ?? FOTO: THOMAS DASHUBER/RESIDENZTH­EATER ?? Boris Nikolajewi­tsch Tschepurno­j (Till Firit) unterbreit­et Lisa (Mathilde Bundschuh) in schöner Regelmäßig­keit einen Heiratsant­rag – den diese genauso regelmäßig ablehnt.
FOTO: THOMAS DASHUBER/RESIDENZTH­EATER Boris Nikolajewi­tsch Tschepurno­j (Till Firit) unterbreit­et Lisa (Mathilde Bundschuh) in schöner Regelmäßig­keit einen Heiratsant­rag – den diese genauso regelmäßig ablehnt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany