Schwäbische Zeitung (Biberach)
Vor Hausfreunden wird gewarnt
Münchner Residenztheater: David Bösch krempelt Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“zur Komödie um
MÜNCHEN - Das Bayerische Staatsschauspiel eröffnete mit „Kinder der Sonne“seine Spielzeit. David Bösch verarbeitet das sozialkritische Drama von Maxim Gorki in eine leichtfüßige, aber auch etwas belanglose Komödie.
Am Ende fallen Pläne, Zeichnungen, Bilder mit einem Schlag von den Wänden, das ohnehin abbruchreife Atelier bricht zusammen, von hinten blenden die Scheinwerfer der Revolution – und der Zuschauer fragt sich: Ist da etwas an mir vorbeigegangen?
Genauso ergeht es den Figuren in Maxim Gorkis Prärevolutionsdrama „Kinder der Sonne“. Chemiker Pawel lebt mit einer Art Patchworkfamilie aus Angehörigen und Freunden in einer wissenschaftlich-intellektuellen Blase, die vom wirklichen Leben nichts wissen will. Seine Frau Jelena organisiert die praktischen Dinge und flirtet mit dem Maler Wagin. Derweil wird Pawel von der reichen Melanija geradezu angehimmelt. Deren Bruder, Tierarzt Tschepurnoj, macht in regelmäßigen Abständen Pawels psychisch labiler Schwester Lisa Heiratsanträge, die sie ablehnt. Und Hauswirt Nasar (Joachim Nimtz), ein reich gewordener Pfandleiher, will mithilfe von Pawels Chemiker-Fähigkeiten eine Fabrik aufmachen. Ein Personal wie aus einem Tschechow-Stück.
Gorkis Drama einmal anders
Die Choleraepidemie, die zum Volksaufstand führt, liefert in David Böschs um ein paar Figuren reduzierte Inszenierung nur ein leises Hintergrundrauschen. Dem ersten und zweiten Aufzug stellt Bösch Prologe von Pawel und Lisa voran. Pawel beschwört den Fortschritt der Wissenschaft. Lisa warnt vor dem Hass der Massen. Sachte Textaktualisierungen stellen eine Parallele her zwischen der untergehenden Gesellschaft des Zarenreiches und der westlichen Welt der Gegenwart. Die kann man aber leicht überhören. Wo Gorki den Untergang einer Gesellschaft aus Ignoranz und Um-sichselbst-Kreisen beschreibt, krempelt Bösch „Kinder der Sonne“zur irritierend unterhaltsamen Komödie um.
Dazu trägt auch Patrick Bannwarts Bühnenbild bei. Er hat ein Atelier mit Flügel, Sesseln, einem Sofa und wild mit Zeichnungen, Texten, Plänen und einer Pinnwand mit Postits beklebten Wänden zusätzlich mit einem halben Dutzend Türen und Abgängen ausgestattet, die einen gewissen boulevardesken Stil befördern.
Die Schauspieler stellen sich souverän in den Dienst der Komödie. Norbert Hacker tariert seinen verrückten Wissenschaftler Pawel fein aus. Ohne ihn zu diskreditieren, zeigt Hacker einen Mann, der wie ein Kind nur seine eigenen Bedürfnisse wahrnimmt und staunend auf die Zumutungen des Lebens reagiert. Hanna Scheibe streicht ihrer Jelena eine gehörige Portion der geduldigen Abgeklärtheit weg und gibt stattdessen eine Prise Frustration und Boshaftigkeit dazu. Trotzdem bleibt Jelena wenig greifbar.
Ihr Hausfreund Wagin ist bei Aurel Manthei ein leidenschaftslos Leidenschaftlicher, klischeehaft im farbbeklecksten Overall. Katharina Pichlers Melanija kommt stylingtechnisch (Kostüme: Meentje Nielsen) als First Lady daher. Ihre Anbetung für Pawel kippt in hysterischen Furor, der sie dann selbst irritiert. Till Firits Tschepurnoj hat etwas Fiebriges in seiner eigentlich routinemäßig vorgebrachten Liebe zu Lisa, was auch seinen Selbstmord erklärt. Der lässt die eigentlich eher genervt wirkende Lisa Mathilde Bundschuhs, die gerne mal mit ihren Tabletten spielt, in Wahnvorstellungen abgleiten. Da hilft die wiederkehrende Ermahnung „Hast du deine Tabletten genommen?“auch nichts.
Komische Seitnehiebe polstern die Komödie. Pauline Fusbans görenhaftes Dienstmädchen Fima kommt einem eher wie die schwer pubertierende Tochter des Hauses vor. Max Koch als Mischa legt einen sich in seiner vorgeblichen Coolness verheddernden Strizzi hin. Und Thomas Huber poltert als Alkoholiker und Frauenschläger Jegor erwartungsgemäß.
Böschs Inszenierung hat über weite Strecken die leichtfüßige Anmutung einer kultivierten Filmkomödie der Sechziger. Mehr aber auch nicht.
Nächste Vorstellungen am Residenztheater München: 29. September, 14. Oktober, 20 Uhr, 29. Oktober, 19 Uhr. Tickets unter 089/2185 1940 oder www.residenztheater.de