Schwäbische Zeitung (Biberach)
Familie holt Tolus Sohn nach Neu-Ulm
Angehörige bangen weiter um Mesale Tolu – Ihr kleiner Sohn kommt nach Neu-Ulm zurück
ULM (mö) - Hüysein Tolu, Bruder der in der Türkei inhaftierten NeuUlmer Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu, fordert von der Bundesregierung mehr Einsatz für seine Schwester. „Die deutsche Politik muss Antworten finden, wie sie meine Schwester aus dieser Haft befreit“, sagte er am Donnerstag der „Schwäbischen Zeitung“. Den zweijährigen Sohn Mesale Tolus, der seit Monaten bei seiner Mutter im Istanbuler Frauengefängnis ist, werde er am Montag nach Deutschland zu seiner Familie holen.
ULM - Die Familie der in der Türkei inhaftierten deutschen Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu erwartet von der Bundesregierung mehr Engagement, um die Freilassung der aus Ulm stammenden Publizistin zu erreichen. Die Bundesrepublik müsse ihre gesamten Beziehungen zur Türkei überprüfen, sagte Hüseyin Tolu, der Bruder der Inhaftierten, der „Schwäbischen Zeitung“. Seine Schwester sei als „Geisel des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan“in Haft: „Die deutsche Politik muss Antworten finden, wie sie meine Schwester aus dieser Haft befreit.“Hüseyin Tolu sagte weiter, dass der zweijährige Sohn Mesale Tolus, Serkan, am Montag nach Deutschland gebracht werde. Der Junge hatte seit der Verhaftung seiner Mutter Ende April mit ihr im Istanbuler Frauengefängnis gelebt.
Mittwochabend dieser Woche. Soeben hat das Gericht im türkischen Silivri entschieden, Mesale Tolu nicht aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Der 32-Jährigen werden Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und die Verbreitung terroristischer Propaganda vorgeworfen. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft. Der Prozess soll am 18. Dezember fortgesetzt werden.
Der Schock sitzt tief
Bei den Prozessbeobachtern sitzt der Schock tief, dass Tolu weiter im Gefängnis bleiben muss und nicht bis zum Folgetermin auf freien Fuß kommt. Der Vater der Angeklagten, Ali Reza Tolu, hat den Prozess im Gerichtssaal verfolgt. Im Telefonat mit der „Schwäbischen Zeitung“fehlen dem 58-Jährigen zunächst die Worte. Die Situation fasst ihn emotional an. Dann beschreibt er, wie sich seine Tochter vor Gericht verteidigt hat: „Mesale hat sich gut geschlagen, tapfer, super.“Auch die Verteidiger hätten schlüssig argumentiert – „doch leider ohne Erfolg“. Er selber werde in der Türkei bleiben, „bis meine Tochter wieder frei ist“. Dagegen werde sein Enkelsohn, Serkan, schon am Montag nach Neu-Ulm zurückkommen und in der Familie seines Sohnes leben: „Serkan wird im Dezember drei Jahre alt, er kann nicht im Gefängnis bleiben, dort ist es im Winter viel zu kalt.“
„Auch mein Vater ist fix und fertig“, bestätigt später am Abend Hüseyin Tolu, „unsere Familie ist am Ende ihrer Kräfte.“Seit Ende April habe sich das Leben „komplett gedreht“. Denn nicht nur Mesale Tolu sitzt in türkischer Haft, auch ihr Mann, Suat Corlu, war im April festgenommen worden. Die Familie müsse die Anwaltskosten tragen, Gäste beherbergen, Reisen organisieren, zu Demonstrationen fahren: „Und und und.“Das sei „alles ok.“
Doch manchmal gehe es einfach nicht weiter: „Ich hatte heute Abend einen Termin bei ,stern TV’“, sagt Hüseyin Tolu: „Ich saß schon im Zug nach Köln. Als ich aber hörte, dass Mesale im Knast bleiben muss, bin ich in Stuttgart ausgestiegen und zurückgefahren. Ich kann jetzt keine Fernsehinterviews geben.“Er werde aber den Kontakt zur Presse halten, Interviewanfragen weiter nachkommen: „Wir dürfen Mesale nicht vergessen – wie lange es auch dauert!“Und er fügt hinzu: „Aus Wut ist Hass geworden.“
Serkan, der kleine Sohn des inhaftierten Ehepaars, wird jetzt in der Familie von Hüseyin Tolu aufwachsen. Die eigenen Kinder sind ein und sechs Jahre alt: „Das ist für uns selbstverständlich, dass wir Serkan aufnehmen“, sagt der 36-Jährige. Gleichzeitig erwarte er, dass er in Neu-Ulm, seinem Wohnort, Ansprechpartner für alltägliche Probleme findet. Beispielsweise müsse seine Frau etwas länger als geplant Erziehungsurlaub nehmen: „Darüber würde ich gerne reden und bitte um praktische Solidarität.“
Am Donnerstag weist dann die Bundesregierung Spekulationen zurück, die Türkei wolle mit der Inhaftierung deutscher Staatsbürger die Auslieferung mutmaßlicher türkischer Putschisten und Terrorverdächtiger aus Deutschland erzwingen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte im August gesagt: „Genauso wie Deutschland seine Bürger von uns zurückhaben möchte“, erwarte die Türkei, die „sich dort aufhaltenden Terroristen“ausgehändigt zu bekommen. Gemeint sind angebliche Unterstützer des Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Zudem wolle Deutschland „Kriminelle“zurück, während die Türkei „Terroristen“ausgeliefert haben wolle.
Das Auswärtige Amt hält dagegen: „Der Bundesregierung liegen keine Informationen über eine mögliche Forderung der Türkei vor, inhaftierte deutsche Staatsangehörige gegen türkische Staatsangehörige auszutauschen, die in Deutschland Asyl beantragt haben.“