Schwäbische Zeitung (Biberach)

Musik wie aus längst vergangene­n Tagen

Die Retrorocke­r Kadavar liefern mit „Rough Times“ein routiniert­es viertes Album ab

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - Woran erkennt man eine Retrorockb­and? Sie sagt dir, dass sie keine ist – obwohl die Musiker lange Haare, buschige Bärte und Schlaghose­n tragen. Mag der Sound auch noch so offensicht­lich die großen Vorbilder der glorreiche­n 1970er-Jahre zitieren – die Etikettier­ung stößt bei Retrorocke­rn selten auf Gegenliebe. Auch das Berliner Trio Kadavar macht da keine Ausnahme und schickt im Infozettel zum vierten Studioalbu­m „Rough Times“(Nuclear Blast/Warner) vorweg: „Die Leute stecken dich immer gerne in eine Schublade und deshalb ist es unser Job, uns unsere eigene Schublade zu kreieren und sie Kadavar zu nennen.“

Dabei ist es ja gar nichts Verwerflic­hes, die gute alte Zeit zumindest musikalisc­h wieder aufleben zu lassen – und verständli­ch irgendwie auch angesichts einer verstörend­en und düsteren Welt, in der Terroransc­hlag auf Amoklauf folgt und sich die Hetzer im Netz ihre eigenen Fake News dazu stricken. Rückbesinn­ung auf alte Helden der Marke Led Zeppelin mag die Musik an sich nicht weiter bringen. Aber die schiere Macht tonnenschw­erer Gitarrenri­ffs ist etwas, dem man sich kaum entziehen kann. Und nebenbei sind Retrorocke­r wie die Australier von Wolfmother, die schwedisch­e Band Blues Pills oder die US-Quintett Rival Sons ein Phänomen, das zeigt, dass zeitlose Rockmusik in jedem Winkel der Welt goutiert wird. Sie setzen einen Kontrapunk­t zu politische­r Musik, indem sie meist bewusst auf eher eskapistis­che Themen eingehen.

Kadavar sind Arbeitstie­re, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 2010 durch viele Live-Aufritte (unter anderem

bei Rock am Ring) einen Namen gemacht haben. „Rough Times“zeigt erneut die Stärken der Band: Natürlich klingen Gitarrenfi­guren wie im „Skeleton Blues“wie schon öfter gehört, die Wucht, mit der die Berliner solche Songs allerdings darbieten – sie wirkt ehrlich und ungekünste­lt wie die Begeisteru­ng für derartige Sounds. Dazu gehört konsequent­erweise auch, dass Sänger und Gitarrist Christoph „Lupus“Lindemann, Bassist Simon „Dragon“Bouteloup und Schlagzeug­er Christoph „Tiger“Bartelt tatsächlic­h auf

Instrument­en aus vergangene­n Jahrzehnte­n spielen und auch das Aufnahme-Equipment ohne modernen Schnicksch­nack auskommt.

Mal donnernd, mal leichtfüßi­g

Diese Authetizit­ät tut dem Sound gut, wie man etwa „Into The Wormhole“anhört. Da darf erst mal die Stromgitar­re fett vor sich hin braten, bis der knackige Bass seinen Moment im Rampenlich­t bekommt, während das Schlagzeug wuchtig und schleppend donnert. Fast schon leichtfüßi­g geht es in „Die Baby Die“ zu, während „Vampires“mit dynamische­m Wechselspi­el von ruhigen und härteren Passagen gefällt. Der Spacerock von Hawkwind scheint in „Tribulatio­n Nation“durch, jener bewusstsei­nserweiter­ten Truppe, der auch der spätere Motörhead-Fronter Lemmy ein paar Jahre lang angehörte. „Words of Evil“hingegen gemahnt mit seinen temporeich­en Gitarren an Black Sabbath.

Zum Schluss hin werden die Songs ruhiger und psychedeli­scher, Lavalampen-Feeling stellt sich ein, wenn in „The Lost Child“die Orgeltöne aufsteigen wie Rauch. Auch „You Found The Best in Me“zeigt sich tiefentspa­nnt, und „L’ombre du Temps“darf sich dann noch experiment­ell geben und mit französisc­hem Spoken-Word-Part überrasche­n.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Es ist nicht neu, aber es ist gut gemacht.

Live: 27.10. München, Backstage; 17.11. Stuttgart, LKA-Longhorn. Infos zur Band gibt es online unter www.kadavar.com

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FOTO: ELIZAVETA PORODINA Spielen auf Instrument­en aus vergangene­n Jahrzehnte­n: Kadavar aus Berlin.

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