Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die mutmaßlichen Bandenkrieger schweigen
Seit Mittwoch stehen acht Mitglieder der als kurdisch eingestuften Gruppierung „Bahoz“wegen eines Überfalls in Ulm vor Gericht
ULM - Nein, eine einheitliche Kleidungsstrategie scheinen sie nicht zu haben, die Angeklagten. Während der eine sich für ein strahlend weißes Oberhemd entschieden hat, zieht ein anderer es vor, in komplett schwarzer Trainingsbekleidung zu erscheinen. Gerade so, als sei er zufällig von seiner morgendlichen Laufrunde ins Landgericht Ulm abgebogen, um im Sitzungssaal Nummer 126 Platz zu nehmen, wo es um 9.30 Uhr allein wegen der insgesamt acht Beschuldigten, deren Anwälten, den Vertretern der Staatsanwaltschaft sowie den Richtern zu einer gewissen Enge kommt. Fast 30 Prozessbeteiligte füllen den Raum. In den hinteren Reihen des Zuschauerbereichs verteilen sich reichlich Polizisten. Ansonsten ist das allgemeine Zuschauerinteresse gering: Lediglich zwei Rentner sitzen da und hoffen auf einen kurzweiligen Vormittag. Das daraus nichts wird, können die beiden bei Prozessbeginn noch nicht wissen.
Traumatisiertes Opfer
Und wie das vor Gericht oft so ist, sehen die jungen Männer im Alter von 25 und 32 Jahren harmloser aus, als es das beträchtliche Aufgebot an Polizisten in und rund um das Gebäude des Landgerichts vermuten lässt. Die meisten sind von normaler Statur, einige tragen gepflegte Vollbärte, die Haare sind schwarz. Eine Ausnahme ist ein muskelbepackter Angeklagter, der nicht zuletzt durch seinen martialischen Gang die Blicke auf sich zieht. Nach Überzeugung der Behörden gehören die Männer zu einer rockerähnlichen Straßenbande, die sich selbst „Bahoz“nennt und kurdisch-linksorientiert sei. Die Einlasskontrollen sind streng. Keine Tasche kommt ungefilzt in den Sitzungssaal. Ebendort verliest der Staatsanwalt jetzt die Anklageschrift, die ein hässliches Bild der Männer zeichnet, die dort vor den Richtern teils angespannt, teils betont lässig Platz genommen haben.
Schwörmontag, 2016 in Ulm: Für die Bürger ist es der höchste Feiertag. Die Innenstadt ist zu diesem Anlass traditionell überfüllt. Die Ausläufer der Feiern erstrecken sich auf fast alle Straßen und Gassen von Ulm. Nicht anders ist das auf der Straße Hafenbad, wo es ebenfalls vor Menschen wimmelt. Umso größer ist das Chaos, als gegen 18.50 Uhr plötzlich eine Gruppe von mindestens 15 vermummten Männern, bewaffnet mit Steinen und Flaschen, auftaucht und damit einen Schnellimbiss angreift. Im Jargon der Juristen heißt das gemeinschaftlicher Landfriedensbruch sowie gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung. Als die Steine und Flaschen fliegen, versuchen die Gäste vor und im Imbiss zu fliehen. Aber das gelingt nicht allen. Mindestens einer zieht sich durch einen gezielten Flaschenwurf eine blutige Platzwunde am Hinterkopf zu. Eine junge Frau, die in der Gaststätte zum Zeitpunkt des Angriffs aushilft, leidet Todesängste, wie der Staatsanwalt betont und hat bis heute mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen. Der materielle Schaden an Schaufenstern und Beleuchtung beläuft sich auf rund 8000 Euro. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Imbiss eine Art Treffpunkt für eine türkisch-nationalistische Gruppierung im Umfeld des „Osmanen Germania Box-Clubs“ist. Zuvor soll es im Internet zwischen beiden verfeindeten Banden zu Provokationen gekommen sein, die schließlich am Schwörmontag eskalierten.
Räuberische Erpressung
Zwei der acht Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft noch mehr vor: Sie sollen im Herbst 2016 einen Kameraden, den sie des Verrats verdächtigen, vor seiner Wohnung gestellt, gewürgt und mit einem Messer bedroht haben: „Entweder du zahlst 1000 Euro, oder du wirst in Ulm nicht mehr ruhig leben. Wir verwüsten deine Wohnung und bringen dich und deine Freundin um“, zitiert der Staatsanwalt aus der Anklageschrift. Doch anstatt zu zahlen, ging der Bedrohte zur Polizei – was den beiden Beschuldigten vor Gericht den Vorwurf der schweren versuchten räuberischen Erpressung einbringt.
Im Schwurgerichtssaal hallen die Ereignisse von Sommer und Herbst nicht hörbar nach. Im Gegenteil: Sechs Anwälte geben zu Protokoll, dass ihre Mandanten zu den Vorwürfen schweigen. Zwei Verteidiger geben Erklärungen ab: „Mein Mandant ist albanischer Staatsbürger und war zum Zeitpunkt des Angriffs am Marktplatz. Er hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.“Ein weiterer Strafverteidiger, der überhaupt die Existenz der Straßenbanden infrage stellt, serviert dem Gericht ein Alibi und nennt zwei Zeugen aus Zürich, die den fraglichen Angeklagten zum Zeitpunkt des Schwörmontags bei sich in der Schweiz zu Gast gehabt haben wollen.
Langwieriger Prozess erwartet
Der Vorsitzende Richter vertagt den Prozess auf den 25. Oktober. Dann wird die Strafkammer die ersten von insgesamt 52 Zeugen anhören. Für die Angeklagten stehen mehrjährige Gefängnisstrafen auf dem Spiel. Das Landgericht hat für das Verfahren neun Verhandlungstage angesetzt. Einer der Strafverteidiger sagt nach der Verhandlung vor dem Saal hinter vorgehaltener Hand: „Das wird eine langwierige Angelegenheit. Das Beweismaterial ist sehr dünn. Das ist auch der Grund, warum von den mindestens 15 Angreifern überhaupt nur acht angeklagt sind.“Der Jurist rechnet fest mit Freisprüchen aus Mangel an Beweisen – zumindest zugunsten seines Mandanten. In der Verhandlung hatte der Richter festgehalten, dass es zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigern „keine verfahrensabkürzenden Absprachen“gegeben habe. Also kein Handel, wie sie sonst oft üblich sind, um einen langwierigen Prozessverlauf zu vermeiden. Dazu sagt ein Strafverteidiger hinterher: „Die wären auch schön blöd, sich ohne echte Beweise auf so etwas einzulassen.“
Und so scheint es, dass die jungen Männer den Gerichtssaal am gestrigen Mittwoch nach weniger als einer Stunde Verhandlungsdauer fast entspannter verlassen, als sie ihn betreten haben.