Schwäbische Zeitung (Biberach)

Fehler bei Amris Festnahme

Kritik an Vernehmung des Attentäter­s in Friedrichs­hafen

- Von Andreas Herholz und dpa

BERLIN (dpa/her) - Die Festnahme des islamistis­chen Attentäter­s Anis Amri vor seinem Terroransc­hlag in Berlin scheiterte einem Sonderermi­ttler zufolge mehrfach an Fehlern von Polizeibeh­örden in Bund und Ländern. Der Tunesier hätte wegen diverser Vergehen höchstwahr­scheinlich verhaftet werden können, sagte Bruno Jost, der vom Berliner Senat eingesetzt­e Sonderermi­ttler, am Donnerstag. In Josts Abschlussb­ericht wird sowohl die Berliner Kriminalpo­lizei als auch die Polizei in Nordrhein-Westfalen und BadenWürtt­emberg hart kritisiert.

Neu sind Details, wie jenes aus Friedrichs­hafen. Als Amri dort am 30. Juli 2016 von der Bundespoli­zei bei der geplanten Ausreise festgenomm­en wurde, wurde laut Jost „fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“. Die Vernehmung sei oberflächl­ich gewesen, auch habe die Polizei sein Handy nicht beschlagna­hmt.

BERLIN - „Unprofessi­onell“, „mangelhaft“, „unzureiche­nd“, „fehlerhaft“– so heißt es auf den 72 Seiten immer wieder. Der Abschlussb­ericht des früheren Bundesanwa­ltes Bruno Jost liefert ein klares Urteil, lässt kaum Zweifel daran, dass vor allem Berliner Polizei und Staatsanwa­ltschaft eklatante Fehler gemacht haben und der Terroransc­hlag auf den Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz womöglich verhindert hätte werden können. Aber auch die Polizei in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g muss sich Kritik gefallen lassen. Lücken bei der Observatio­n, fehlende Kooperatio­n der Sicherheit­sbehörden und andere haarsträub­ende Versäumnis­se hat Jost in seiner vom Berliner Senat in Auftrag gegebenen Analyse aufgedeckt und kommt zu dem Ergebnis, dass es „mit hoher Wahrschein­lichkeit“vor dem Attentat möglich gewesen wäre, Anis Amri in Haft zu nehmen.

Am 19. Dezember des vergangene­n Jahres war der Islamist mit einem gestohlene­n Lastwagen auf den Weihnachts­markt an der Berliner Gedächtnis­kirche gerast, hatte 12 Menschen getötet und fast 100 verletzt. Manche Opfer werden noch immer in Kliniken behandelt, viele werden ihr Leben lang unter den Verletzung­en und dem Trauma leiden.

Verhaftung war möglich

Glaubt man Sonderermi­ttler Bruno Jost, der im April seine Arbeit aufgenomme­n hat, haben sich die Ermittler im Fall Amri verhalten, als handele es sich um „einen Eierdieb“und nicht um einen Terrorverd­ächtigen. „Alle Observatio­nen beschränke­n sich auf die Wochentage Montag bis Freitag“, heißt es in dem Bericht, und dies selbst in den Wochen, in denen Amri auf Rang eins der Berliner Gefährderl­iste gestanden habe. „An Wochenende­n und Feiertagen fanden keine Observatio­nen statt“, so das Ergebnis der Untersuchu­ng. Auch nachts habe keine Überwachun­g stattgefun­den. Auch wenn die Hinweise auf Amris islamistis­che Aktivitäte­n und die von ihm ausgehende mögliche Gefährdung womöglich nicht für eine Festnahme ausgereich­t hätten, so habe doch die Möglichkei­t bestanden, ihn wegen Drogenhand­els und gefälschte­r Ausweisdok­umente hinter Gitter zu bringen, so Ex-Bundesanwa­lt Jost. Gegen ihn hätten 14 Strafverfa­hren vorgelegen, vor allem wegen Rauschgift­handels und Schwarzfah­rens. „Da lag wirklich einiges im Argen“, erklärte er am Donnerstag in Berlin.

Bereits im Frühsommer 2016 habe es in abgehörten Telefonate­n Belege für den Rauschgift­handel gegeben. Zwar habe das Landeskrim­inalamt Berlin Amri neun Monate vor der Tat vorübergeh­end festgehalt­en und sein Handy beschlagna­hmt. Allerdings seien die Daten nicht ausgewerte­t worden, so die Kritik des Sonderermi­ttlers. Doch es kam offenbar noch schlimmer: Bei einer Festnahme Amris Ende Juli 2016 von der Bundespoli­zei in Friedrichs­hafen beim Ausreiseve­rsuch in die Schweiz hätten die Ermittler „fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“, so das vernichten­de Urteil des früheren Bundesrich­ters. Oberflächl­iche Vernehmung, keine Sicherung des Handys und kein Kontakt zur Kripo in Berlin und NRW, die Amri im Visier gehabt hatten. Auch dort habe es eine „realistisc­he Chance“gegeben, ihn dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen.

Eingesesse­n in Ravensburg

Da er zur Abschiebun­g anstand, wurde er zunächst in die JVA Ravensburg gebracht. Der Bereitscha­ftsrichter hatte angeordnet, dass Amri über das Wochenende bleiben sollte. Die für die Abschiebun­g zuständige­n Ausländerb­ehörde Kleve in Nordrhein-Westfalen verfügte am 1. August die Entlassung Amris aus der Haft, da noch keine Passersatz­papiere aus Tunesien vorlagen und damit die Zeit der zu erwartende­n Abschiebeh­aft zu lange gedauert hätte. Ein Sprecher des Innenminis­teriums in Stuttgart sagte dazu, die ausländerr­echtliche Zuständigk­eit habe eben bei Nordrhein-Westfalen gelegen.

Fehler, Versäumnis­se, Pannen – Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) fordert, dass sich ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s mit dem Fall Amri beschäftig­en soll. Schließlic­h habe es vor dem Attentat nicht nur in der Hauptstadt, sondern länderüber­greifend Fehler bei den Sicherheit­sbehörden gegeben.

 ?? FOTO: DPA ?? Sonderermi­ttler Bruno Jost (li.), ein früherer Bundesanwa­lt, wirft den Behörden Schlampere­i vor. Innensenat­or Andreas Geisel (SPD/re.) fordert deshalb einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags.
FOTO: DPA Sonderermi­ttler Bruno Jost (li.), ein früherer Bundesanwa­lt, wirft den Behörden Schlampere­i vor. Innensenat­or Andreas Geisel (SPD/re.) fordert deshalb einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags.

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