Schwäbische Zeitung (Biberach)
Musik wie aus längst vergangenen Tagen
Die Retrorocker Kadavar liefern mit „Rough Times“ein routiniertes viertes Album ab
RAVENSBURG - Woran erkennt man eine Retrorockband? Sie sagt dir, dass sie keine ist – obwohl die Musiker lange Haare, buschige Bärte und Schlaghosen tragen. Mag der Sound auch noch so offensichtlich die großen Vorbilder der glorreichen 1970er-Jahre zitieren – die Etikettierung stößt bei Retrorockern selten auf Gegenliebe. Auch das Berliner Trio Kadavar macht da keine Ausnahme und schickt im Infozettel zum vierten Studioalbum „Rough Times“(Nuclear Blast/Warner) vorweg: „Die Leute stecken dich immer gerne in eine Schublade und deshalb ist es unser Job, uns unsere eigene Schublade zu kreieren und sie Kadavar zu nennen.“
Dabei ist es ja gar nichts Verwerfliches, die gute alte Zeit zumindest musikalisch wieder aufleben zu lassen – und verständlich irgendwie auch angesichts einer verstörenden und düsteren Welt, in der Terroranschlag auf Amoklauf folgt und sich die Hetzer im Netz ihre eigenen Fake News dazu stricken. Rückbesinnung auf alte Helden der Marke Led Zeppelin mag die Musik an sich nicht weiter bringen. Aber die schiere Macht tonnenschwerer Gitarrenriffs ist etwas, dem man sich kaum entziehen kann. Und nebenbei sind Retrorocker wie die Australier von Wolfmother, die schwedische Band Blues Pills oder die US-Quintett Rival Sons ein Phänomen, das zeigt, dass zeitlose Rockmusik in jedem Winkel der Welt goutiert wird. Sie setzen einen Kontrapunkt zu politischer Musik, indem sie meist bewusst auf eher eskapistische Themen eingehen.
Kadavar sind Arbeitstiere, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 2010 durch viele Live-Aufritte (unter anderem
bei Rock am Ring) einen Namen gemacht haben. „Rough Times“zeigt erneut die Stärken der Band: Natürlich klingen Gitarrenfiguren wie im „Skeleton Blues“wie schon öfter gehört, die Wucht, mit der die Berliner solche Songs allerdings darbieten – sie wirkt ehrlich und ungekünstelt wie die Begeisterung für derartige Sounds. Dazu gehört konsequenterweise auch, dass Sänger und Gitarrist Christoph „Lupus“Lindemann, Bassist Simon „Dragon“Bouteloup und Schlagzeuger Christoph „Tiger“Bartelt tatsächlich auf
Instrumenten aus vergangenen Jahrzehnten spielen und auch das Aufnahme-Equipment ohne modernen Schnickschnack auskommt.
Mal donnernd, mal leichtfüßig
Diese Authetizität tut dem Sound gut, wie man etwa „Into The Wormhole“anhört. Da darf erst mal die Stromgitarre fett vor sich hin braten, bis der knackige Bass seinen Moment im Rampenlicht bekommt, während das Schlagzeug wuchtig und schleppend donnert. Fast schon leichtfüßig geht es in „Die Baby Die“ zu, während „Vampires“mit dynamischem Wechselspiel von ruhigen und härteren Passagen gefällt. Der Spacerock von Hawkwind scheint in „Tribulation Nation“durch, jener bewusstseinserweiterten Truppe, der auch der spätere Motörhead-Fronter Lemmy ein paar Jahre lang angehörte. „Words of Evil“hingegen gemahnt mit seinen temporeichen Gitarren an Black Sabbath.
Zum Schluss hin werden die Songs ruhiger und psychedelischer, Lavalampen-Feeling stellt sich ein, wenn in „The Lost Child“die Orgeltöne aufsteigen wie Rauch. Auch „You Found The Best in Me“zeigt sich tiefentspannt, und „L’ombre du Temps“darf sich dann noch experimentell geben und mit französischem Spoken-Word-Part überraschen.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Es ist nicht neu, aber es ist gut gemacht.
Live: 27.10. München, Backstage; 17.11. Stuttgart, LKA-Longhorn. Infos zur Band gibt es online unter www.kadavar.com